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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den poetischen Zeiten
ten deutlich erzehlt, und die natürlichen Sit-
ten, und menschlichen Leidenschaften niemahls
aus Augen gesetzet werden.

Sie stelleten öfters poetische Wettstreite un-
ter einander an, in Gegenwart grosser Ver-
sammlungen, welche dem Obsieger einen Ge-
winn zutheileten. Also war eine tägliche Ue-
bung ihr bester Kunstlehrer in der Dichtkunst.
Sie bedurften keiner erworbenen Wissenschaf-
ten die natürliche Neigung ihres Geistes, ihre
Bekanntschaft und Umgang mit dem Men-
schen versahe sie mit genugsamen Vorrath.

Man wird mit mir nicht zufrieden seyn,
daß ich bloß die Möglichkeit, darinnen dieses
Weltalter gestanden, auf eine vortreffliche Art
zu poetisieren, angezeiget habe; man wird
sagen, es sey von der Möglichkeit noch ein
weiter Schritt zur Wirklichkeit, es sey nicht
genug, daß der Zustand von Deutschland so
wohl in politischen, und moralischen, als in
physicalischen Dingen damahls in einer rech-
ten und bequemen Temperatur gestanden, treff-
liche Poeten hervorzubringen, und sie mit ei-
nem geschickten Stofe für poetische Wercke zu
versehen; es gehören noch mehrere Bedingun-
gen dazu, vielerley geringere Umstände des
Privatlebens, viele Vortheile der absonder-
lichen Auferziehung, und eigene Gelegenheiten
das menschliche Geschlechte durch und durch
kennen zu lernen. Aus dieser Ursache wird
man von mir begehren, daß ich würkliche Mu-
ster von Schriften anzeige, welche die Wür-

kung

Von den poetiſchen Zeiten
ten deutlich erzehlt, und die natuͤrlichen Sit-
ten, und menſchlichen Leidenſchaften niemahls
aus Augen geſetzet werden.

Sie ſtelleten oͤfters poetiſche Wettſtreite un-
ter einander an, in Gegenwart groſſer Ver-
ſammlungen, welche dem Obſieger einen Ge-
winn zutheileten. Alſo war eine taͤgliche Ue-
bung ihr beſter Kunſtlehrer in der Dichtkunſt.
Sie bedurften keiner erworbenen Wiſſenſchaf-
ten die natuͤrliche Neigung ihres Geiſtes, ihre
Bekanntſchaft und Umgang mit dem Men-
ſchen verſahe ſie mit genugſamen Vorrath.

Man wird mit mir nicht zufrieden ſeyn,
daß ich bloß die Moͤglichkeit, darinnen dieſes
Weltalter geſtanden, auf eine vortreffliche Art
zu poetiſieren, angezeiget habe; man wird
ſagen, es ſey von der Moͤglichkeit noch ein
weiter Schritt zur Wirklichkeit, es ſey nicht
genug, daß der Zuſtand von Deutſchland ſo
wohl in politiſchen, und moraliſchen, als in
phyſicaliſchen Dingen damahls in einer rech-
ten und bequemen Temperatur geſtanden, treff-
liche Poeten hervorzubringen, und ſie mit ei-
nem geſchickten Stofe fuͤr poetiſche Wercke zu
verſehen; es gehoͤren noch mehrere Bedingun-
gen dazu, vielerley geringere Umſtaͤnde des
Privatlebens, viele Vortheile der abſonder-
lichen Auferziehung, und eigene Gelegenheiten
das menſchliche Geſchlechte durch und durch
kennen zu lernen. Aus dieſer Urſache wird
man von mir begehren, daß ich wuͤrkliche Mu-
ſter von Schriften anzeige, welche die Wuͤr-

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[32/0032] Von den poetiſchen Zeiten ten deutlich erzehlt, und die natuͤrlichen Sit- ten, und menſchlichen Leidenſchaften niemahls aus Augen geſetzet werden. Sie ſtelleten oͤfters poetiſche Wettſtreite un- ter einander an, in Gegenwart groſſer Ver- ſammlungen, welche dem Obſieger einen Ge- winn zutheileten. Alſo war eine taͤgliche Ue- bung ihr beſter Kunſtlehrer in der Dichtkunſt. Sie bedurften keiner erworbenen Wiſſenſchaf- ten die natuͤrliche Neigung ihres Geiſtes, ihre Bekanntſchaft und Umgang mit dem Men- ſchen verſahe ſie mit genugſamen Vorrath. Man wird mit mir nicht zufrieden ſeyn, daß ich bloß die Moͤglichkeit, darinnen dieſes Weltalter geſtanden, auf eine vortreffliche Art zu poetiſieren, angezeiget habe; man wird ſagen, es ſey von der Moͤglichkeit noch ein weiter Schritt zur Wirklichkeit, es ſey nicht genug, daß der Zuſtand von Deutſchland ſo wohl in politiſchen, und moraliſchen, als in phyſicaliſchen Dingen damahls in einer rech- ten und bequemen Temperatur geſtanden, treff- liche Poeten hervorzubringen, und ſie mit ei- nem geſchickten Stofe fuͤr poetiſche Wercke zu verſehen; es gehoͤren noch mehrere Bedingun- gen dazu, vielerley geringere Umſtaͤnde des Privatlebens, viele Vortheile der abſonder- lichen Auferziehung, und eigene Gelegenheiten das menſchliche Geſchlechte durch und durch kennen zu lernen. Aus dieſer Urſache wird man von mir begehren, daß ich wuͤrkliche Mu- ſter von Schriften anzeige, welche die Wuͤr- kung

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/32>, abgerufen am 21.11.2024.