[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.von den deutschen Poeten. Lustigen. Alle Ausdrücke sind da gleich gut, undman macht da keinen Unterschied zwischen prosai- schen Imitez de Marot l'elegant badinage. Zu der marotischen Schreibart wird Marots Geist, nicht nur seine Worte erfodert. Dieser war sehr fein und sehr anmuthig. Jn allem, was er sagt, ist Anmuth, und seine gemeinsten Gedancken werden durch die Ausbildung geschmückt. Also heißt man die angenehme Leichtigkeit, die natürliche Fliessendheit, die aus Marots Geist, als ihrer wahren Quelle entsprang, aus Danckbarkeit die marotische Schreibart, weil sie ihm so gar eigenthümlich war. Alles in seinen Gedichten gehört dem Naturell zu, nichts der Be- mühung, nemlich einer Bemühung, die sich selber ver- rathe und mercken lasse. Jn diesem Stücke haben ihn die anmuthigsten Köpfe unter den französischen Poeten für ih- ren Lehrmeister erkennt; als der Hr. de la Fontaine, der Abt Chaulieu etc. Jch bin versichert, daß diese geistreiche Kö- pfe in ihrem Gebrauche der alten marotischen Sprache am allerwenigsten derauf gesehen haben, daß sie die Miltze ihrer Leser durch den ungewöhnlichen und veralterten Klang derselben belustigten. Das veralterte und aus der Gewohn- heit gekommene in dieser Sprache dienete ihnen mithin, den Schertz durch ein merckliches Kennzeichen von dem Ernst zu unterscheiden; so wie dem Harlekin auf dem Schauplatze eine absonderliche an Schnitte und Farbe eigene Kleidung affectirt ist. Nun ist es ein Zeichen des guten Geschmackes, und ein Beweisthum des Reichthums der französischen Sprache, daß man nicht genöthiget ist, zum Schertze eben die Sprache zu brauchen, welche man zum Ernste anwen- det: Wie es einen Mangel anzeiget, wo man eine ernst- hafte und an sich selbst männliche Sprache hat, wie die deutsche eine solche ist, die man auch zum Schertze und zu Possen brauchen muß, aber sie eben dadurch mißbraucht, und entweihet; massen es schwerlich geschehen kan, daß sich nicht an einige Worte und Redensarten etwas verächt- liches D 2
von den deutſchen Poeten. Luſtigen. Alle Ausdruͤcke ſind da gleich gut, undman macht da keinen Unterſchied zwiſchen proſai- ſchen Imitez de Marot l’elegant badinage. Zu der marotiſchen Schreibart wird Marots Geiſt, nicht nur ſeine Worte erfodert. Dieſer war ſehr fein und ſehr anmuthig. Jn allem, was er ſagt, iſt Anmuth, und ſeine gemeinſten Gedancken werden durch die Ausbildung geſchmuͤckt. Alſo heißt man die angenehme Leichtigkeit, die natuͤrliche Flieſſendheit, die aus Marots Geiſt, als ihrer wahren Quelle entſprang, aus Danckbarkeit die marotiſche Schreibart, weil ſie ihm ſo gar eigenthuͤmlich war. Alles in ſeinen Gedichten gehoͤrt dem Naturell zu, nichts der Be- muͤhung, nemlich einer Bemuͤhung, die ſich ſelber ver- rathe und mercken laſſe. Jn dieſem Stuͤcke haben ihn die anmuthigſten Koͤpfe unter den franzoͤſiſchen Poeten fuͤr ih- ren Lehrmeiſter erkennt; als der Hr. de la Fontaine, der Abt Chaulieu ꝛc. Jch bin verſichert, daß dieſe geiſtreiche Koͤ- pfe in ihrem Gebrauche der alten marotiſchen Sprache am allerwenigſten derauf geſehen haben, daß ſie die Miltze ihrer Leſer durch den ungewoͤhnlichen und veralterten Klang derſelben beluſtigten. Das veralterte und aus der Gewohn- heit gekommene in dieſer Sprache dienete ihnen mithin, den Schertz durch ein merckliches Kennzeichen von dem Ernſt zu unterſcheiden; ſo wie dem Harlekin auf dem Schauplatze eine abſonderliche an Schnitte und Farbe eigene Kleidung affectirt iſt. Nun iſt es ein Zeichen des guten Geſchmackes, und ein Beweisthum des Reichthums der franzoͤſiſchen Sprache, daß man nicht genoͤthiget iſt, zum Schertze eben die Sprache zu brauchen, welche man zum Ernſte anwen- det: Wie es einen Mangel anzeiget, wo man eine ernſt- hafte und an ſich ſelbſt maͤnnliche Sprache hat, wie die deutſche eine ſolche iſt, die man auch zum Schertze und zu Poſſen brauchen muß, aber ſie eben dadurch mißbraucht, und entweihet; maſſen es ſchwerlich geſchehen kan, daß ſich nicht an einige Worte und Redensarten etwas veraͤcht- liches D 2
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von den deutſchen Poeten.
Luſtigen. Alle Ausdruͤcke ſind da gleich gut, und
man macht da keinen Unterſchied zwiſchen proſai-
ſchen
Imitez de Marot l’elegant badinage.
Zu der marotiſchen Schreibart wird Marots Geiſt, nicht
nur ſeine Worte erfodert. Dieſer war ſehr fein und ſehr
anmuthig. Jn allem, was er ſagt, iſt Anmuth, und
ſeine gemeinſten Gedancken werden durch die Ausbildung
geſchmuͤckt. Alſo heißt man die angenehme Leichtigkeit, die
natuͤrliche Flieſſendheit, die aus Marots Geiſt, als ihrer
wahren Quelle entſprang, aus Danckbarkeit die marotiſche
Schreibart, weil ſie ihm ſo gar eigenthuͤmlich war. Alles
in ſeinen Gedichten gehoͤrt dem Naturell zu, nichts der Be-
muͤhung, nemlich einer Bemuͤhung, die ſich ſelber ver-
rathe und mercken laſſe. Jn dieſem Stuͤcke haben ihn die
anmuthigſten Koͤpfe unter den franzoͤſiſchen Poeten fuͤr ih-
ren Lehrmeiſter erkennt; als der Hr. de la Fontaine, der Abt
Chaulieu ꝛc. Jch bin verſichert, daß dieſe geiſtreiche Koͤ-
pfe in ihrem Gebrauche der alten marotiſchen Sprache am
allerwenigſten derauf geſehen haben, daß ſie die Miltze
ihrer Leſer durch den ungewoͤhnlichen und veralterten Klang
derſelben beluſtigten. Das veralterte und aus der Gewohn-
heit gekommene in dieſer Sprache dienete ihnen mithin, den
Schertz durch ein merckliches Kennzeichen von dem Ernſt zu
unterſcheiden; ſo wie dem Harlekin auf dem Schauplatze
eine abſonderliche an Schnitte und Farbe eigene Kleidung
affectirt iſt. Nun iſt es ein Zeichen des guten Geſchmackes,
und ein Beweisthum des Reichthums der franzoͤſiſchen
Sprache, daß man nicht genoͤthiget iſt, zum Schertze eben
die Sprache zu brauchen, welche man zum Ernſte anwen-
det: Wie es einen Mangel anzeiget, wo man eine ernſt-
hafte und an ſich ſelbſt maͤnnliche Sprache hat, wie die
deutſche eine ſolche iſt, die man auch zum Schertze und
zu Poſſen brauchen muß, aber ſie eben dadurch mißbraucht,
und entweihet; maſſen es ſchwerlich geſchehen kan, daß
ſich nicht an einige Worte und Redensarten etwas veraͤcht-
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