[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.Schreiben an Hrn. Zunckel griffen und Bildern so beschwerten und unverständ-lichen Verse Virgils ihrer Last so geschickt entle- diget, und mit Schertz und Schwäncken ihrem Witz und Naturelle gemäß bereichert sehen, sondern selbst diejenigen, die jetzo nicht leiden können, daß Hr. Schwartz seine Aeneis mit Virgils in einen gleichen Grad der Würde stel- len will, werden ihr den Werth einer verkeh- rten Aeneis gerne zugestehen. Sie mögen wohl leiden, daß Virgil so klein gemachet werde, als die Menschen insgemein sind, aber sie gestehen nicht gerne, daß Schwartz eben so groß seyn solle, als Virgil ist. Wenn er es recht überleget, so wird er mit meinem Vorschlage wohl zufrieden seyn, er wäre denn aus der Zahl derer, die lie- ber possierlich seyn, als heissen wollen. Er wird mir dancken, daß ich seinen wahren Talent, und den eigentlichen Werth seiner Aeneis ausgefunden habe. Jst er in der poetischen Mahlerey nicht ge- schickt ein lebhaftes Auge oder einen wohlberedten Mund zu schildern, so hat er hingegen ein natür- liches Geschicke, einen Schincken, einen Schuh, oder einen Buckel nach dem Leben zu entwerffen. Er hat denn schon verantwortet, warum man nicht zehn Virgilianische Zeilen in seinem Wercke fin- de, das wäre wider seine Absicht gewesen, er hat nicht übersetzen sondern verhudeln wollen, und die- ses geschickt ausgeführt. Wäre es ihm aber nicht anständig, so hat es nichts zu bedeuten, ihr habet seine Einwilligung nicht vonnöthen, die Aeneis ist euer, ihr habet sie bezahlet. Wenn ihr zu der vorgeschlagenen Einrichtung oder den Anmerckun- gen
Schreiben an Hrn. Zunckel griffen und Bildern ſo beſchwerten und unverſtaͤnd-lichen Verſe Virgils ihrer Laſt ſo geſchickt entle- diget, und mit Schertz und Schwaͤncken ihrem Witz und Naturelle gemaͤß bereichert ſehen, ſondern ſelbſt diejenigen, die jetzo nicht leiden koͤnnen, daß Hr. Schwartz ſeine Aeneis mit Virgils in einen gleichen Grad der Wuͤrde ſtel- len will, werden ihr den Werth einer verkeh- rten Aeneis gerne zugeſtehen. Sie moͤgen wohl leiden, daß Virgil ſo klein gemachet werde, als die Menſchen insgemein ſind, aber ſie geſtehen nicht gerne, daß Schwartz eben ſo groß ſeyn ſolle, als Virgil iſt. Wenn er es recht uͤberleget, ſo wird er mit meinem Vorſchlage wohl zufrieden ſeyn, er waͤre denn aus der Zahl derer, die lie- ber poſſierlich ſeyn, als heiſſen wollen. Er wird mir dancken, daß ich ſeinen wahren Talent, und den eigentlichen Werth ſeiner Aeneis ausgefunden habe. Jſt er in der poetiſchen Mahlerey nicht ge- ſchickt ein lebhaftes Auge oder einen wohlberedten Mund zu ſchildern, ſo hat er hingegen ein natuͤr- liches Geſchicke, einen Schincken, einen Schuh, oder einen Buckel nach dem Leben zu entwerffen. Er hat denn ſchon verantwortet, warum man nicht zehn Virgilianiſche Zeilen in ſeinem Wercke fin- de, das waͤre wider ſeine Abſicht geweſen, er hat nicht uͤberſetzen ſondern verhudeln wollen, und die- ſes geſchickt ausgefuͤhrt. Waͤre es ihm aber nicht anſtaͤndig, ſo hat es nichts zu bedeuten, ihr habet ſeine Einwilligung nicht vonnoͤthen, die Aeneis iſt euer, ihr habet ſie bezahlet. Wenn ihr zu der vorgeſchlagenen Einrichtung oder den Anmerckun- gen
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Schreiben an Hrn. Zunckel
griffen und Bildern ſo beſchwerten und unverſtaͤnd-
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diget, und mit Schertz und Schwaͤncken ihrem
Witz und Naturelle gemaͤß bereichert ſehen,
ſondern ſelbſt diejenigen, die jetzo nicht leiden
koͤnnen, daß Hr. Schwartz ſeine Aeneis mit
Virgils in einen gleichen Grad der Wuͤrde ſtel-
len will, werden ihr den Werth einer verkeh-
rten Aeneis gerne zugeſtehen. Sie moͤgen wohl
leiden, daß Virgil ſo klein gemachet werde, als
die Menſchen insgemein ſind, aber ſie geſtehen
nicht gerne, daß Schwartz eben ſo groß ſeyn ſolle,
als Virgil iſt. Wenn er es recht uͤberleget, ſo
wird er mit meinem Vorſchlage wohl zufrieden
ſeyn, er waͤre denn aus der Zahl derer, die lie-
ber poſſierlich ſeyn, als heiſſen wollen. Er wird
mir dancken, daß ich ſeinen wahren Talent, und
den eigentlichen Werth ſeiner Aeneis ausgefunden
habe. Jſt er in der poetiſchen Mahlerey nicht ge-
ſchickt ein lebhaftes Auge oder einen wohlberedten
Mund zu ſchildern, ſo hat er hingegen ein natuͤr-
liches Geſchicke, einen Schincken, einen Schuh,
oder einen Buckel nach dem Leben zu entwerffen.
Er hat denn ſchon verantwortet, warum man nicht
zehn Virgilianiſche Zeilen in ſeinem Wercke fin-
de, das waͤre wider ſeine Abſicht geweſen, er hat
nicht uͤberſetzen ſondern verhudeln wollen, und die-
ſes geſchickt ausgefuͤhrt. Waͤre es ihm aber nicht
anſtaͤndig, ſo hat es nichts zu bedeuten, ihr habet
ſeine Einwilligung nicht vonnoͤthen, die Aeneis iſt
euer, ihr habet ſie bezahlet. Wenn ihr zu der
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