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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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der herrschenden Poeten.
chen Deutschland hohnzusprechen. Jch bekenne die
Schweizer ligen mir hart auf dem Naken, und ich
weiß mir nicht zu rathen. Soll ich meine eige-
nen Regeln widerruffen, die ich aus meinen Fin-
gern herausgesogen habe; die so mechanisch sind,
daß man weder Kopf noch Geist zum schreiben
nöthig hat; soll ich sie um andere vertauschen,
die ganz theoretisch und speculatif sind, wozu Na-
turell, Talent uud Schöpfungskraft, erfodert
werden?

Seine geschikte Freundin richtete ihn mit trost-
vollen Worten auf.

Aengste dich nicht ohne Noth, mein Freund,
es ist noch lange nicht an dem, daß die Deutschen
von den Schweizern werden lernen wollen, wie
sie schreiben sollen. Sie werden es lieber von dir
lernen: Sie haben die ersten Eindrüke schon von
dir empfangen. Deine Art zu denken, deine Ver-
standes- und Einbildungskräfte stimmen mit ihrer
Fähigkeit, mit ihren Gemüthesgaben, am besten
überein. Es ist keine so leichte Sache, ihnen den
Kopf in ein anderes Gelenke zu sezen. Sie kön-
nen sich von dem Ergezen nicht so leicht entwöh-
nen, das ihnen geläuftig ist. Wer hat mehrere
und stärkere Proben von ihrer Geduld in Händen,
als du selber in dem Beyfall findest, den sie deinen
Schriften noch täglich geben, dieser ist dir da-
vor gut, daß sie von den Schweizern noch nicht
bekehret worden. Erinnere dich auch, wie du sie
in dem Biedermanne mit einer Fabel und ein paar
spöttischen Ausdrüken zurükgewiesen hast. Sil-
cow hätte längst Anlaß gehabt, dir eines zu ver-

sezen,

der herrſchenden Poeten.
chen Deutſchland hohnzuſprechen. Jch bekenne die
Schweizer ligen mir hart auf dem Naken, und ich
weiß mir nicht zu rathen. Soll ich meine eige-
nen Regeln widerruffen, die ich aus meinen Fin-
gern herausgeſogen habe; die ſo mechaniſch ſind,
daß man weder Kopf noch Geiſt zum ſchreiben
noͤthig hat; ſoll ich ſie um andere vertauſchen,
die ganz theoretiſch und ſpeculatif ſind, wozu Na-
turell, Talent uud Schoͤpfungskraft, erfodert
werden?

Seine geſchikte Freundin richtete ihn mit troſt-
vollen Worten auf.

Aengſte dich nicht ohne Noth, mein Freund,
es iſt noch lange nicht an dem, daß die Deutſchen
von den Schweizern werden lernen wollen, wie
ſie ſchreiben ſollen. Sie werden es lieber von dir
lernen: Sie haben die erſten Eindruͤke ſchon von
dir empfangen. Deine Art zu denken, deine Ver-
ſtandes- und Einbildungskraͤfte ſtimmen mit ihrer
Faͤhigkeit, mit ihren Gemuͤthesgaben, am beſten
uͤberein. Es iſt keine ſo leichte Sache, ihnen den
Kopf in ein anderes Gelenke zu ſezen. Sie koͤn-
nen ſich von dem Ergezen nicht ſo leicht entwoͤh-
nen, das ihnen gelaͤuftig iſt. Wer hat mehrere
und ſtaͤrkere Proben von ihrer Geduld in Haͤnden,
als du ſelber in dem Beyfall findeſt, den ſie deinen
Schriften noch taͤglich geben, dieſer iſt dir da-
vor gut, daß ſie von den Schweizern noch nicht
bekehret worden. Erinnere dich auch, wie du ſie
in dem Biedermanne mit einer Fabel und ein paar
ſpoͤttiſchen Ausdruͤken zuruͤkgewieſen haſt. Sil-
cow haͤtte laͤngſt Anlaß gehabt, dir eines zu ver-

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[171/0173] der herrſchenden Poeten. chen Deutſchland hohnzuſprechen. Jch bekenne die Schweizer ligen mir hart auf dem Naken, und ich weiß mir nicht zu rathen. Soll ich meine eige- nen Regeln widerruffen, die ich aus meinen Fin- gern herausgeſogen habe; die ſo mechaniſch ſind, daß man weder Kopf noch Geiſt zum ſchreiben noͤthig hat; ſoll ich ſie um andere vertauſchen, die ganz theoretiſch und ſpeculatif ſind, wozu Na- turell, Talent uud Schoͤpfungskraft, erfodert werden? Seine geſchikte Freundin richtete ihn mit troſt- vollen Worten auf. Aengſte dich nicht ohne Noth, mein Freund, es iſt noch lange nicht an dem, daß die Deutſchen von den Schweizern werden lernen wollen, wie ſie ſchreiben ſollen. Sie werden es lieber von dir lernen: Sie haben die erſten Eindruͤke ſchon von dir empfangen. Deine Art zu denken, deine Ver- ſtandes- und Einbildungskraͤfte ſtimmen mit ihrer Faͤhigkeit, mit ihren Gemuͤthesgaben, am beſten uͤberein. Es iſt keine ſo leichte Sache, ihnen den Kopf in ein anderes Gelenke zu ſezen. Sie koͤn- nen ſich von dem Ergezen nicht ſo leicht entwoͤh- nen, das ihnen gelaͤuftig iſt. Wer hat mehrere und ſtaͤrkere Proben von ihrer Geduld in Haͤnden, als du ſelber in dem Beyfall findeſt, den ſie deinen Schriften noch taͤglich geben, dieſer iſt dir da- vor gut, daß ſie von den Schweizern noch nicht bekehret worden. Erinnere dich auch, wie du ſie in dem Biedermanne mit einer Fabel und ein paar ſpoͤttiſchen Ausdruͤken zuruͤkgewieſen haſt. Sil- cow haͤtte laͤngſt Anlaß gehabt, dir eines zu ver- ſezen,

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/173>, abgerufen am 25.11.2024.