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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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zur III. Gottsch. Dichtk.
befreyen unternommen hätten: so wäre dieses
unstreitig eine Kränckung für mich gewesen, zu-
mahl, wenn diese gar einen grössern Beyfall
bekommen, und das Andencken aller Critick
gleichsam verhaßt und ehrlos gemachet hätten.
Allein dieses harte Schicksal hat mich, zu allem
Glücke, nicht betroffen. Die gelehrtesten Män-
ner in Zürich bestärcken durch ihren Beyfall mein
Urtheil, daß es nöthig sey, eine Dichtkunst cri-
tisch einzurichten: ja, was das meiste ist, sie
folgen meinem Exempel selber nach T, und führen
etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitläuf-
tiger aus, was ich mit so gutem Grunde und
Beyfalle angefangen hatte. V

Bey dieser Vorstellung nun rühren mich die
vorigen Einwürffe gar nicht. Der Gebrauch

der
T Ja sie folgen meinem Exempel selber nach, und)
Gottsched trägt sich mit dieser schmeichelhaften Einbildung
so sehr, daß er auch diejenigen Schriften für Nachahmun-
gen von den seinigen hält, welche etliche Jahre vor den sei-
nigen existiert haben. Siehe die Nachrichten von dem
Ursprunge der Critick bey den Deutschen
Bl. 172. u. 173.
Die verdiente Abfertigung findet er in der Aesopischen Fa-
bel vom Wolfe und dem Schafe:
Ante hos sex menses male, ait, dixisti mihi.
Respondit Agnus. Equidem natus non eram!
V Was ich mit so gutem Grunde und Beyfalle ange-
fangen hatte.)
Zum rechten Verstand dieser Ausdrückung
dienet zu wissen, daß Hr. Prof. Gottsched diese zwey Dinge
mit gutem Grunde und mit Beyfalle für gleichgültig hält:
angesehen er sich beredet, daß eine Schrift desto gründli-
cher seyn müsse, je allgemeiner der Beyfall ist, den selbige
erhält.
G 5

zur III. Gottſch. Dichtk.
befreyen unternommen haͤtten: ſo waͤre dieſes
unſtreitig eine Kraͤnckung fuͤr mich geweſen, zu-
mahl, wenn dieſe gar einen groͤſſern Beyfall
bekommen, und das Andencken aller Critick
gleichſam verhaßt und ehrlos gemachet haͤtten.
Allein dieſes harte Schickſal hat mich, zu allem
Gluͤcke, nicht betroffen. Die gelehrteſten Maͤn-
ner in Zuͤrich beſtaͤrcken durch ihren Beyfall mein
Urtheil, daß es noͤthig ſey, eine Dichtkunſt cri-
tiſch einzurichten: ja, was das meiſte iſt, ſie
folgen meinem Exempel ſelber nach T, und fuͤhren
etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitlaͤuf-
tiger aus, was ich mit ſo gutem Grunde und
Beyfalle angefangen hatte. V

Bey dieſer Vorſtellung nun ruͤhren mich die
vorigen Einwuͤrffe gar nicht. Der Gebrauch

der
T Ja ſie folgen meinem Exempel ſelber nach, und)
Gottſched traͤgt ſich mit dieſer ſchmeichelhaften Einbildung
ſo ſehr, daß er auch diejenigen Schriften fuͤr Nachahmun-
gen von den ſeinigen haͤlt, welche etliche Jahre vor den ſei-
nigen exiſtiert haben. Siehe die Nachrichten von dem
Urſprunge der Critick bey den Deutſchen
Bl. 172. u. 173.
Die verdiente Abfertigung findet er in der Aeſopiſchen Fa-
bel vom Wolfe und dem Schafe:
Ante hos ſex menſes male, ait, dixiſti mihi.
Reſpondit Agnus. Equidem natus non eram!
V Was ich mit ſo gutem Grunde und Beyfalle ange-
fangen hatte.)
Zum rechten Verſtand dieſer Ausdruͤckung
dienet zu wiſſen, daß Hr. Prof. Gottſched dieſe zwey Dinge
mit gutem Grunde und mit Beyfalle fuͤr gleichguͤltig haͤlt:
angeſehen er ſich beredet, daß eine Schrift deſto gruͤndli-
cher ſeyn muͤſſe, je allgemeiner der Beyfall iſt, den ſelbige
erhaͤlt.
G 5
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[105/0105] zur III. Gottſch. Dichtk. befreyen unternommen haͤtten: ſo waͤre dieſes unſtreitig eine Kraͤnckung fuͤr mich geweſen, zu- mahl, wenn dieſe gar einen groͤſſern Beyfall bekommen, und das Andencken aller Critick gleichſam verhaßt und ehrlos gemachet haͤtten. Allein dieſes harte Schickſal hat mich, zu allem Gluͤcke, nicht betroffen. Die gelehrteſten Maͤn- ner in Zuͤrich beſtaͤrcken durch ihren Beyfall mein Urtheil, daß es noͤthig ſey, eine Dichtkunſt cri- tiſch einzurichten: ja, was das meiſte iſt, ſie folgen meinem Exempel ſelber nach T, und fuͤhren etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitlaͤuf- tiger aus, was ich mit ſo gutem Grunde und Beyfalle angefangen hatte. V Bey dieſer Vorſtellung nun ruͤhren mich die vorigen Einwuͤrffe gar nicht. Der Gebrauch der T Ja ſie folgen meinem Exempel ſelber nach, und) Gottſched traͤgt ſich mit dieſer ſchmeichelhaften Einbildung ſo ſehr, daß er auch diejenigen Schriften fuͤr Nachahmun- gen von den ſeinigen haͤlt, welche etliche Jahre vor den ſei- nigen exiſtiert haben. Siehe die Nachrichten von dem Urſprunge der Critick bey den Deutſchen Bl. 172. u. 173. Die verdiente Abfertigung findet er in der Aeſopiſchen Fa- bel vom Wolfe und dem Schafe: Ante hos ſex menſes male, ait, dixiſti mihi. Reſpondit Agnus. Equidem natus non eram! V Was ich mit ſo gutem Grunde und Beyfalle ange- fangen hatte.) Zum rechten Verſtand dieſer Ausdruͤckung dienet zu wiſſen, daß Hr. Prof. Gottſched dieſe zwey Dinge mit gutem Grunde und mit Beyfalle fuͤr gleichguͤltig haͤlt: angeſehen er ſich beredet, daß eine Schrift deſto gruͤndli- cher ſeyn muͤſſe, je allgemeiner der Beyfall iſt, den ſelbige erhaͤlt. G 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/105>, abgerufen am 22.11.2024.