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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der Schreibart
und wunderbarer klinge. Und gesezt, daß die
Versezungen bisweilen einige Dunkelheit zu ver-
ursachen scheinen, so wird diese Dunkelheit selbst,
wenn wir dem Herren Muratori Glauben zustel-
len, sofern sie mit Verstand begleitet ist, zu ei-
ner Tugend;
so wie es in der Schreibart eine
Tugend ist, wenn man die Gedanken und Mei-
nungen mit einer verständigen Dunkelheit bede-
ket, massen uns nicht allemahl angenehm ist, alle
Dinge mit ihren gemeinen, eigenen und natürli-
chen Nahmen aussprechen zu hören. Derglei-
chen Dunkelheit verdient nemlich diesen Nahmen
nur in Absehen seichter Leser, die mit Wissen-
schaft und Gaben übel versehen sind. Aber in der
französischen Sprache sind die Versezungen selten
möglich, ohne daß man dem Vortrage nicht die
nothwendige und unentbährliche Klarheit nehme.
Der Hr. Fenelon hat es in der Stelle, die ich
schon oben angezogen habe, bekennet und zugleich
beklaget. Er hat dabey auch angemerket, daß
die Alten mittelst häufiger Herumwerffungen den
Wohlklang in dem Falle der Rede, die ändernde
Abwechselung, und die Affectreiche Ausdrükung
trefflich vermehrt und befödert haben.

"Die
"Versezungen, sagt er, wurden zu einer zierli-
"chen Figur gemachet, und unterhielten den Geist
"mit der Hoffnung des Wunderbaren, das sie
"verhiessen. Dieses sieht man in dem Anfange
"dieser Ecloga.:
"Pastorum musam Damonis & Alphesiboei,
"Immemor herbarum, quos est mirata juvenca
"Certantes, quorum stupefactae carmine Lynces,
"Et

Von der Schreibart
und wunderbarer klinge. Und geſezt, daß die
Verſezungen bisweilen einige Dunkelheit zu ver-
urſachen ſcheinen, ſo wird dieſe Dunkelheit ſelbſt,
wenn wir dem Herren Muratori Glauben zuſtel-
len, ſofern ſie mit Verſtand begleitet iſt, zu ei-
ner Tugend;
ſo wie es in der Schreibart eine
Tugend iſt, wenn man die Gedanken und Mei-
nungen mit einer verſtaͤndigen Dunkelheit bede-
ket, maſſen uns nicht allemahl angenehm iſt, alle
Dinge mit ihren gemeinen, eigenen und natuͤrli-
chen Nahmen ausſprechen zu hoͤren. Derglei-
chen Dunkelheit verdient nemlich dieſen Nahmen
nur in Abſehen ſeichter Leſer, die mit Wiſſen-
ſchaft und Gaben uͤbel verſehen ſind. Aber in der
franzoͤſiſchen Sprache ſind die Verſezungen ſelten
moͤglich, ohne daß man dem Vortrage nicht die
nothwendige und unentbaͤhrliche Klarheit nehme.
Der Hr. Fenelon hat es in der Stelle, die ich
ſchon oben angezogen habe, bekennet und zugleich
beklaget. Er hat dabey auch angemerket, daß
die Alten mittelſt haͤufiger Herumwerffungen den
Wohlklang in dem Falle der Rede, die aͤndernde
Abwechſelung, und die Affectreiche Ausdruͤkung
trefflich vermehrt und befoͤdert haben.

„Die
„Verſezungen, ſagt er, wurden zu einer zierli-
„chen Figur gemachet, und unterhielten den Geiſt
„mit der Hoffnung des Wunderbaren, das ſie
„verhieſſen. Dieſes ſieht man in dem Anfange
„dieſer Ecloga.:
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[100/0102] Von der Schreibart und wunderbarer klinge. Und geſezt, daß die Verſezungen bisweilen einige Dunkelheit zu ver- urſachen ſcheinen, ſo wird dieſe Dunkelheit ſelbſt, wenn wir dem Herren Muratori Glauben zuſtel- len, ſofern ſie mit Verſtand begleitet iſt, zu ei- ner Tugend; ſo wie es in der Schreibart eine Tugend iſt, wenn man die Gedanken und Mei- nungen mit einer verſtaͤndigen Dunkelheit bede- ket, maſſen uns nicht allemahl angenehm iſt, alle Dinge mit ihren gemeinen, eigenen und natuͤrli- chen Nahmen ausſprechen zu hoͤren. Derglei- chen Dunkelheit verdient nemlich dieſen Nahmen nur in Abſehen ſeichter Leſer, die mit Wiſſen- ſchaft und Gaben uͤbel verſehen ſind. Aber in der franzoͤſiſchen Sprache ſind die Verſezungen ſelten moͤglich, ohne daß man dem Vortrage nicht die nothwendige und unentbaͤhrliche Klarheit nehme. Der Hr. Fenelon hat es in der Stelle, die ich ſchon oben angezogen habe, bekennet und zugleich beklaget. Er hat dabey auch angemerket, daß die Alten mittelſt haͤufiger Herumwerffungen den Wohlklang in dem Falle der Rede, die aͤndernde Abwechſelung, und die Affectreiche Ausdruͤkung trefflich vermehrt und befoͤdert haben. „Die „Verſezungen, ſagt er, wurden zu einer zierli- „chen Figur gemachet, und unterhielten den Geiſt „mit der Hoffnung des Wunderbaren, das ſie „verhieſſen. Dieſes ſieht man in dem Anfange „dieſer Ecloga.: „Paſtorum muſam Damonis & Alpheſiboei, „Immemor herbarum, quos eſt mirata juvenca „Certantes, quorum ſtupefactæ carmine Lynces, „Et

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/102>, abgerufen am 24.11.2024.