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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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Mauvillons Brief
davon nicht gereiniget, ungeachtet er vielleicht de-
ren am wenigsten hat, indem er sich den Geschmack
an die frantzösischen und englischen Poeten ge-
wöhnt hat: Und ich kan ihm die Stelle nicht

ver-
grossen Leibnitzen verdienet; dieser sagt von ihm in den Ge-
dancken von der Verbesserung der deutschen Sprache:

"Der treffliche Opitz, so bey uns, wie Virgil bey den
"Römern, der erste und lezte seines Schrots und Korns
"gewesen."
Dieser vortreffliche Opitz ist bald 80. Jahre
in Deutschland fast unbekannt geblieben, bis die Zürchi-
schen Kunstverständigen den Werth desselben angepriesen;
welches so viel gefruchtet hat, daß die Deutschen allmählig
angefangen, seinen Vorzug vor einer grossen Menge schlech-
ter Poeten von schlimmem Geschmacke zu erkennen; wie
dann Hr. Prof. Gottsched in der Vorrede zu den Crit.
Beyträgen
folgendes Zeugniß von ihm abgeleget: "Der
"unsterbliche Opitz hat in allem, was unsre Sprache,
"und die edelsten unter allen freyen Künsten angehet,
"einen gantz andern Geschmack eingeführet. Er sahe
"damahls die Muster der Franzosen und Niederländer
"schon in grosser Vollkommenheit vor Augen, und da er
"mit den alten Griechen und Römern durch ihre Schrif-
"ten so viel Bekanntschaft hatte, so schmerzte es ihn, die
"Schriften seiner Nation noch in so unförmlicher Gestalt,
"und seine Muttersprache in solcher Rauhigkeit zu sehen.
"Er gieng daher einen zu seiner Zeit in Deutschland gantz
"neuen Weg, und brach allen seinen Nachfolgern so
"glücklich die Bahn, daß wir die grosse Veränderung, so
"dadurch entstanden, nicht genugsam bewundern kön-
"nen. Doch Opitz ist noch nicht 100. Jahre todt, und
"wir sind mit der Ausführung eines so grossen Werckes,
"als die Verbesserung des Geschmacks der Deutschen ist,
"kaum bis auf die Helfte gekommen."
Ohne Zweifel
versiehet er durch den ungewissen Ausdruck kaum bis auf
die Helfte,
einen ziemlichen Grad weniger, als die Helfte:
Deutsch-

Mauvillons Brief
davon nicht gereiniget, ungeachtet er vielleicht de-
ren am wenigſten hat, indem er ſich den Geſchmack
an die frantzoͤſiſchen und engliſchen Poeten ge-
woͤhnt hat: Und ich kan ihm die Stelle nicht

ver-
groſſen Leibnitzen verdienet; dieſer ſagt von ihm in den Ge-
dancken von der Verbeſſerung der deutſchen Sprache:

„Der treffliche Opitz, ſo bey uns, wie Virgil bey den
„Roͤmern, der erſte und lezte ſeines Schrots und Korns
„geweſen.„
Dieſer vortreffliche Opitz iſt bald 80. Jahre
in Deutſchland faſt unbekannt geblieben, bis die Zuͤrchi-
ſchen Kunſtverſtaͤndigen den Werth deſſelben angeprieſen;
welches ſo viel gefruchtet hat, daß die Deutſchen allmaͤhlig
angefangen, ſeinen Vorzug vor einer groſſen Menge ſchlech-
ter Poeten von ſchlimmem Geſchmacke zu erkennen; wie
dann Hr. Prof. Gottſched in der Vorrede zu den Crit.
Beytraͤgen
folgendes Zeugniß von ihm abgeleget: „Der
„unſterbliche Opitz hat in allem, was unſre Sprache,
„und die edelſten unter allen freyen Kuͤnſten angehet,
„einen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret. Er ſahe
„damahls die Muſter der Franzoſen und Niederlaͤnder
„ſchon in groſſer Vollkommenheit vor Augen, und da er
„mit den alten Griechen und Roͤmern durch ihre Schrif-
„ten ſo viel Bekanntſchaft hatte, ſo ſchmerzte es ihn, die
„Schriften ſeiner Nation noch in ſo unfoͤrmlicher Geſtalt,
„und ſeine Mutterſprache in ſolcher Rauhigkeit zu ſehen.
„Er gieng daher einen zu ſeiner Zeit in Deutſchland gantz
„neuen Weg, und brach allen ſeinen Nachfolgern ſo
„gluͤcklich die Bahn, daß wir die groſſe Veraͤnderung, ſo
„dadurch entſtanden, nicht genugſam bewundern koͤn-
„nen. Doch Opitz iſt noch nicht 100. Jahre todt, und
„wir ſind mit der Ausfuͤhrung eines ſo groſſen Werckes,
„als die Verbeſſerung des Geſchmacks der Deutſchen iſt,
kaum bis auf die Helfte gekommen.„
Ohne Zweifel
verſiehet er durch den ungewiſſen Ausdruck kaum bis auf
die Helfte,
einen ziemlichen Grad weniger, als die Helfte:
Deutſch-
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[70/0070] Mauvillons Brief davon nicht gereiniget, ungeachtet er vielleicht de- ren am wenigſten hat, indem er ſich den Geſchmack an die frantzoͤſiſchen und engliſchen Poeten ge- woͤhnt hat: Und ich kan ihm die Stelle nicht ver- groſſen Leibnitzen verdienet; dieſer ſagt von ihm in den Ge- dancken von der Verbeſſerung der deutſchen Sprache: „Der treffliche Opitz, ſo bey uns, wie Virgil bey den „Roͤmern, der erſte und lezte ſeines Schrots und Korns „geweſen.„ Dieſer vortreffliche Opitz iſt bald 80. Jahre in Deutſchland faſt unbekannt geblieben, bis die Zuͤrchi- ſchen Kunſtverſtaͤndigen den Werth deſſelben angeprieſen; welches ſo viel gefruchtet hat, daß die Deutſchen allmaͤhlig angefangen, ſeinen Vorzug vor einer groſſen Menge ſchlech- ter Poeten von ſchlimmem Geſchmacke zu erkennen; wie dann Hr. Prof. Gottſched in der Vorrede zu den Crit. Beytraͤgen folgendes Zeugniß von ihm abgeleget: „Der „unſterbliche Opitz hat in allem, was unſre Sprache, „und die edelſten unter allen freyen Kuͤnſten angehet, „einen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret. Er ſahe „damahls die Muſter der Franzoſen und Niederlaͤnder „ſchon in groſſer Vollkommenheit vor Augen, und da er „mit den alten Griechen und Roͤmern durch ihre Schrif- „ten ſo viel Bekanntſchaft hatte, ſo ſchmerzte es ihn, die „Schriften ſeiner Nation noch in ſo unfoͤrmlicher Geſtalt, „und ſeine Mutterſprache in ſolcher Rauhigkeit zu ſehen. „Er gieng daher einen zu ſeiner Zeit in Deutſchland gantz „neuen Weg, und brach allen ſeinen Nachfolgern ſo „gluͤcklich die Bahn, daß wir die groſſe Veraͤnderung, ſo „dadurch entſtanden, nicht genugſam bewundern koͤn- „nen. Doch Opitz iſt noch nicht 100. Jahre todt, und „wir ſind mit der Ausfuͤhrung eines ſo groſſen Werckes, „als die Verbeſſerung des Geſchmacks der Deutſchen iſt, „kaum bis auf die Helfte gekommen.„ Ohne Zweifel verſiehet er durch den ungewiſſen Ausdruck kaum bis auf die Helfte, einen ziemlichen Grad weniger, als die Helfte: Deutſch-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/70>, abgerufen am 24.11.2024.