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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

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Von der Poesie
"det; er versucht sich auf ein Nägelgen,
"er achtet nicht, was der Adel spricht, noch
"das Geschrey des gemeinen Volckes, er ist
"rund, gantz, wie ein Ey, damit kein frem-
"der Mackel auf ihm bleibe, und sich auf glat-
"tem Wege anreibe. Wie lange der Tag
"sich im Krebs strecket, wie lange die Nacht
"den Steinbock bedecket, so gedencket er,
"und wiegt eben aus, daß er in keinem Win-
"kel seines Hauses etwas treibe, oder ein
"Wort rede, das nicht auf allen Seiten
"gleich wege, etc.

Jch habe schon Meldung gethan, daß Brand
die moralischen Sprüche, von der Bescheiden-
heit
betitelt, zum Drucke befödert, welche
Freydanck, einen Poeten aus dem dreyzehn-
ten Jahrhundert, zum Verfasser gehabt. Brand
sagt uns davon in der Beschlußrede, die er
zu diesem Buche geschrieben hat, daß er da-
zu von Mattheus Hölderlin, und Jacob Wol-
fen verursacht worden, dieser Letztere habe es
zu Straßburg in der Cantzley zweymahl ab-
geschrieben. Er lobet Freydanck als einen
hertzhaften Freund der Wahrheit, und stellt
ihn den Deutschen zu einem Beyspiel vor, daß
auch vor langen Zeiten Leute unter ihnen ge-
wesen, welche die Wahrheit mit der erfoder-
ten Freyheit haben reden dörffen. Er hat dem
Werck den Titel gemacht: Von dem rechten
Wege des Lebens und aller Tugenden Aem-
tern und Eigenschaften.
Allein wir sehen
gleich aus den ersten Versen, daß der Ver-

fasser
Von der Poeſie
„det; er verſucht ſich auf ein Naͤgelgen,
„er achtet nicht, was der Adel ſpricht, noch
„das Geſchrey des gemeinen Volckes, er iſt
„rund, gantz, wie ein Ey, damit kein frem-
„der Mackel auf ihm bleibe, und ſich auf glat-
„tem Wege anreibe. Wie lange der Tag
„ſich im Krebs ſtrecket, wie lange die Nacht
„den Steinbock bedecket, ſo gedencket er,
„und wiegt eben aus, daß er in keinem Win-
„kel ſeines Hauſes etwas treibe, oder ein
„Wort rede, das nicht auf allen Seiten
„gleich wege, ꝛc.

Jch habe ſchon Meldung gethan, daß Brand
die moraliſchen Spruͤche, von der Beſcheiden-
heit
betitelt, zum Drucke befoͤdert, welche
Freydanck, einen Poeten aus dem dreyzehn-
ten Jahrhundert, zum Verfaſſer gehabt. Brand
ſagt uns davon in der Beſchlußrede, die er
zu dieſem Buche geſchrieben hat, daß er da-
zu von Mattheus Hoͤlderlin, und Jacob Wol-
fen verurſacht worden, dieſer Letztere habe es
zu Straßburg in der Cantzley zweymahl ab-
geſchrieben. Er lobet Freydanck als einen
hertzhaften Freund der Wahrheit, und ſtellt
ihn den Deutſchen zu einem Beyſpiel vor, daß
auch vor langen Zeiten Leute unter ihnen ge-
weſen, welche die Wahrheit mit der erfoder-
ten Freyheit haben reden doͤrffen. Er hat dem
Werck den Titel gemacht: Von dem rechten
Wege des Lebens und aller Tugenden Aem-
tern und Eigenſchaften.
Allein wir ſehen
gleich aus den erſten Verſen, daß der Ver-

faſſer
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[16/0016] Von der Poeſie „det; er verſucht ſich auf ein Naͤgelgen, „er achtet nicht, was der Adel ſpricht, noch „das Geſchrey des gemeinen Volckes, er iſt „rund, gantz, wie ein Ey, damit kein frem- „der Mackel auf ihm bleibe, und ſich auf glat- „tem Wege anreibe. Wie lange der Tag „ſich im Krebs ſtrecket, wie lange die Nacht „den Steinbock bedecket, ſo gedencket er, „und wiegt eben aus, daß er in keinem Win- „kel ſeines Hauſes etwas treibe, oder ein „Wort rede, das nicht auf allen Seiten „gleich wege, ꝛc. Jch habe ſchon Meldung gethan, daß Brand die moraliſchen Spruͤche, von der Beſcheiden- heit betitelt, zum Drucke befoͤdert, welche Freydanck, einen Poeten aus dem dreyzehn- ten Jahrhundert, zum Verfaſſer gehabt. Brand ſagt uns davon in der Beſchlußrede, die er zu dieſem Buche geſchrieben hat, daß er da- zu von Mattheus Hoͤlderlin, und Jacob Wol- fen verurſacht worden, dieſer Letztere habe es zu Straßburg in der Cantzley zweymahl ab- geſchrieben. Er lobet Freydanck als einen hertzhaften Freund der Wahrheit, und ſtellt ihn den Deutſchen zu einem Beyſpiel vor, daß auch vor langen Zeiten Leute unter ihnen ge- weſen, welche die Wahrheit mit der erfoder- ten Freyheit haben reden doͤrffen. Er hat dem Werck den Titel gemacht: Von dem rechten Wege des Lebens und aller Tugenden Aem- tern und Eigenſchaften. Allein wir ſehen gleich aus den erſten Verſen, daß der Ver- faſſer

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/16>, abgerufen am 21.11.2024.