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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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der herrschenden Poeten.
deutsche Welt unterweisen sollten, wie ihre Herr-
schaft nicht auf die willkürlichen Aussprüche eines
despotischen Geschmakes gegründet wäre, welche
niemand bestimmen kan, und ein jeder vor un-
betrüglich ausgiebt: Wie dasjenige, was sie
vor schön und angenehm anpreise, nothwendig
so wäre, weil es seinen Grund in der Natur
des Menschen hätte; wie sie denn dasselbe aus
solcher herleitete, und die Grundregeln der Kunst
auf diesen Grund aufführete. Sie folgeten ih-
ren Eingebungen, und legten das Schöne, das
in der Uebereinstimmung mit dem Gemüthe des
Menschen gegründet ist, zum Grund ihrer cri-
tischen Regeln. Dieses entdeketen sie hernach
nicht allein in derjenigen Form, da es sich durch
häftige Reizungen empfindlich machet, sondern
sie giengen ihm auch in denen Fällen auf die Spur,
wo seine Eindrüke durch die verkehrte Anfüh-
rung, die Rohigkeit, Dummheit, Boßheit,
verhindert, geschwächt, oder gar verderbt wer-
den. Die Göttin wollte, daß sie nach diesem
den Urtheilsstab in die Hand nähmen, und nie-
manden ungestraft thörigt schreiben liessen, keine
Sammlung von Mißgeburten hirnloser Sänger
aus Ober- und Niedersachsen sollte künftig ans
Licht treten, die nicht für ihr Gerichte gezogen
würde, auch die Poeten, die doch von andern
für Könige des Helicons ausgeschrien würden, soll-
ten von ihnen vorgefodert werden.

Greibertin und Merbod, also hiessen die bey-
den Beamtete der Beurtheilungskunst, folge-
ten den Trieben der Göttin in allen Dingen.

Nicht
L 3

der herrſchenden Poeten.
deutſche Welt unterweiſen ſollten, wie ihre Herr-
ſchaft nicht auf die willkuͤrlichen Ausſpruͤche eines
deſpotiſchen Geſchmakes gegruͤndet waͤre, welche
niemand beſtimmen kan, und ein jeder vor un-
betruͤglich ausgiebt: Wie dasjenige, was ſie
vor ſchoͤn und angenehm anpreiſe, nothwendig
ſo waͤre, weil es ſeinen Grund in der Natur
des Menſchen haͤtte; wie ſie denn daſſelbe aus
ſolcher herleitete, und die Grundregeln der Kunſt
auf dieſen Grund auffuͤhrete. Sie folgeten ih-
ren Eingebungen, und legten das Schoͤne, das
in der Uebereinſtimmung mit dem Gemuͤthe des
Menſchen gegruͤndet iſt, zum Grund ihrer cri-
tiſchen Regeln. Dieſes entdeketen ſie hernach
nicht allein in derjenigen Form, da es ſich durch
haͤftige Reizungen empfindlich machet, ſondern
ſie giengen ihm auch in denen Faͤllen auf die Spur,
wo ſeine Eindruͤke durch die verkehrte Anfuͤh-
rung, die Rohigkeit, Dummheit, Boßheit,
verhindert, geſchwaͤcht, oder gar verderbt wer-
den. Die Goͤttin wollte, daß ſie nach dieſem
den Urtheilsſtab in die Hand naͤhmen, und nie-
manden ungeſtraft thoͤrigt ſchreiben lieſſen, keine
Sammlung von Mißgeburten hirnloſer Saͤnger
aus Ober- und Niederſachſen ſollte kuͤnftig ans
Licht treten, die nicht fuͤr ihr Gerichte gezogen
wuͤrde, auch die Poeten, die doch von andern
fuͤr Koͤnige des Helicons ausgeſchrien wuͤrden, ſoll-
ten von ihnen vorgefodert werden.

Greibertin und Merbod, alſo hieſſen die bey-
den Beamtete der Beurtheilungskunſt, folge-
ten den Trieben der Goͤttin in allen Dingen.

Nicht
L 3
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[165/0167] der herrſchenden Poeten. deutſche Welt unterweiſen ſollten, wie ihre Herr- ſchaft nicht auf die willkuͤrlichen Ausſpruͤche eines deſpotiſchen Geſchmakes gegruͤndet waͤre, welche niemand beſtimmen kan, und ein jeder vor un- betruͤglich ausgiebt: Wie dasjenige, was ſie vor ſchoͤn und angenehm anpreiſe, nothwendig ſo waͤre, weil es ſeinen Grund in der Natur des Menſchen haͤtte; wie ſie denn daſſelbe aus ſolcher herleitete, und die Grundregeln der Kunſt auf dieſen Grund auffuͤhrete. Sie folgeten ih- ren Eingebungen, und legten das Schoͤne, das in der Uebereinſtimmung mit dem Gemuͤthe des Menſchen gegruͤndet iſt, zum Grund ihrer cri- tiſchen Regeln. Dieſes entdeketen ſie hernach nicht allein in derjenigen Form, da es ſich durch haͤftige Reizungen empfindlich machet, ſondern ſie giengen ihm auch in denen Faͤllen auf die Spur, wo ſeine Eindruͤke durch die verkehrte Anfuͤh- rung, die Rohigkeit, Dummheit, Boßheit, verhindert, geſchwaͤcht, oder gar verderbt wer- den. Die Goͤttin wollte, daß ſie nach dieſem den Urtheilsſtab in die Hand naͤhmen, und nie- manden ungeſtraft thoͤrigt ſchreiben lieſſen, keine Sammlung von Mißgeburten hirnloſer Saͤnger aus Ober- und Niederſachſen ſollte kuͤnftig ans Licht treten, die nicht fuͤr ihr Gerichte gezogen wuͤrde, auch die Poeten, die doch von andern fuͤr Koͤnige des Helicons ausgeſchrien wuͤrden, ſoll- ten von ihnen vorgefodert werden. Greibertin und Merbod, alſo hieſſen die bey- den Beamtete der Beurtheilungskunſt, folge- ten den Trieben der Goͤttin in allen Dingen. Nicht L 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/167>, abgerufen am 25.11.2024.