Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

des deutschen Witzes.
der Gebräuche von einem Schriftverfasser ohne
die gröste Ungerechtigkeit nicht fodern, daß er alle-
mahl gerade die bey ihnen üblichen Gebräuche zum
Grunde seiner Allusionen annehme; sondern man
muß zufrieden seyn, wenn er dergleichen verblühm-
te Redensarten mit der bey ihm landüblichen
Mode und Gewohnheit rechtfertigen kan. Die-
semnach muß man wissen, daß ich die Blätter der
Trillerischen Schutzvorrede, wie sie auf einander
folgen und mit einander verknüpft sind, als so viele
Ribben angesehen, da nun diese in dem Schwei-
zerlande nach dem bey den dasigen Artzneyverstän-
digen beliebten Kunstworte abgelöst, hergegen
Arm und Bein abgenommen oder abgestossen
werden, habe ich mich nicht wohl anderst ausdrü-
ken können: Denn bey uns sind mit einander
verbunden seyn,
und auf oder abgelöst wer-
den, Redensarten, die sich auf einander bezie-
hen, und man kan bey uns keine Ribbe weg-
schneiden, ohne dieselbe abzulösen. Aber in
Deutschland muß dergleichen Operation, wie ich
höre, gantz anders eingerichtet seyn. Daselbst ist
das Ribbenablösen seit einer Handvoll 1000.
Jahre beynahe überall aus der Mode gekom-
men,
und man hat eine gewisse neue Erfindung,
nach welcher man die Ribbe wegschneiden kan,
ohne sie zu lösen. Hergegen werden die Glie-
der, Arm und Bein, nicht mehr abgenommen
oder abgestossen, sondern nur abgelöst. So
werden
auch in Deutschland die Wunden nicht
geschlagen, sondern nur schlechtweg
gemacht.
Und ich wollte niemand rathen, daß er so frech

seyn

des deutſchen Witzes.
der Gebraͤuche von einem Schriftverfaſſer ohne
die groͤſte Ungerechtigkeit nicht fodern, daß er alle-
mahl gerade die bey ihnen uͤblichen Gebraͤuche zum
Grunde ſeiner Alluſionen annehme; ſondern man
muß zufrieden ſeyn, wenn er dergleichen verbluͤhm-
te Redensarten mit der bey ihm landuͤblichen
Mode und Gewohnheit rechtfertigen kan. Die-
ſemnach muß man wiſſen, daß ich die Blaͤtter der
Trilleriſchen Schutzvorrede, wie ſie auf einander
folgen und mit einander verknuͤpft ſind, als ſo viele
Ribben angeſehen, da nun dieſe in dem Schwei-
zerlande nach dem bey den daſigen Artzneyverſtaͤn-
digen beliebten Kunſtworte abgeloͤſt, hergegen
Arm und Bein abgenommen oder abgeſtoſſen
werden, habe ich mich nicht wohl anderſt ausdruͤ-
ken koͤnnen: Denn bey uns ſind mit einander
verbunden ſeyn,
und auf oder abgeloͤſt wer-
den, Redensarten, die ſich auf einander bezie-
hen, und man kan bey uns keine Ribbe weg-
ſchneiden, ohne dieſelbe abzuloͤſen. Aber in
Deutſchland muß dergleichen Operation, wie ich
hoͤre, gantz anders eingerichtet ſeyn. Daſelbſt iſt
das Ribbenabloͤſen ſeit einer Handvoll 1000.
Jahre beynahe uͤberall aus der Mode gekom-
men,
und man hat eine gewiſſe neue Erfindung,
nach welcher man die Ribbe wegſchneiden kan,
ohne ſie zu loͤſen. Hergegen werden die Glie-
der, Arm und Bein, nicht mehr abgenommen
oder abgeſtoſſen, ſondern nur abgeloͤſt. So
werden
auch in Deutſchland die Wunden nicht
geſchlagen, ſondern nur ſchlechtweg
gemacht.
Und ich wollte niemand rathen, daß er ſo frech

ſeyn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des deut&#x017F;chen Witzes.</hi></fw><lb/>
der Gebra&#x0364;uche von einem Schriftverfa&#x017F;&#x017F;er ohne<lb/>
die gro&#x0364;&#x017F;te Ungerechtigkeit nicht fodern, daß er alle-<lb/>
mahl gerade die bey ihnen u&#x0364;blichen Gebra&#x0364;uche zum<lb/>
Grunde &#x017F;einer Allu&#x017F;ionen annehme; &#x017F;ondern man<lb/>
muß zufrieden &#x017F;eyn, wenn er dergleichen verblu&#x0364;hm-<lb/>
te Redensarten mit der bey ihm landu&#x0364;blichen<lb/>
Mode und Gewohnheit rechtfertigen kan. Die-<lb/>
&#x017F;emnach muß man wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich die Bla&#x0364;tter der<lb/>
Trilleri&#x017F;chen Schutzvorrede, wie &#x017F;ie auf einander<lb/>
folgen und mit einander verknu&#x0364;pft &#x017F;ind, als &#x017F;o viele<lb/>
Ribben ange&#x017F;ehen, da nun die&#x017F;e in dem Schwei-<lb/>
zerlande nach dem bey den da&#x017F;igen Artzneyver&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digen beliebten Kun&#x017F;tworte <hi rendition="#fr">abgelo&#x0364;&#x017F;t,</hi> hergegen<lb/>
Arm und Bein <hi rendition="#fr">abgenommen</hi> oder <hi rendition="#fr">abge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
werden, habe ich mich nicht wohl ander&#x017F;t ausdru&#x0364;-<lb/>
ken ko&#x0364;nnen: Denn bey uns &#x017F;ind <hi rendition="#fr">mit einander<lb/>
verbunden &#x017F;eyn,</hi> und <hi rendition="#fr">auf</hi> oder <hi rendition="#fr">abgelo&#x0364;&#x017F;t</hi> wer-<lb/>
den, Redensarten, die &#x017F;ich auf einander bezie-<lb/>
hen, und man kan bey uns keine Ribbe weg-<lb/>
&#x017F;chneiden, ohne die&#x017F;elbe <hi rendition="#fr">abzulo&#x0364;&#x017F;en.</hi> Aber in<lb/>
Deut&#x017F;chland muß dergleichen Operation, wie ich<lb/>
ho&#x0364;re, gantz anders eingerichtet &#x017F;eyn. <hi rendition="#fr">Da&#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t<lb/>
das Ribbenablo&#x0364;&#x017F;en &#x017F;eit einer Handvoll 1000.<lb/>
Jahre beynahe u&#x0364;berall aus der Mode gekom-<lb/>
men,</hi> und man hat eine gewi&#x017F;&#x017F;e neue Erfindung,<lb/>
nach welcher man die Ribbe weg&#x017F;chneiden kan,<lb/>
ohne &#x017F;ie <hi rendition="#fr">zu lo&#x0364;&#x017F;en.</hi> Hergegen werden die Glie-<lb/>
der, Arm und Bein, nicht mehr <hi rendition="#fr">abgenommen</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">abge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en,</hi> &#x017F;ondern nur <hi rendition="#fr">abgelo&#x0364;&#x017F;t. So<lb/>
werden</hi> auch <hi rendition="#fr">in Deut&#x017F;chland die Wunden nicht<lb/>
ge&#x017F;chlagen, &#x017F;ondern nur &#x017F;chlechtweg</hi> gemacht.<lb/>
Und ich wollte niemand rathen, daß er &#x017F;o frech<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eyn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0081] des deutſchen Witzes. der Gebraͤuche von einem Schriftverfaſſer ohne die groͤſte Ungerechtigkeit nicht fodern, daß er alle- mahl gerade die bey ihnen uͤblichen Gebraͤuche zum Grunde ſeiner Alluſionen annehme; ſondern man muß zufrieden ſeyn, wenn er dergleichen verbluͤhm- te Redensarten mit der bey ihm landuͤblichen Mode und Gewohnheit rechtfertigen kan. Die- ſemnach muß man wiſſen, daß ich die Blaͤtter der Trilleriſchen Schutzvorrede, wie ſie auf einander folgen und mit einander verknuͤpft ſind, als ſo viele Ribben angeſehen, da nun dieſe in dem Schwei- zerlande nach dem bey den daſigen Artzneyverſtaͤn- digen beliebten Kunſtworte abgeloͤſt, hergegen Arm und Bein abgenommen oder abgeſtoſſen werden, habe ich mich nicht wohl anderſt ausdruͤ- ken koͤnnen: Denn bey uns ſind mit einander verbunden ſeyn, und auf oder abgeloͤſt wer- den, Redensarten, die ſich auf einander bezie- hen, und man kan bey uns keine Ribbe weg- ſchneiden, ohne dieſelbe abzuloͤſen. Aber in Deutſchland muß dergleichen Operation, wie ich hoͤre, gantz anders eingerichtet ſeyn. Daſelbſt iſt das Ribbenabloͤſen ſeit einer Handvoll 1000. Jahre beynahe uͤberall aus der Mode gekom- men, und man hat eine gewiſſe neue Erfindung, nach welcher man die Ribbe wegſchneiden kan, ohne ſie zu loͤſen. Hergegen werden die Glie- der, Arm und Bein, nicht mehr abgenommen oder abgeſtoſſen, ſondern nur abgeloͤſt. So werden auch in Deutſchland die Wunden nicht geſchlagen, ſondern nur ſchlechtweg gemacht. Und ich wollte niemand rathen, daß er ſo frech ſeyn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/81
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/81>, abgerufen am 24.11.2024.