Demnach muß man die Freyheiten, die Mil- ton in seiner Sprache genommen, und nach der Fähigkeit und der Verfassungsart derselben, und dem Naturelle der Engelländer abgemessen hat, nicht nach der gewissenhaften Sorgfältigkeit der französischen oder sonst einer eingeschräncktern Sprache beurtheilen, noch sich einbilden, was in den furchtsamern nicht angehet, stehe auch in den kühnern nicht wohl. Man handelt verständi- ger, wenn man dergleichen kühnen Gebrauch nach demjenigen mißt, was in einer eben so freyen, und eben so gelenkigen Sprache einer großmüthi- gen und gelehrten Nation ohne jemandes Aerger- niß geschehen kan. Eine solche Sprache war eh- mahls die Griechische, in welcher Homer mit so gutem Fortgange die Formen und Arten fremder Sprachen und Dialecten eingepfropfet hat. Ei- ne solche ist zu unsern Zeiten die Jtaliänische, von der man rühmet, sie sey wie Wachs, und neh- me alle Figuren an, die man darinnen ausdrü- ken wolle, sie bequeme sich, wozu es sey, und lenke sich, wie die Regula Lesbia, nach den Sachen; sie sey nicht so spröde, nicht so eigen- sinnig und mit sich allein zufrieden, daß sie nicht die Formen andrer Sprachen gerne an sich nehme, und sich eigen mache. Wir haben auch den Be- weis dessen aus der Erfahrung. Denn eben des- wegen ist es einigen geschickten Jtalienern gelun- gen, daß sie die Redensarten des verlohrnen Pa- radieses mit alle den Freyheiten des Englischen Poeten gegeben haben. Salvini, Magalotti, Rolli haben gemeiniglich alle seine Worte, und
mit
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in Miltons verlohrnen Paradieſe.
Demnach muß man die Freyheiten, die Mil- ton in ſeiner Sprache genommen, und nach der Faͤhigkeit und der Verfaſſungsart derſelben, und dem Naturelle der Engellaͤnder abgemeſſen hat, nicht nach der gewiſſenhaften Sorgfaͤltigkeit der franzoͤſiſchen oder ſonſt einer eingeſchraͤncktern Sprache beurtheilen, noch ſich einbilden, was in den furchtſamern nicht angehet, ſtehe auch in den kuͤhnern nicht wohl. Man handelt verſtaͤndi- ger, wenn man dergleichen kuͤhnen Gebrauch nach demjenigen mißt, was in einer eben ſo freyen, und eben ſo gelenkigen Sprache einer großmuͤthi- gen und gelehrten Nation ohne jemandes Aerger- niß geſchehen kan. Eine ſolche Sprache war eh- mahls die Griechiſche, in welcher Homer mit ſo gutem Fortgange die Formen und Arten fremder Sprachen und Dialecten eingepfropfet hat. Ei- ne ſolche iſt zu unſern Zeiten die Jtaliaͤniſche, von der man ruͤhmet, ſie ſey wie Wachs, und neh- me alle Figuren an, die man darinnen ausdruͤ- ken wolle, ſie bequeme ſich, wozu es ſey, und lenke ſich, wie die Regula Lesbia, nach den Sachen; ſie ſey nicht ſo ſproͤde, nicht ſo eigen- ſinnig und mit ſich allein zufrieden, daß ſie nicht die Formen andrer Sprachen gerne an ſich nehme, und ſich eigen mache. Wir haben auch den Be- weis deſſen aus der Erfahrung. Denn eben des- wegen iſt es einigen geſchickten Jtalienern gelun- gen, daß ſie die Redensarten des verlohrnen Pa- radieſes mit alle den Freyheiten des Engliſchen Poeten gegeben haben. Salvini, Magalotti, Rolli haben gemeiniglich alle ſeine Worte, und
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in Miltons verlohrnen Paradieſe.
Demnach muß man die Freyheiten, die Mil-
ton in ſeiner Sprache genommen, und nach der
Faͤhigkeit und der Verfaſſungsart derſelben, und
dem Naturelle der Engellaͤnder abgemeſſen hat,
nicht nach der gewiſſenhaften Sorgfaͤltigkeit der
franzoͤſiſchen oder ſonſt einer eingeſchraͤncktern
Sprache beurtheilen, noch ſich einbilden, was
in den furchtſamern nicht angehet, ſtehe auch in
den kuͤhnern nicht wohl. Man handelt verſtaͤndi-
ger, wenn man dergleichen kuͤhnen Gebrauch nach
demjenigen mißt, was in einer eben ſo freyen,
und eben ſo gelenkigen Sprache einer großmuͤthi-
gen und gelehrten Nation ohne jemandes Aerger-
niß geſchehen kan. Eine ſolche Sprache war eh-
mahls die Griechiſche, in welcher Homer mit ſo
gutem Fortgange die Formen und Arten fremder
Sprachen und Dialecten eingepfropfet hat. Ei-
ne ſolche iſt zu unſern Zeiten die Jtaliaͤniſche, von
der man ruͤhmet, ſie ſey wie Wachs, und neh-
me alle Figuren an, die man darinnen ausdruͤ-
ken wolle, ſie bequeme ſich, wozu es ſey, und
lenke ſich, wie die Regula Lesbia, nach den
Sachen; ſie ſey nicht ſo ſproͤde, nicht ſo eigen-
ſinnig und mit ſich allein zufrieden, daß ſie nicht
die Formen andrer Sprachen gerne an ſich nehme,
und ſich eigen mache. Wir haben auch den Be-
weis deſſen aus der Erfahrung. Denn eben des-
wegen iſt es einigen geſchickten Jtalienern gelun-
gen, daß ſie die Redensarten des verlohrnen Pa-
radieſes mit alle den Freyheiten des Engliſchen
Poeten gegeben haben. Salvini, Magalotti,
Rolli haben gemeiniglich alle ſeine Worte, und
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/89>, abgerufen am 27.07.2024.
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