[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.von Horazens Dichtkunst. Dein stolzer Anfang pralt von seltnen Wundersachen,Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen? Kurz, alles was du schreibst muß schlecht und einsach seyn. Doch, Piso, trügt uns oft des Guten falscher Schein. Die der verunglückte Schiffer, wenn er die Gefahr nicht überstanden hätte, sondern in dem Schifbruch zu Grund gegangen wäre, kein Gedicht mehr zu verarbeiten würde be- stellt haben. V. 31. 32. Dein stolzer Anfang pralt etc.) Jch muß fast glauben, daß Hr. Gottsched befürchtet habe, die figürliche Vorstellung seines lateinischen Dichters mögte fur seine deutschen Leser zu unergründlich seyn: Und daß er folglich aus blosser Guthertzigkeit das emblematische Bild in seine Elemente aufgelößt, und darinnen von Hrn. Eckart, dem er doch öfters, als Horazen folget, abgewi- chen sey. V. 33. Kurz, alles was du schreibst, muß schlecht und
einfach seyn.) Dieß ist der Schluß, womit Horaz, als mit einer Haupt- Regel seine bisherige critische Vorstellung beschließt: Denique sit quidvis, simplex duntaxat & unum. Simplex, d. i. unvermengt, nicht aus vielen ungleichen Stücken zusammengeflickt: et unum, d. i. nach einem Plan und nach einer Haupt-Absicht ausgeführt. Denn ob- gleich ein jedes Gedicht aus verschiedenen besondern Stücken bestehet, so muß dennoch je eines in dem andern, alle zu- sammen aber in der Haupt-Absicht gegründet seyn, damit sie nur ein gantzes ausmachen. Es ist mithin eine rechte Lust zu sehen, wie Hr. Gottsched diese Horazische Grund- Regel in einer beygefügten Anmerckung bald auf den Wohl- stand in der Kleidung, bald auf die Fabel in einem Helden- gedichte, oder Schauspiele zuzueignen gewußt hat: Unge- achtet Horaz hier mehr auf die Wahl und die geschickte Zu- von Horazens Dichtkunſt. Dein ſtolzer Anfang pralt von ſeltnen Wunderſachen,Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen? Kurz, alles was du ſchreibſt muß ſchlecht und einſach ſeyn. Doch, Piſo, truͤgt uns oft des Guten falſcher Schein. Die der verungluͤckte Schiffer, wenn er die Gefahr nicht uͤberſtanden haͤtte, ſondern in dem Schifbruch zu Grund gegangen waͤre, kein Gedicht mehr zu verarbeiten wuͤrde be- ſtellt haben. V. 31. 32. Dein ſtolzer Anfang pralt ꝛc.) Jch muß faſt glauben, daß Hr. Gottſched befuͤrchtet habe, die figuͤrliche Vorſtellung ſeines lateiniſchen Dichters moͤgte fur ſeine deutſchen Leſer zu unergruͤndlich ſeyn: Und daß er folglich aus bloſſer Guthertzigkeit das emblematiſche Bild in ſeine Elemente aufgeloͤßt, und darinnen von Hrn. Eckart, dem er doch oͤfters, als Horazen folget, abgewi- chen ſey. V. 33. Kurz, alles was du ſchreibſt, muß ſchlecht und
einfach ſeyn.) Dieß iſt der Schluß, womit Horaz, als mit einer Haupt- Regel ſeine bisherige critiſche Vorſtellung beſchließt: Denique ſit quidvis, ſimplex duntaxat & unum. Simplex, d. i. unvermengt, nicht aus vielen ungleichen Stuͤcken zuſammengeflickt: et unum, d. i. nach einem Plan und nach einer Haupt-Abſicht ausgefuͤhrt. Denn ob- gleich ein jedes Gedicht aus verſchiedenen beſondern Stuͤcken beſtehet, ſo muß dennoch je eines in dem andern, alle zu- ſammen aber in der Haupt-Abſicht gegruͤndet ſeyn, damit ſie nur ein gantzes ausmachen. Es iſt mithin eine rechte Luſt zu ſehen, wie Hr. Gottſched dieſe Horaziſche Grund- Regel in einer beygefuͤgten Anmerckung bald auf den Wohl- ſtand in der Kleidung, bald auf die Fabel in einem Helden- gedichte, oder Schauſpiele zuzueignen gewußt hat: Unge- achtet Horaz hier mehr auf die Wahl und die geſchickte Zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0091" n="91"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von Horazens Dichtkunſt.</hi> </fw><lb/> <l>Dein ſtolzer Anfang pralt von ſeltnen Wunderſachen,<note place="foot"><hi rendition="#fr">V. 31. 32. Dein ſtolzer Anfang pralt ꝛc.)</hi><lb/> Jch muß faſt glauben, daß Hr. Gottſched befuͤrchtet habe,<lb/> die figuͤrliche Vorſtellung ſeines lateiniſchen Dichters moͤgte<lb/> fur ſeine deutſchen Leſer zu unergruͤndlich ſeyn: Und daß<lb/> er folglich aus bloſſer Guthertzigkeit das emblematiſche<lb/> Bild in ſeine Elemente aufgeloͤßt, und darinnen von Hrn.<lb/> Eckart, dem er doch oͤfters, als Horazen folget, abgewi-<lb/> chen ſey.</note></l><lb/> <l>Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?</l><lb/> <l>Kurz, alles was du ſchreibſt muß ſchlecht und einſach ſeyn.<note xml:id="a014" place="foot" next="#a014b"><hi rendition="#fr">V. 33. Kurz, alles was du ſchreibſt, muß ſchlecht und<lb/> einfach ſeyn.)</hi><lb/> Dieß iſt der Schluß, womit Horaz, als mit einer Haupt-<lb/> Regel ſeine bisherige critiſche Vorſtellung beſchließt:<lb/><cit><quote><hi rendition="#aq">Denique ſit quidvis, ſimplex duntaxat & unum.</hi></quote></cit><lb/><hi rendition="#aq">Simplex,</hi> d. i. unvermengt, nicht aus vielen ungleichen<lb/> Stuͤcken zuſammengeflickt: <hi rendition="#aq">et unum,</hi> d. i. nach einem<lb/> Plan und nach einer Haupt-Abſicht ausgefuͤhrt. Denn ob-<lb/> gleich ein jedes Gedicht aus verſchiedenen beſondern Stuͤcken<lb/> beſtehet, ſo muß dennoch je eines in dem andern, alle zu-<lb/> ſammen aber in der Haupt-Abſicht gegruͤndet ſeyn, damit<lb/> ſie nur ein gantzes ausmachen. Es iſt mithin eine rechte<lb/> Luſt zu ſehen, wie Hr. Gottſched dieſe Horaziſche Grund-<lb/> Regel in einer beygefuͤgten Anmerckung bald auf den Wohl-<lb/> ſtand in der Kleidung, bald auf die Fabel in einem Helden-<lb/> gedichte, oder Schauſpiele zuzueignen gewußt hat: Unge-<lb/> achtet Horaz hier mehr auf die Wahl und die geſchickte Zu-</note></l><lb/> <l>Doch, Piſo, truͤgt uns oft des Guten falſcher Schein.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/> <note xml:id="a013b" prev="#a013" place="foot">der verungluͤckte Schiffer, <hi rendition="#fr">wenn er die Gefahr nicht<lb/> uͤberſtanden haͤtte,</hi> ſondern in dem Schifbruch zu Grund<lb/> gegangen waͤre, kein Gedicht mehr zu verarbeiten wuͤrde be-<lb/> ſtellt haben.</note><lb/><lb/><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0091]
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Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?
Kurz, alles was du ſchreibſt muß ſchlecht und einſach ſeyn.
Doch, Piſo, truͤgt uns oft des Guten falſcher Schein.
Die
V. 31. 32. Dein ſtolzer Anfang pralt ꝛc.)
Jch muß faſt glauben, daß Hr. Gottſched befuͤrchtet habe,
die figuͤrliche Vorſtellung ſeines lateiniſchen Dichters moͤgte
fur ſeine deutſchen Leſer zu unergruͤndlich ſeyn: Und daß
er folglich aus bloſſer Guthertzigkeit das emblematiſche
Bild in ſeine Elemente aufgeloͤßt, und darinnen von Hrn.
Eckart, dem er doch oͤfters, als Horazen folget, abgewi-
chen ſey.
V. 33. Kurz, alles was du ſchreibſt, muß ſchlecht und
einfach ſeyn.)
Dieß iſt der Schluß, womit Horaz, als mit einer Haupt-
Regel ſeine bisherige critiſche Vorſtellung beſchließt:
Denique ſit quidvis, ſimplex duntaxat & unum.
Simplex, d. i. unvermengt, nicht aus vielen ungleichen
Stuͤcken zuſammengeflickt: et unum, d. i. nach einem
Plan und nach einer Haupt-Abſicht ausgefuͤhrt. Denn ob-
gleich ein jedes Gedicht aus verſchiedenen beſondern Stuͤcken
beſtehet, ſo muß dennoch je eines in dem andern, alle zu-
ſammen aber in der Haupt-Abſicht gegruͤndet ſeyn, damit
ſie nur ein gantzes ausmachen. Es iſt mithin eine rechte
Luſt zu ſehen, wie Hr. Gottſched dieſe Horaziſche Grund-
Regel in einer beygefuͤgten Anmerckung bald auf den Wohl-
ſtand in der Kleidung, bald auf die Fabel in einem Helden-
gedichte, oder Schauſpiele zuzueignen gewußt hat: Unge-
achtet Horaz hier mehr auf die Wahl und die geſchickte Zu-
der verungluͤckte Schiffer, wenn er die Gefahr nicht
uͤberſtanden haͤtte, ſondern in dem Schifbruch zu Grund
gegangen waͤre, kein Gedicht mehr zu verarbeiten wuͤrde be-
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