[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.Uebersetzung aus einer Handsch. XXI. Die Lehren der Nachtigall. EJn Weidmann fieng ein Vögellein, Das war voll Symphonie, doch klein; Es ward die Nachtigall genannt. Der Vogler nahm es in die Hand Und wollt ihm gleich den Hals umdrehn, Als es ihm flehte: Laß mich gehn, Du ässest dich nicht satt von mir; (a) Für selche Wohlthat geb ich dir Drey Lehren, die dir nüzlich seyn, Prägst du sie im Gedächtniß ein. Er sprach, sag an: was mag das seyn? Da sprach das kleine Vögellein: Die erste Lehre: Glaube nicht Das, was sich selber widerspricht. Die andre: Gieb in deinem Hertzen Nicht Platz dem unbedachten Schmertzen Um was, das nicht kan widerkommen, Dergleichen Leid mag niemand frommen. Die dritt und letzte schärfft dir ein, Du sollest nicht bemühet seyn Um das, was dir nicht werden mag; Der führt auf seinen Kopf den Schlag, (b) Der übersiehet dieß Gebot, Und macht sich zu der Leute Spott. Behältst du diese Lehren wohl, So bist du aller Weißheit voll. Der Mann hatt an der Lehr Begnügen Und ließ den kleinen Vogel fliegen. Er flog auf einen Baum hinauf, Mit leichtem Muth, und sprach darauf: Du (a) Du machst nit satt werden von mir. (b) Er tuot im selber grossen Schlag.
Ueberſetzung aus einer Handſch. XXI. Die Lehren der Nachtigall. EJn Weidmann fieng ein Voͤgellein, Das war voll Symphonie, doch klein; Es ward die Nachtigall genannt. Der Vogler nahm es in die Hand Und wollt ihm gleich den Hals umdrehn, Als es ihm flehte: Laß mich gehn, Du aͤſſeſt dich nicht ſatt von mir; (a) Fuͤr ſelche Wohlthat geb ich dir Drey Lehren, die dir nuͤzlich ſeyn, Praͤgſt du ſie im Gedaͤchtniß ein. Er ſprach, ſag an: was mag das ſeyn? Da ſprach das kleine Voͤgellein: Die erſte Lehre: Glaube nicht Das, was ſich ſelber widerſpricht. Die andre: Gieb in deinem Hertzen Nicht Platz dem unbedachten Schmertzen Um was, das nicht kan widerkommen, Dergleichen Leid mag niemand frommen. Die dritt und letzte ſchaͤrfft dir ein, Du ſolleſt nicht bemuͤhet ſeyn Um das, was dir nicht werden mag; Der fuͤhrt auf ſeinen Kopf den Schlag, (b) Der uͤberſiehet dieß Gebot, Und macht ſich zu der Leute Spott. Behaͤltſt du dieſe Lehren wohl, So biſt du aller Weißheit voll. Der Mann hatt an der Lehr Begnuͤgen Und ließ den kleinen Vogel fliegen. Er flog auf einen Baum hinauf, Mit leichtem Muth, und ſprach darauf: Du (a) Du machſt nit ſatt werden von mir. (b) Er tuot im ſelber groſſen Schlag.
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Ueberſetzung aus einer Handſch.
XXI.
Die Lehren der Nachtigall.
EJn Weidmann fieng ein Voͤgellein,
Das war voll Symphonie, doch klein;
Es ward die Nachtigall genannt.
Der Vogler nahm es in die Hand
Und wollt ihm gleich den Hals umdrehn,
Als es ihm flehte: Laß mich gehn,
Du aͤſſeſt dich nicht ſatt von mir; (a)
Fuͤr ſelche Wohlthat geb ich dir
Drey Lehren, die dir nuͤzlich ſeyn,
Praͤgſt du ſie im Gedaͤchtniß ein.
Er ſprach, ſag an: was mag das ſeyn?
Da ſprach das kleine Voͤgellein:
Die erſte Lehre: Glaube nicht
Das, was ſich ſelber widerſpricht.
Die andre: Gieb in deinem Hertzen
Nicht Platz dem unbedachten Schmertzen
Um was, das nicht kan widerkommen,
Dergleichen Leid mag niemand frommen.
Die dritt und letzte ſchaͤrfft dir ein,
Du ſolleſt nicht bemuͤhet ſeyn
Um das, was dir nicht werden mag;
Der fuͤhrt auf ſeinen Kopf den Schlag, (b)
Der uͤberſiehet dieß Gebot,
Und macht ſich zu der Leute Spott.
Behaͤltſt du dieſe Lehren wohl,
So biſt du aller Weißheit voll.
Der Mann hatt an der Lehr Begnuͤgen
Und ließ den kleinen Vogel fliegen.
Er flog auf einen Baum hinauf,
Mit leichtem Muth, und ſprach darauf:
Du
(a) Du machſt nit ſatt werden von mir.
(b) Er tuot im ſelber groſſen Schlag.
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