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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.
get haben, daß sie in diesem Stücke Wunder

gethan
"Ansehung ihres Geschmacks vorkommen. Sie bezeigen
"eine Neigung zu allen Arten des Sinnreichen, eben so
"wohl als ihre Vorgänger die Alten, und ihre Nachbarn,
"die übrigen Europeer: Aber hierinnen finde ich einen
"grossen Unterschied, daß jene allemahl selbst gearbeitet,
"und sich dabey keine Regeln vorgeschrieben, als solche,
"die theils die gesunde Vernunft, und die Bequemlich-
"keit in der Ausarbeitung, theils der Wohlstand in der
"Ausübung, erfoderten. Diese aber scheinen sich fast
"vor eigenen Arbeiten zu fürchten, und lassen sich an
"sclavischen Nachahmungen und Uebersetzungen begnü-
"gen;
legen sich aber dabey so schwere und fast nicht zu
"übersteigende Regeln auf, daß sie mit Widerwillen ar-
"beiten, schwer und unverständlich werden, endlich auch
"der Natur Gewalt thun."
Jch lasse nun meine Leser
selbst urtheilen, ob Hr. Mauvillon nicht bescheidener von
unsren deutschen Poeten und ihren Unvollkommenheiten ge-
redet habe, als diese deut chen Kunstrichter selbst. Ehe
ich aber diese Anmerckung beschliesse, muß ich noch etwas
mit zweyen Worten über die aus Hrn. M. Schwaben Vor-
rede zu seinen Belustigungen oben angeführte Vergleichung
Rachels mit Boileau, Hagedorns mit la Fontaine, und
Gottscheds mit Corneille anmercken. Was den Hrn. von
Hagedorn anlanget, so wird er hier mit la Fontaine in ei-
ne Linie gesezt; in dem XXII. St. der Beytr. Bl. 299. u. f.
aber weit unter den Stoppe, der ein eben so schlechter Fa-
beldichter als Triller ist, hinuntergesetzet: Beydemahl mit
Unrecht, wie er selbst erkennt. Und wer des Hrn. von
Hagedorn
und Stoppens Fabeln mit Verstande und cri-
tischer Einsicht gelesen hat, wird das verkehrte und hämi-
sche Urtheil, welches in dem angezogenen Orte der Bey-
träge
Bl. 300. 304. u. 306. gefället wird, nicht ohne Ver-
druß lesen. Jm übrigen schäme ich mich für die deutsche
Nation, daß sie an Schwaben einen so ungeschickten Ver-
fechter

von den deutſchen Poeten.
get haben, daß ſie in dieſem Stuͤcke Wunder

gethan
„Anſehung ihres Geſchmacks vorkommen. Sie bezeigen
„eine Neigung zu allen Arten des Sinnreichen, eben ſo
„wohl als ihre Vorgaͤnger die Alten, und ihre Nachbarn,
„die uͤbrigen Europeer: Aber hierinnen finde ich einen
„groſſen Unterſchied, daß jene allemahl ſelbſt gearbeitet,
„und ſich dabey keine Regeln vorgeſchrieben, als ſolche,
„die theils die geſunde Vernunft, und die Bequemlich-
„keit in der Ausarbeitung, theils der Wohlſtand in der
„Ausuͤbung, erfoderten. Dieſe aber ſcheinen ſich faſt
„vor eigenen Arbeiten zu fuͤrchten, und laſſen ſich an
„ſclaviſchen Nachahmungen und Ueberſetzungen begnuͤ-
„gen;
legen ſich aber dabey ſo ſchwere und faſt nicht zu
„uͤberſteigende Regeln auf, daß ſie mit Widerwillen ar-
„beiten, ſchwer und unverſtaͤndlich werden, endlich auch
„der Natur Gewalt thun.„
Jch laſſe nun meine Leſer
ſelbſt urtheilen, ob Hr. Mauvillon nicht beſcheidener von
unſren deutſchen Poeten und ihren Unvollkommenheiten ge-
redet habe, als dieſe deut chen Kunſtrichter ſelbſt. Ehe
ich aber dieſe Anmerckung beſchlieſſe, muß ich noch etwas
mit zweyen Worten uͤber die aus Hrn. M. Schwaben Vor-
rede zu ſeinen Beluſtigungen oben angefuͤhrte Vergleichung
Rachels mit Boileau, Hagedorns mit la Fontaine, und
Gottſcheds mit Corneille anmercken. Was den Hrn. von
Hagedorn anlanget, ſo wird er hier mit la Fontaine in ei-
ne Linie geſezt; in dem XXII. St. der Beytr. Bl. 299. u. f.
aber weit unter den Stoppe, der ein eben ſo ſchlechter Fa-
beldichter als Triller iſt, hinuntergeſetzet: Beydemahl mit
Unrecht, wie er ſelbſt erkennt. Und wer des Hrn. von
Hagedorn
und Stoppens Fabeln mit Verſtande und cri-
tiſcher Einſicht geleſen hat, wird das verkehrte und haͤmi-
ſche Urtheil, welches in dem angezogenen Orte der Bey-
traͤge
Bl. 300. 304. u. 306. gefaͤllet wird, nicht ohne Ver-
druß leſen. Jm uͤbrigen ſchaͤme ich mich fuͤr die deutſche
Nation, daß ſie an Schwaben einen ſo ungeſchickten Ver-
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[63/0063] von den deutſchen Poeten. get haben, daß ſie in dieſem Stuͤcke Wunder gethan „Anſehung ihres Geſchmacks vorkommen. Sie bezeigen „eine Neigung zu allen Arten des Sinnreichen, eben ſo „wohl als ihre Vorgaͤnger die Alten, und ihre Nachbarn, „die uͤbrigen Europeer: Aber hierinnen finde ich einen „groſſen Unterſchied, daß jene allemahl ſelbſt gearbeitet, „und ſich dabey keine Regeln vorgeſchrieben, als ſolche, „die theils die geſunde Vernunft, und die Bequemlich- „keit in der Ausarbeitung, theils der Wohlſtand in der „Ausuͤbung, erfoderten. Dieſe aber ſcheinen ſich faſt „vor eigenen Arbeiten zu fuͤrchten, und laſſen ſich an „ſclaviſchen Nachahmungen und Ueberſetzungen begnuͤ- „gen; legen ſich aber dabey ſo ſchwere und faſt nicht zu „uͤberſteigende Regeln auf, daß ſie mit Widerwillen ar- „beiten, ſchwer und unverſtaͤndlich werden, endlich auch „der Natur Gewalt thun.„ Jch laſſe nun meine Leſer ſelbſt urtheilen, ob Hr. Mauvillon nicht beſcheidener von unſren deutſchen Poeten und ihren Unvollkommenheiten ge- redet habe, als dieſe deut chen Kunſtrichter ſelbſt. Ehe ich aber dieſe Anmerckung beſchlieſſe, muß ich noch etwas mit zweyen Worten uͤber die aus Hrn. M. Schwaben Vor- rede zu ſeinen Beluſtigungen oben angefuͤhrte Vergleichung Rachels mit Boileau, Hagedorns mit la Fontaine, und Gottſcheds mit Corneille anmercken. Was den Hrn. von Hagedorn anlanget, ſo wird er hier mit la Fontaine in ei- ne Linie geſezt; in dem XXII. St. der Beytr. Bl. 299. u. f. aber weit unter den Stoppe, der ein eben ſo ſchlechter Fa- beldichter als Triller iſt, hinuntergeſetzet: Beydemahl mit Unrecht, wie er ſelbſt erkennt. Und wer des Hrn. von Hagedorn und Stoppens Fabeln mit Verſtande und cri- tiſcher Einſicht geleſen hat, wird das verkehrte und haͤmi- ſche Urtheil, welches in dem angezogenen Orte der Bey- traͤge Bl. 300. 304. u. 306. gefaͤllet wird, nicht ohne Ver- druß leſen. Jm uͤbrigen ſchaͤme ich mich fuͤr die deutſche Nation, daß ſie an Schwaben einen ſo ungeſchickten Ver- fechter

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/63>, abgerufen am 24.11.2024.