[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.in Miltons verlohrnen Paradiese. Wunderbare in diesen Redensarten entsteht daher,daß Dinge, die keinen Cörper haben, die sich nur empfinden und gedenken lassen, als Sachen vorgestellet werden, welche materialischer Zufällig- keiten und Veränderungen fähig wären. Nun ist dieses eine Freyheit, welche die Nothwendig- keit selbst in der gemeinen Rede eingeführt hat. Es kommt nur darauf an, daß diese cörperlichen Bilder bequem seyn, die Beschaffenheit, die Fol- gen und die Eindrüke der empfundenen und gedach- ten Sachen durch ihre Uebereinstimmung in das Gemüthe zu bringen. Da nun die Natur sich selbst in allen Ländern gleich ist, dürffen wir die- ser und aller andern Metaphoren und Figuren hal- ber, welche auf Aehnlichkeiten beruhen, so in der Natur vorhanden sind, gegen gewisse furchtsame Sprach- langsamen Ueberschrift vertauschet worden: Trauerge-
dichte eines Vaters über seinen Sohn; als ob das Wort Vater die Beziehung auf den Sohn nicht ohne dieses in sich schlösse, und die Trauer für sich allein nicht was weit empfindlicheres sagte, als Trauergedichte, das so viel ist, als ein Gedichte von einer Trauer. Jn dieser Trauer eines Vaters hatte ich nun geschrieben: Die Einsicht wischet ihm die Trauer von den Wangen. Worauf sich auch die nächst darauf folgenden Zeilen schiken: Die meinen dunkeln Geist mit Aengsten hat umfangen; Und nicht verlassen wird. - - - - Ohne Zweifel aber hatte das Bild, die Trauer von den Wangen wischen, den Herausgeber zu seltsam gedaucht, daher er vor dasselbe gesezet: Die Einsicht wischet ihm die Thränen von den Wangen. in Miltons verlohrnen Paradieſe. Wunderbare in dieſen Redensarten entſteht daher,daß Dinge, die keinen Coͤrper haben, die ſich nur empfinden und gedenken laſſen, als Sachen vorgeſtellet werden, welche materialiſcher Zufaͤllig- keiten und Veraͤnderungen faͤhig waͤren. Nun iſt dieſes eine Freyheit, welche die Nothwendig- keit ſelbſt in der gemeinen Rede eingefuͤhrt hat. Es kommt nur darauf an, daß dieſe coͤrperlichen Bilder bequem ſeyn, die Beſchaffenheit, die Fol- gen und die Eindruͤke der empfundenen und gedach- ten Sachen durch ihre Uebereinſtimmung in das Gemuͤthe zu bringen. Da nun die Natur ſich ſelbſt in allen Laͤndern gleich iſt, duͤrffen wir die- ſer und aller andern Metaphoren und Figuren hal- ber, welche auf Aehnlichkeiten beruhen, ſo in der Natur vorhanden ſind, gegen gewiſſe furchtſame Sprach- langſamen Ueberſchrift vertauſchet worden: Trauerge-
dichte eines Vaters uͤber ſeinen Sohn; als ob das Wort Vater die Beziehung auf den Sohn nicht ohne dieſes in ſich ſchloͤſſe, und die Trauer fuͤr ſich allein nicht was weit empfindlicheres ſagte, als Trauergedichte, das ſo viel iſt, als ein Gedichte von einer Trauer. Jn dieſer Trauer eines Vaters hatte ich nun geſchrieben: Die Einſicht wiſchet ihm die Trauer von den Wangen. Worauf ſich auch die naͤchſt darauf folgenden Zeilen ſchiken: Die meinen dunkeln Geiſt mit Aengſten hat umfangen; Und nicht verlaſſen wird. ‒ ‒ ‒ ‒ Ohne Zweifel aber hatte das Bild, die Trauer von den Wangen wiſchen, den Herausgeber zu ſeltſam gedaucht, daher er vor daſſelbe geſezet: Die Einſicht wiſchet ihm die Thraͤnen von den Wangen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="111"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in Miltons verlohrnen Paradieſe.</hi></fw><lb/> Wunderbare in dieſen Redensarten entſteht daher,<lb/> daß Dinge, die keinen Coͤrper haben, die ſich<lb/> nur empfinden und gedenken laſſen, als Sachen<lb/> vorgeſtellet werden, welche materialiſcher Zufaͤllig-<lb/> keiten und Veraͤnderungen faͤhig waͤren. Nun<lb/> iſt dieſes eine Freyheit, welche die Nothwendig-<lb/> keit ſelbſt in der gemeinen Rede eingefuͤhrt hat.<lb/> Es kommt nur darauf an, daß dieſe coͤrperlichen<lb/> Bilder bequem ſeyn, die Beſchaffenheit, die Fol-<lb/> gen und die Eindruͤke der empfundenen und gedach-<lb/> ten Sachen durch ihre Uebereinſtimmung in das<lb/> Gemuͤthe zu bringen. Da nun die Natur ſich<lb/> ſelbſt in allen Laͤndern gleich iſt, duͤrffen wir die-<lb/> ſer und aller andern Metaphoren und Figuren hal-<lb/> ber, welche auf Aehnlichkeiten beruhen, ſo in der<lb/> Natur vorhanden ſind, gegen gewiſſe furchtſame<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sprach-</fw><lb/><note xml:id="f02" prev="#f01" place="foot" n="(c)">langſamen Ueberſchrift vertauſchet worden: <hi rendition="#fr">Trauerge-<lb/> dichte eines Vaters uͤber ſeinen Sohn;</hi> als ob das Wort<lb/><hi rendition="#fr">Vater</hi> die Beziehung auf den Sohn nicht ohne dieſes in<lb/> ſich ſchloͤſſe, und die <hi rendition="#fr">Trauer</hi> fuͤr ſich allein nicht was weit<lb/> empfindlicheres ſagte, als <hi rendition="#fr">Trauergedichte,</hi> das ſo viel<lb/> iſt, als ein Gedichte von einer Trauer. Jn dieſer <hi rendition="#fr">Trauer<lb/> eines Vaters</hi> hatte ich nun geſchrieben:<lb/> Die Einſicht wiſchet ihm die <hi rendition="#fr">Trauer</hi> von den Wangen.<lb/> Worauf ſich auch die naͤchſt darauf folgenden Zeilen<lb/> ſchiken:<lb/> Die meinen dunkeln Geiſt mit Aengſten hat umfangen;<lb/> Und nicht verlaſſen wird. ‒ ‒ ‒ ‒<lb/> Ohne Zweifel aber hatte das Bild, <hi rendition="#fr">die Trauer von den<lb/> Wangen wiſchen,</hi> den Herausgeber zu ſeltſam gedaucht,<lb/> daher er vor daſſelbe geſezet:<lb/> Die Einſicht wiſchet ihm die <hi rendition="#fr">Thraͤnen</hi> von den Wangen.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0113]
in Miltons verlohrnen Paradieſe.
Wunderbare in dieſen Redensarten entſteht daher,
daß Dinge, die keinen Coͤrper haben, die ſich
nur empfinden und gedenken laſſen, als Sachen
vorgeſtellet werden, welche materialiſcher Zufaͤllig-
keiten und Veraͤnderungen faͤhig waͤren. Nun
iſt dieſes eine Freyheit, welche die Nothwendig-
keit ſelbſt in der gemeinen Rede eingefuͤhrt hat.
Es kommt nur darauf an, daß dieſe coͤrperlichen
Bilder bequem ſeyn, die Beſchaffenheit, die Fol-
gen und die Eindruͤke der empfundenen und gedach-
ten Sachen durch ihre Uebereinſtimmung in das
Gemuͤthe zu bringen. Da nun die Natur ſich
ſelbſt in allen Laͤndern gleich iſt, duͤrffen wir die-
ſer und aller andern Metaphoren und Figuren hal-
ber, welche auf Aehnlichkeiten beruhen, ſo in der
Natur vorhanden ſind, gegen gewiſſe furchtſame
Sprach-
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(c) langſamen Ueberſchrift vertauſchet worden: Trauerge-
dichte eines Vaters uͤber ſeinen Sohn; als ob das Wort
Vater die Beziehung auf den Sohn nicht ohne dieſes in
ſich ſchloͤſſe, und die Trauer fuͤr ſich allein nicht was weit
empfindlicheres ſagte, als Trauergedichte, das ſo viel
iſt, als ein Gedichte von einer Trauer. Jn dieſer Trauer
eines Vaters hatte ich nun geſchrieben:
Die Einſicht wiſchet ihm die Trauer von den Wangen.
Worauf ſich auch die naͤchſt darauf folgenden Zeilen
ſchiken:
Die meinen dunkeln Geiſt mit Aengſten hat umfangen;
Und nicht verlaſſen wird. ‒ ‒ ‒ ‒
Ohne Zweifel aber hatte das Bild, die Trauer von den
Wangen wiſchen, den Herausgeber zu ſeltſam gedaucht,
daher er vor daſſelbe geſezet:
Die Einſicht wiſchet ihm die Thraͤnen von den Wangen.
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