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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der Schreibart
ter dem Titel vernünftiger Gedanken von dem
Einflusse der Einbildungskraft in den Schrif-
ten der Redner und der Poeten
an das Licht
gekommen, in einer Beschreibung der wunderba-
ren Fähigkeit der Phantasie einige Züge von die-
ser Art hat einfliessen lassen. Man wollte in der
Erzehlung zugleich das Muster und Exempel von
dem, was man sagte, hinzufügen.

"Der
"Poet, heißt es daselbst, versetzt euch durch die
"Kraft seiner Beschreibungen in eine anmuthrei-
"che Gegend, eine Herberg der Silvanen und
"der Waldnymphen, wo der Schatten der höchsten
"Wipfel, der Ceder, der Tanne, der Fichte,
"und des zakigten Palmenbaumes, indem sie staf-
"felweise hinter einander hinaufwerts steigen,
"ein Waldtheater aufführen, das überaus präch-
"tig anzuschauen ist. Mitten darinnen stellet er
"dem Gesichte einen Krantz der besten Obstbäu-
"me dar, welche zu einer Zeit mit Blüthe und mit
"Früchten einer güldenen Farbe, die mit einem
"heitern Schmeltz eingesprenget ist, beladen sind.
"Er tischet euch in ihrem Schatten die niedlich-
"sten Speisen auf, mit einer fleissigen Sorge,
"daß er die von unterschiedenem Geschmake nicht
"vermenge, nicht übel zusammenfüge, sondern
"eine Gattung Geschmakes nach der andern auf-
"trage. Er häufet allerley Arten Früchte in Häu-
"ten, in rauchen oder weichen Rinden, oder in
"bärtigen Hülsen, oder in Schalen auf; für
"den Tranck drüket er einen unschädlichen Most
"aus den Trauben aus. Die linden Weste
"flössen euch durch das sanfte Weben ihrer ge-
"ruch-

Von der Schreibart
ter dem Titel vernuͤnftiger Gedanken von dem
Einfluſſe der Einbildungskraft in den Schrif-
ten der Redner und der Poeten
an das Licht
gekommen, in einer Beſchreibung der wunderba-
ren Faͤhigkeit der Phantaſie einige Zuͤge von die-
ſer Art hat einflieſſen laſſen. Man wollte in der
Erzehlung zugleich das Muſter und Exempel von
dem, was man ſagte, hinzufuͤgen.

„Der
„Poet, heißt es daſelbſt, verſetzt euch durch die
„Kraft ſeiner Beſchreibungen in eine anmuthrei-
„che Gegend, eine Herberg der Silvanen und
„der Waldnymphen, wo der Schatten der hoͤchſten
„Wipfel, der Ceder, der Tanne, der Fichte,
„und des zakigten Palmenbaumes, indem ſie ſtaf-
„felweiſe hinter einander hinaufwerts ſteigen,
„ein Waldtheater auffuͤhren, das uͤberaus praͤch-
„tig anzuſchauen iſt. Mitten darinnen ſtellet er
„dem Geſichte einen Krantz der beſten Obſtbaͤu-
„me dar, welche zu einer Zeit mit Bluͤthe und mit
„Fruͤchten einer guͤldenen Farbe, die mit einem
„heitern Schmeltz eingeſprenget iſt, beladen ſind.
„Er tiſchet euch in ihrem Schatten die niedlich-
„ſten Speiſen auf, mit einer fleiſſigen Sorge,
„daß er die von unterſchiedenem Geſchmake nicht
„vermenge, nicht uͤbel zuſammenfuͤge, ſondern
„eine Gattung Geſchmakes nach der andern auf-
„trage. Er haͤufet allerley Arten Fruͤchte in Haͤu-
„ten, in rauchen oder weichen Rinden, oder in
„baͤrtigen Huͤlſen, oder in Schalen auf; fuͤr
„den Tranck druͤket er einen unſchaͤdlichen Moſt
„aus den Trauben aus. Die linden Weſte
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[106/0108] Von der Schreibart ter dem Titel vernuͤnftiger Gedanken von dem Einfluſſe der Einbildungskraft in den Schrif- ten der Redner und der Poeten an das Licht gekommen, in einer Beſchreibung der wunderba- ren Faͤhigkeit der Phantaſie einige Zuͤge von die- ſer Art hat einflieſſen laſſen. Man wollte in der Erzehlung zugleich das Muſter und Exempel von dem, was man ſagte, hinzufuͤgen. „Der „Poet, heißt es daſelbſt, verſetzt euch durch die „Kraft ſeiner Beſchreibungen in eine anmuthrei- „che Gegend, eine Herberg der Silvanen und „der Waldnymphen, wo der Schatten der hoͤchſten „Wipfel, der Ceder, der Tanne, der Fichte, „und des zakigten Palmenbaumes, indem ſie ſtaf- „felweiſe hinter einander hinaufwerts ſteigen, „ein Waldtheater auffuͤhren, das uͤberaus praͤch- „tig anzuſchauen iſt. Mitten darinnen ſtellet er „dem Geſichte einen Krantz der beſten Obſtbaͤu- „me dar, welche zu einer Zeit mit Bluͤthe und mit „Fruͤchten einer guͤldenen Farbe, die mit einem „heitern Schmeltz eingeſprenget iſt, beladen ſind. „Er tiſchet euch in ihrem Schatten die niedlich- „ſten Speiſen auf, mit einer fleiſſigen Sorge, „daß er die von unterſchiedenem Geſchmake nicht „vermenge, nicht uͤbel zuſammenfuͤge, ſondern „eine Gattung Geſchmakes nach der andern auf- „trage. Er haͤufet allerley Arten Fruͤchte in Haͤu- „ten, in rauchen oder weichen Rinden, oder in „baͤrtigen Huͤlſen, oder in Schalen auf; fuͤr „den Tranck druͤket er einen unſchaͤdlichen Moſt „aus den Trauben aus. Die linden Weſte „floͤſſen euch durch das ſanfte Weben ihrer ge- „ruch-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/108>, abgerufen am 24.11.2024.