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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den glücklichen Umständen
nen dann alle Dinge im Wachsen sehen, gestalt
der Genius und die Seele selbst des Volkes sich
zu höhern Dingen, und einer edlern Art der Sit-
ten erhebet.

Es ist ein Glük für einen Poeten in diesen Zei-
ten gebohren zu seyn. Er sieht dann Städte ge-
plündert, die Männer durch das Schwerdt fal-
len, und die Weiber zu Sclavinnen gemacht. Er
sieht ihre hoffnungslosen Angesichter und flehenden
Stellungen, höret ihr Trauren über ihre erschla-
genen Ehgatten, und ihre Bitten für ihre Kinder.
Er sieht ferner Städte die mit Frieden gesegnet,
und von der Freyheit belebet sind, die starke Com-
mercien treiben, und an Reichthum zunehmen.
Wenn er für seine Person nicht in die Händel
verwikelt ist, so daß seine Aufmerksamkeit nicht
zerstreuet wird, so kan er die mannigfaltigen Schau-
spiele durchwandeln, und sie mit aller Musse beob-
achten. Denn wirds für ihn ein lehrreicher An-
blick seyn, wenn er eine Colonie von Land führen,
eine Stadt in Grund legen, Policey und Ord-
nung verfassen sieht, wo nichts, was zur Sicher-
heit des Volkes dienen mag, aus der Acht gelas-
sen wird. Dergleichen Scenen geben weite, aus-
gedähnte Durchsichten, die dabey gantz natürlich
sind, inmassen sie die unmittelbare Wirkung der
grossen Mutter der Erfindung sind, nemlich der
Nothwendigkeit, die dann in ihren jugendlichen
und ungelernten Versuchen begriffen ist.

Die Wichtigkeit dieses Glükes wird am besten
erhellen, wenn wir die Lust betrachten, die von
den Vorstellungen natürlicher und einfältiger Sit-

ten

Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden
nen dann alle Dinge im Wachſen ſehen, geſtalt
der Genius und die Seele ſelbſt des Volkes ſich
zu hoͤhern Dingen, und einer edlern Art der Sit-
ten erhebet.

Es iſt ein Gluͤk fuͤr einen Poeten in dieſen Zei-
ten gebohren zu ſeyn. Er ſieht dann Staͤdte ge-
pluͤndert, die Maͤnner durch das Schwerdt fal-
len, und die Weiber zu Sclavinnen gemacht. Er
ſieht ihre hoffnungsloſen Angeſichter und flehenden
Stellungen, hoͤret ihr Trauren uͤber ihre erſchla-
genen Ehgatten, und ihre Bitten fuͤr ihre Kinder.
Er ſieht ferner Staͤdte die mit Frieden geſegnet,
und von der Freyheit belebet ſind, die ſtarke Com-
mercien treiben, und an Reichthum zunehmen.
Wenn er fuͤr ſeine Perſon nicht in die Haͤndel
verwikelt iſt, ſo daß ſeine Aufmerkſamkeit nicht
zerſtreuet wird, ſo kan er die mannigfaltigen Schau-
ſpiele durchwandeln, und ſie mit aller Muſſe beob-
achten. Denn wirds fuͤr ihn ein lehrreicher An-
blick ſeyn, wenn er eine Colonie von Land fuͤhren,
eine Stadt in Grund legen, Policey und Ord-
nung verfaſſen ſieht, wo nichts, was zur Sicher-
heit des Volkes dienen mag, aus der Acht gelaſ-
ſen wird. Dergleichen Scenen geben weite, aus-
gedaͤhnte Durchſichten, die dabey gantz natuͤrlich
ſind, inmaſſen ſie die unmittelbare Wirkung der
groſſen Mutter der Erfindung ſind, nemlich der
Nothwendigkeit, die dann in ihren jugendlichen
und ungelernten Verſuchen begriffen iſt.

Die Wichtigkeit dieſes Gluͤkes wird am beſten
erhellen, wenn wir die Luſt betrachten, die von
den Vorſtellungen natuͤrlicher und einfaͤltiger Sit-

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[8/0008] Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden nen dann alle Dinge im Wachſen ſehen, geſtalt der Genius und die Seele ſelbſt des Volkes ſich zu hoͤhern Dingen, und einer edlern Art der Sit- ten erhebet. Es iſt ein Gluͤk fuͤr einen Poeten in dieſen Zei- ten gebohren zu ſeyn. Er ſieht dann Staͤdte ge- pluͤndert, die Maͤnner durch das Schwerdt fal- len, und die Weiber zu Sclavinnen gemacht. Er ſieht ihre hoffnungsloſen Angeſichter und flehenden Stellungen, hoͤret ihr Trauren uͤber ihre erſchla- genen Ehgatten, und ihre Bitten fuͤr ihre Kinder. Er ſieht ferner Staͤdte die mit Frieden geſegnet, und von der Freyheit belebet ſind, die ſtarke Com- mercien treiben, und an Reichthum zunehmen. Wenn er fuͤr ſeine Perſon nicht in die Haͤndel verwikelt iſt, ſo daß ſeine Aufmerkſamkeit nicht zerſtreuet wird, ſo kan er die mannigfaltigen Schau- ſpiele durchwandeln, und ſie mit aller Muſſe beob- achten. Denn wirds fuͤr ihn ein lehrreicher An- blick ſeyn, wenn er eine Colonie von Land fuͤhren, eine Stadt in Grund legen, Policey und Ord- nung verfaſſen ſieht, wo nichts, was zur Sicher- heit des Volkes dienen mag, aus der Acht gelaſ- ſen wird. Dergleichen Scenen geben weite, aus- gedaͤhnte Durchſichten, die dabey gantz natuͤrlich ſind, inmaſſen ſie die unmittelbare Wirkung der groſſen Mutter der Erfindung ſind, nemlich der Nothwendigkeit, die dann in ihren jugendlichen und ungelernten Verſuchen begriffen iſt. Die Wichtigkeit dieſes Gluͤkes wird am beſten erhellen, wenn wir die Luſt betrachten, die von den Vorſtellungen natuͤrlicher und einfaͤltiger Sit- ten

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/8>, abgerufen am 27.11.2024.