[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.Hrn. Vatry Gedancken platz verändert hätte, da die Personen, die ihn in-nen gehabt, nicht von ihrem Platze gekommen wä- ren. Die Chöre dieneten auch die Dauer der Handlung anzuzeigen: die Aufführung eines Trauerspieles daurete bey ihnen kaum eine längere Zeit, als man zu der gespielten Handlung selber nöthig gehabt hätte. Diese Richtigkeit gab ihm ein wahrscheinliches Ansehen, das eine von seinen grössesten Schönheiten ausmachete. Ueber dieses hielten sie den Zuseher auf, ohne Es ist leicht zu sehen, was vor eine Mannigfal- Alleine, wendet man ein, es ist nichts unnatür- Hand-
Hrn. Vatry Gedancken platz veraͤndert haͤtte, da die Perſonen, die ihn in-nen gehabt, nicht von ihrem Platze gekommen waͤ- ren. Die Choͤre dieneten auch die Dauer der Handlung anzuzeigen: die Auffuͤhrung eines Trauerſpieles daurete bey ihnen kaum eine laͤngere Zeit, als man zu der geſpielten Handlung ſelber noͤthig gehabt haͤtte. Dieſe Richtigkeit gab ihm ein wahrſcheinliches Anſehen, das eine von ſeinen groͤſſeſten Schoͤnheiten ausmachete. Ueber dieſes hielten ſie den Zuſeher auf, ohne Es iſt leicht zu ſehen, was vor eine Mannigfal- Alleine, wendet man ein, es iſt nichts unnatuͤr- Hand-
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Hrn. Vatry Gedancken
platz veraͤndert haͤtte, da die Perſonen, die ihn in-
nen gehabt, nicht von ihrem Platze gekommen waͤ-
ren. Die Choͤre dieneten auch die Dauer der
Handlung anzuzeigen: die Auffuͤhrung eines
Trauerſpieles daurete bey ihnen kaum eine laͤngere
Zeit, als man zu der geſpielten Handlung ſelber
noͤthig gehabt haͤtte. Dieſe Richtigkeit gab ihm
ein wahrſcheinliches Anſehen, das eine von ſeinen
groͤſſeſten Schoͤnheiten ausmachete.
Ueber dieſes hielten ſie den Zuſeher auf, ohne
daß ſie ihn muͤſſig ſtehen lieſſen, und ſie banden das
Ende eines Aufzuges mit dem Anfange des folgen-
den zuſammen, welches mehr bedeutet, als man
meynen moͤchte, maſſen dieſe Verbindung dienet,
die Einheit der Handlung zu bemercken. Unſere
fuͤnf Aufzuͤge, die von einander geſondert ſtehen,
formieren gewiſſermaſſen fuͤnf verſchiedene Stuͤcke,
die man nach einander ſpielt. Mit welcher Wahr-
ſcheinlichkeit begeben ſich uͤbrigens alle tragiſchen
Handlungen allemahl auf einerley Art, und ver-
ſchwinden die ſpielenden Perſonen ordentlicher
Weiſe, als wenn es abgeredet worden waͤre, vier-
mahl?
Es iſt leicht zu ſehen, was vor eine Mannigfal-
tigkeit die Choͤre in die Tragoͤdie brachten. Was vor
Mannigfaltigkeit kan in der That nicht eine Mu-
ſik mit ſich fuͤhren, welche ſich in alle die verſchie-
dene Gemuͤthesſtaͤnde, und alle die verſchiedene
Empfindungen ſchicket, die in einem geſchickten
Trauerſpiele vorkommen? ‒ ‒ ‒ ‒
Alleine, wendet man ein, es iſt nichts unnatuͤr-
lichers, als in eine ſo ernſtliche und ſo gravitaͤtiſche
Hand-
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