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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.

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bey Ankunft Martin Opitzens.

So fand Opitz die beste Poesie bey den Deut-
schen in kleinen einzeln Stücken beschaffen, als er
in die poetische Welt ankam. Er war damit sehr
übel zufrieden, die geradebrechte Sprache, das
Sylbenmaß, die gedrungene Reimen, die seltsame
Art zu reden, mißfielen ihm in der Seele. Und
in dem Jnhalt fand er auch den Geist und Ge-
schmack nicht, welcher vielmehr, als Tonmaß und
Reimen ein Gedicht poetisch machet. Nach sei-

"nem Urtheil hatten die Deutschen undanckbar
"gegen ihrem Lande, undanckbar gegen ihrer al-
"ten Sprache, ihr noch zur Zeit die Ehre nicht
"angethan, daß die angenehme Poesie auch durch
"sie hätte reden mögen. Er scheuet sich nicht zu
"sagen, wären ihm nicht etliche wenige Bücher
"vor vielen hundert Jahren in deutschen Reimen
"geschrieben, zu Handen kommen, dörfte er zwei-
"feln, ob jemahls dergleichen bey ihnen üblich
"gewesen. Dann, sagt er, was insgemein von
"jetzigen Versen herumgetragen wird, weiß ich
"wahrlich nicht, ob es mehr unserer Sprache zu
"Ehren, als Schanden angezogen werden könne.

Durch diese alten Bücher, in welchen er die Poe-
sie zuerst in der deutschen Sprache reden gehöret,
versteht er keine andern, als die wenigen, die aus
dem Schwäbischen Welt-Alter übrig geblieben.
Er gedencket derselben in seinem Aristarch mit aus-
drücklichen Worten: Supersunt etiamnum, sagt
er, non pauca, quae Melchior Goldastus, vir in
commodum ac gloriam Germaniae natus, eruit an-
te aliquot annos e situ & publicavit.
An demsel-
ben Orte hat er auch etliche Zeilen aus dem Mar-

ner
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bey Ankunft Martin Opitzens.

So fand Opitz die beſte Poeſie bey den Deut-
ſchen in kleinen einzeln Stuͤcken beſchaffen, als er
in die poetiſche Welt ankam. Er war damit ſehr
uͤbel zufrieden, die geradebrechte Sprache, das
Sylbenmaß, die gedrungene Reimen, die ſeltſame
Art zu reden, mißfielen ihm in der Seele. Und
in dem Jnhalt fand er auch den Geiſt und Ge-
ſchmack nicht, welcher vielmehr, als Tonmaß und
Reimen ein Gedicht poetiſch machet. Nach ſei-

„nem Urtheil hatten die Deutſchen undanckbar
„gegen ihrem Lande, undanckbar gegen ihrer al-
„ten Sprache, ihr noch zur Zeit die Ehre nicht
„angethan, daß die angenehme Poeſie auch durch
„ſie haͤtte reden moͤgen. Er ſcheuet ſich nicht zu
„ſagen, waͤren ihm nicht etliche wenige Buͤcher
„vor vielen hundert Jahren in deutſchen Reimen
„geſchrieben, zu Handen kommen, doͤrfte er zwei-
„feln, ob jemahls dergleichen bey ihnen uͤblich
„geweſen. Dann, ſagt er, was insgemein von
„jetzigen Verſen herumgetragen wird, weiß ich
„wahrlich nicht, ob es mehr unſerer Sprache zu
„Ehren, als Schanden angezogen werden koͤnne.

Durch dieſe alten Buͤcher, in welchen er die Poe-
ſie zuerſt in der deutſchen Sprache reden gehoͤret,
verſteht er keine andern, als die wenigen, die aus
dem Schwaͤbiſchen Welt-Alter uͤbrig geblieben.
Er gedencket derſelben in ſeinem Ariſtarch mit aus-
druͤcklichen Worten: Superſunt etiamnum, ſagt
er, non pauca, quæ Melchior Goldaſtus, vir in
commodum ac gloriam Germaniæ natus, eruit an-
te aliquot annos è ſitu & publicavit.
An demſel-
ben Orte hat er auch etliche Zeilen aus dem Mar-

ner
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[19/0019] bey Ankunft Martin Opitzens. So fand Opitz die beſte Poeſie bey den Deut- ſchen in kleinen einzeln Stuͤcken beſchaffen, als er in die poetiſche Welt ankam. Er war damit ſehr uͤbel zufrieden, die geradebrechte Sprache, das Sylbenmaß, die gedrungene Reimen, die ſeltſame Art zu reden, mißfielen ihm in der Seele. Und in dem Jnhalt fand er auch den Geiſt und Ge- ſchmack nicht, welcher vielmehr, als Tonmaß und Reimen ein Gedicht poetiſch machet. Nach ſei- „nem Urtheil hatten die Deutſchen undanckbar „gegen ihrem Lande, undanckbar gegen ihrer al- „ten Sprache, ihr noch zur Zeit die Ehre nicht „angethan, daß die angenehme Poeſie auch durch „ſie haͤtte reden moͤgen. Er ſcheuet ſich nicht zu „ſagen, waͤren ihm nicht etliche wenige Buͤcher „vor vielen hundert Jahren in deutſchen Reimen „geſchrieben, zu Handen kommen, doͤrfte er zwei- „feln, ob jemahls dergleichen bey ihnen uͤblich „geweſen. Dann, ſagt er, was insgemein von „jetzigen Verſen herumgetragen wird, weiß ich „wahrlich nicht, ob es mehr unſerer Sprache zu „Ehren, als Schanden angezogen werden koͤnne. Durch dieſe alten Buͤcher, in welchen er die Poe- ſie zuerſt in der deutſchen Sprache reden gehoͤret, verſteht er keine andern, als die wenigen, die aus dem Schwaͤbiſchen Welt-Alter uͤbrig geblieben. Er gedencket derſelben in ſeinem Ariſtarch mit aus- druͤcklichen Worten: Superſunt etiamnum, ſagt er, non pauca, quæ Melchior Goldaſtus, vir in commodum ac gloriam Germaniæ natus, eruit an- te aliquot annos è ſitu & publicavit. An demſel- ben Orte hat er auch etliche Zeilen aus dem Mar- ner B 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743/19>, abgerufen am 27.11.2024.