[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.bey Ankunft Martin Opitzens. Leser im Aussprechen jeder Sylben ihren eignenKlang lassen sollte, dadurch der Vers nicht allein Jamben, sondern daneben auch Trocheen, und Dac- tyle bekömmt. Nach dem Urtheile Frantzösischer Ohren vermieden sie hiermit den Eckel, der von der Monotonie beständig gleichtönender Füsse ent- steht. Folgende vier Oden sind auch von Weker- leins Muse; Sie haben nicht allein in dem Syl- benmasse, sondern auch in den Gedancken etwas besonderes und lebhaftes. Von des Todes Gewißheit, und der Tugend Unsterblichkeit. MAn findet nichts vollkommen in der Welt, Wir Menschen sind mit Sorgen, Pein und Plagen All Ort und Zeit, in Städten, auf dem Feld, Vom Himmel, Lufft, Meer, und uns selbst geschlagen: Ja auch der Götter Macht Hat ihr Wohnung vollkommen Und selig nicht gemacht. Wer hat nicht wahrgenommen, Wie Sonn und Mond gemein Verfinstern ihren Schein? Und wie des Himmels Zeichen Offt mangelhafft verbleichen? Mit wie viel Angst, Gefahren, Müh und Noth Sind ohn Ablaß wir Menschen umgegeben? Diese mit List man übergibt dem Tod, Jener hertzhafft verkrieget selbst sein Leben. Dieser aus viel Verdruß Und Trauren will verderben, Jener erbärmlich muß Jn der Gefängniß sterben. Etlich dürstig nach Gut Fliehen vor der Armuth, Und ihren Geitz versincken, Wann sie im Meer ertrincken. Diese
bey Ankunft Martin Opitzens. Leſer im Ausſprechen jeder Sylben ihren eignenKlang laſſen ſollte, dadurch der Vers nicht allein Jamben, ſondern daneben auch Trocheen, und Dac- tyle bekoͤmmt. Nach dem Urtheile Frantzoͤſiſcher Ohren vermieden ſie hiermit den Eckel, der von der Monotonie beſtaͤndig gleichtoͤnender Fuͤſſe ent- ſteht. Folgende vier Oden ſind auch von Weker- leins Muſe; Sie haben nicht allein in dem Syl- benmaſſe, ſondern auch in den Gedancken etwas beſonderes und lebhaftes. Von des Todes Gewißheit, und der Tugend Unſterblichkeit. MAn findet nichts vollkommen in der Welt, Wir Menſchen ſind mit Sorgen, Pein und Plagen All Ort und Zeit, in Staͤdten, auf dem Feld, Vom Himmel, Lufft, Meer, und uns ſelbſt geſchlagen: Ja auch der Goͤtter Macht Hat ihr Wohnung vollkommen Und ſelig nicht gemacht. Wer hat nicht wahrgenommen, Wie Sonn und Mond gemein Verfinſtern ihren Schein? Und wie des Himmels Zeichen Offt mangelhafft verbleichen? Mit wie viel Angſt, Gefahren, Muͤh und Noth Sind ohn Ablaß wir Menſchen umgegeben? Dieſe mit Liſt man uͤbergibt dem Tod, Jener hertzhafft verkrieget ſelbſt ſein Leben. Dieſer aus viel Verdruß Und Trauren will verderben, Jener erbaͤrmlich muß Jn der Gefaͤngniß ſterben. Etlich duͤrſtig nach Gut Fliehen vor der Armuth, Und ihren Geitz verſincken, Wann ſie im Meer ertrincken. Dieſe
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bey Ankunft Martin Opitzens.
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Jamben, ſondern daneben auch Trocheen, und Dac-
tyle bekoͤmmt. Nach dem Urtheile Frantzoͤſiſcher
Ohren vermieden ſie hiermit den Eckel, der von
der Monotonie beſtaͤndig gleichtoͤnender Fuͤſſe ent-
ſteht. Folgende vier Oden ſind auch von Weker-
leins Muſe; Sie haben nicht allein in dem Syl-
benmaſſe, ſondern auch in den Gedancken etwas
beſonderes und lebhaftes.
Von des Todes Gewißheit, und der
Tugend Unſterblichkeit.
MAn findet nichts vollkommen in der Welt,
Wir Menſchen ſind mit Sorgen, Pein und Plagen
All Ort und Zeit, in Staͤdten, auf dem Feld,
Vom Himmel, Lufft, Meer, und uns ſelbſt geſchlagen:
Ja auch der Goͤtter Macht
Hat ihr Wohnung vollkommen
Und ſelig nicht gemacht.
Wer hat nicht wahrgenommen,
Wie Sonn und Mond gemein
Verfinſtern ihren Schein?
Und wie des Himmels Zeichen
Offt mangelhafft verbleichen?
Mit wie viel Angſt, Gefahren, Muͤh und Noth
Sind ohn Ablaß wir Menſchen umgegeben?
Dieſe mit Liſt man uͤbergibt dem Tod,
Jener hertzhafft verkrieget ſelbſt ſein Leben.
Dieſer aus viel Verdruß
Und Trauren will verderben,
Jener erbaͤrmlich muß
Jn der Gefaͤngniß ſterben.
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Fliehen vor der Armuth,
Und ihren Geitz verſincken,
Wann ſie im Meer ertrincken.
Dieſe
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