[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.Schreiben an Hrn. Zunckel getreuer verdeutschete; und man könnte darausschliessen, daß es zum wenigsten ihn gereuet hätte, die erstere Probe, die Hr. Prof. Gottsched sich nimmer reuen läßt zu loben, so schwach und nied- rig verfertiget zu haben: Allein seine zweyte Ueber- setzung ist nicht prächtiger oder lebhafter aus- gefallen als die erstere, und wird ihn vermuth- lich in seinem Grundsatze von der Unmöglichkeit Virgils Gedancken deutsch zu geben besteiffet ha- ben. Man hätte es ihm auch vor ein redliches Stücke anfgenommen, wenn er dieses gerades- weges bekennt hätte, und er hätte damit, wo nicht seine übelgerathene Uebersetzung, doch we- nigstens seine Aufrichtigkeit bewähret. Allein je- dermann hat sich daran geärgert, daß er seinen Kunstlehrern, deren getreuen Unterricht er ge- nossen, und gerne genutzet hätte, wenn es in sei- nem Vermögen gestanden wäre, so ungeschickte und loose Worte giebt, als wenn sie Ursache wären, daß er es nicht hat besser machen können: Es ist in der That sehr unerbaulich, daß er so viel böse Worte mit so grosser Gelassenheit giebt, und be- zeuget, er rede noch ohne einen aufgebrach- ren hitzigen Affect, und sey gantz und gar nicht gesonnen, sich zu rächen, weil er sonst gantz anders mit seinen Gegnern zu verfah- ren wüßte. Bey Lesung dieser Worte hat ein ehrbarer Mann gesagt: Wenn es hier aus kal- ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl vor ein Ungewitter entstehen, wenn sie in Hitze kommen? Der gute Herr ist in seinem Affecte so blind, daß er es selbst nicht weis. Was hat ihn
Schreiben an Hrn. Zunckel getreuer verdeutſchete; und man koͤnnte darausſchlieſſen, daß es zum wenigſten ihn gereuet haͤtte, die erſtere Probe, die Hr. Prof. Gottſched ſich nimmer reuen laͤßt zu loben, ſo ſchwach und nied- rig verfertiget zu haben: Allein ſeine zweyte Ueber- ſetzung iſt nicht praͤchtiger oder lebhafter aus- gefallen als die erſtere, und wird ihn vermuth- lich in ſeinem Grundſatze von der Unmoͤglichkeit Virgils Gedancken deutſch zu geben beſteiffet ha- ben. Man haͤtte es ihm auch vor ein redliches Stuͤcke anfgenommen, wenn er dieſes gerades- weges bekennt haͤtte, und er haͤtte damit, wo nicht ſeine uͤbelgerathene Ueberſetzung, doch we- nigſtens ſeine Aufrichtigkeit bewaͤhret. Allein je- dermann hat ſich daran geaͤrgert, daß er ſeinen Kunſtlehrern, deren getreuen Unterricht er ge- noſſen, und gerne genutzet haͤtte, wenn es in ſei- nem Vermoͤgen geſtanden waͤre, ſo ungeſchickte und looſe Worte giebt, als wenn ſie Urſache waͤren, daß er es nicht hat beſſer machen koͤnnen: Es iſt in der That ſehr unerbaulich, daß er ſo viel boͤſe Worte mit ſo groſſer Gelaſſenheit giebt, und be- zeuget, er rede noch ohne einen aufgebrach- ren hitzigen Affect, und ſey gantz und gar nicht geſonnen, ſich zu raͤchen, weil er ſonſt gantz anders mit ſeinen Gegnern zu verfah- ren wuͤßte. Bey Leſung dieſer Worte hat ein ehrbarer Mann geſagt: Wenn es hier aus kal- ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl vor ein Ungewitter entſtehen, wenn ſie in Hitze kommen? Der gute Herr iſt in ſeinem Affecte ſo blind, daß er es ſelbſt nicht weis. Was hat ihn
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben an Hrn. Zunckel</hi></fw><lb/> getreuer verdeutſchete; und man koͤnnte daraus<lb/> ſchlieſſen, daß es zum wenigſten ihn <hi rendition="#fr">gereuet</hi> haͤtte,<lb/> die erſtere Probe, die Hr. Prof. Gottſched ſich<lb/><hi rendition="#fr">nimmer reuen</hi> laͤßt zu loben, ſo ſchwach und nied-<lb/> rig verfertiget zu haben: Allein ſeine zweyte Ueber-<lb/> ſetzung iſt nicht praͤchtiger oder lebhafter aus-<lb/> gefallen als die erſtere, und wird ihn vermuth-<lb/> lich in ſeinem Grundſatze von der Unmoͤglichkeit<lb/> Virgils Gedancken deutſch zu geben beſteiffet ha-<lb/> ben. Man haͤtte es ihm auch vor ein redliches<lb/> Stuͤcke anfgenommen, wenn er dieſes gerades-<lb/> weges bekennt haͤtte, und er haͤtte damit, wo<lb/> nicht ſeine uͤbelgerathene Ueberſetzung, doch we-<lb/> nigſtens ſeine Aufrichtigkeit bewaͤhret. Allein je-<lb/> dermann hat ſich daran geaͤrgert, daß er ſeinen<lb/> Kunſtlehrern, deren getreuen Unterricht er ge-<lb/> noſſen, und gerne genutzet haͤtte, wenn es in ſei-<lb/> nem Vermoͤgen geſtanden waͤre, ſo ungeſchickte<lb/> und looſe Worte giebt, als wenn ſie Urſache waͤren,<lb/> daß er es nicht hat beſſer machen koͤnnen: Es iſt in<lb/> der That ſehr unerbaulich, daß er ſo viel boͤſe<lb/> Worte mit ſo groſſer Gelaſſenheit giebt, und be-<lb/> zeuget, <hi rendition="#fr">er rede noch ohne einen aufgebrach-<lb/> ren hitzigen Affect, und ſey gantz und gar<lb/> nicht geſonnen, ſich zu raͤchen, weil er ſonſt<lb/> gantz anders mit ſeinen Gegnern zu verfah-<lb/> ren wuͤßte.</hi> Bey Leſung dieſer Worte hat ein<lb/> ehrbarer Mann geſagt: Wenn es hier aus kal-<lb/> ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl<lb/> vor ein Ungewitter entſtehen, wenn ſie in Hitze<lb/> kommen? Der gute Herr iſt in ſeinem Affecte<lb/> ſo blind, daß er es ſelbſt nicht weis. Was hat<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ihn</fw><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [36/0036]
Schreiben an Hrn. Zunckel
getreuer verdeutſchete; und man koͤnnte daraus
ſchlieſſen, daß es zum wenigſten ihn gereuet haͤtte,
die erſtere Probe, die Hr. Prof. Gottſched ſich
nimmer reuen laͤßt zu loben, ſo ſchwach und nied-
rig verfertiget zu haben: Allein ſeine zweyte Ueber-
ſetzung iſt nicht praͤchtiger oder lebhafter aus-
gefallen als die erſtere, und wird ihn vermuth-
lich in ſeinem Grundſatze von der Unmoͤglichkeit
Virgils Gedancken deutſch zu geben beſteiffet ha-
ben. Man haͤtte es ihm auch vor ein redliches
Stuͤcke anfgenommen, wenn er dieſes gerades-
weges bekennt haͤtte, und er haͤtte damit, wo
nicht ſeine uͤbelgerathene Ueberſetzung, doch we-
nigſtens ſeine Aufrichtigkeit bewaͤhret. Allein je-
dermann hat ſich daran geaͤrgert, daß er ſeinen
Kunſtlehrern, deren getreuen Unterricht er ge-
noſſen, und gerne genutzet haͤtte, wenn es in ſei-
nem Vermoͤgen geſtanden waͤre, ſo ungeſchickte
und looſe Worte giebt, als wenn ſie Urſache waͤren,
daß er es nicht hat beſſer machen koͤnnen: Es iſt in
der That ſehr unerbaulich, daß er ſo viel boͤſe
Worte mit ſo groſſer Gelaſſenheit giebt, und be-
zeuget, er rede noch ohne einen aufgebrach-
ren hitzigen Affect, und ſey gantz und gar
nicht geſonnen, ſich zu raͤchen, weil er ſonſt
gantz anders mit ſeinen Gegnern zu verfah-
ren wuͤßte. Bey Leſung dieſer Worte hat ein
ehrbarer Mann geſagt: Wenn es hier aus kal-
ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl
vor ein Ungewitter entſtehen, wenn ſie in Hitze
kommen? Der gute Herr iſt in ſeinem Affecte
ſo blind, daß er es ſelbſt nicht weis. Was hat
ihn
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |