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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

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der Critick bey den Deutschen.

Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er
die Fähigkeit der Deutschen zu hohen Gedancken
beweisen will, auch den bekannten Strophen ei-
nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe
über die Süssigkeit des Zuckers, des Honigs,
und alles dessen erhoben wird, was in der Natur
und neben der Natur süß ist, das ist, er verglei-
chet die Lustbarkeiten des Geschmackes mit den
Lustbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein gros-
ses Bestreben des Geistes erfodert wird. Wenn
man nichts trefflichers hat, den Frantzosen entge-
genzusetzen, so wird man klüger handeln, daß
man sich mit ihnen in keinen Eiferstreit einlasse.

Er hat uns zugleich seine Urtheile von allen an-
dern berühmten Poeten Deutschlands eröffnet,
und dieses mit mehr Umständen, als noch keiner
vor ihm gethan hatte. Er hält Opitzen vor einen
Mann, welcher so viel Verstand, als Feuer,
viel Sprachen zu seinen Diensten, und von allen
Wissenschaften eine gründliche und ungemeine
Känntniß gehabt.

"Jch will, fährt er fort,
"eben mit Buchner nicht sagen, daß er die Poe-
"sie so hoch erhoben, daß ihm alle die andern
"nur folgen müssen: Es ist aber unstreitig, daß
"er darinnen mehr gethan, als man meinet,
"und daß viel Versmacher in Deutschland le-
"ben, welche die Kräfte dieses Poeten noch nicht
"erkennet."

Er verweiset es denjenigen, welche
meinen, daß sie lauter Wunderdinge im Boileau
finden, und dennoch nicht wissen, was in unsrem

aller-
der Critick bey den Deutſchen.

Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er
die Faͤhigkeit der Deutſchen zu hohen Gedancken
beweiſen will, auch den bekannten Strophen ei-
nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe
uͤber die Suͤſſigkeit des Zuckers, des Honigs,
und alles deſſen erhoben wird, was in der Natur
und neben der Natur ſuͤß iſt, das iſt, er verglei-
chet die Luſtbarkeiten des Geſchmackes mit den
Luſtbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein groſ-
ſes Beſtreben des Geiſtes erfodert wird. Wenn
man nichts trefflichers hat, den Frantzoſen entge-
genzuſetzen, ſo wird man kluͤger handeln, daß
man ſich mit ihnen in keinen Eiferſtreit einlaſſe.

Er hat uns zugleich ſeine Urtheile von allen an-
dern beruͤhmten Poeten Deutſchlands eroͤffnet,
und dieſes mit mehr Umſtaͤnden, als noch keiner
vor ihm gethan hatte. Er haͤlt Opitzen vor einen
Mann, welcher ſo viel Verſtand, als Feuer,
viel Sprachen zu ſeinen Dienſten, und von allen
Wiſſenſchaften eine gruͤndliche und ungemeine
Kaͤnntniß gehabt.

„Jch will, faͤhrt er fort,
„eben mit Buchner nicht ſagen, daß er die Poe-
„ſie ſo hoch erhoben, daß ihm alle die andern
„nur folgen muͤſſen: Es iſt aber unſtreitig, daß
„er darinnen mehr gethan, als man meinet,
„und daß viel Versmacher in Deutſchland le-
„ben, welche die Kraͤfte dieſes Poeten noch nicht
„erkennet.„

Er verweiſet es denjenigen, welche
meinen, daß ſie lauter Wunderdinge im Boileau
finden, und dennoch nicht wiſſen, was in unſrem

aller-
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[95/0097] der Critick bey den Deutſchen. Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er die Faͤhigkeit der Deutſchen zu hohen Gedancken beweiſen will, auch den bekannten Strophen ei- nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe uͤber die Suͤſſigkeit des Zuckers, des Honigs, und alles deſſen erhoben wird, was in der Natur und neben der Natur ſuͤß iſt, das iſt, er verglei- chet die Luſtbarkeiten des Geſchmackes mit den Luſtbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein groſ- ſes Beſtreben des Geiſtes erfodert wird. Wenn man nichts trefflichers hat, den Frantzoſen entge- genzuſetzen, ſo wird man kluͤger handeln, daß man ſich mit ihnen in keinen Eiferſtreit einlaſſe. Er hat uns zugleich ſeine Urtheile von allen an- dern beruͤhmten Poeten Deutſchlands eroͤffnet, und dieſes mit mehr Umſtaͤnden, als noch keiner vor ihm gethan hatte. Er haͤlt Opitzen vor einen Mann, welcher ſo viel Verſtand, als Feuer, viel Sprachen zu ſeinen Dienſten, und von allen Wiſſenſchaften eine gruͤndliche und ungemeine Kaͤnntniß gehabt. „Jch will, faͤhrt er fort, „eben mit Buchner nicht ſagen, daß er die Poe- „ſie ſo hoch erhoben, daß ihm alle die andern „nur folgen muͤſſen: Es iſt aber unſtreitig, daß „er darinnen mehr gethan, als man meinet, „und daß viel Versmacher in Deutſchland le- „ben, welche die Kraͤfte dieſes Poeten noch nicht „erkennet.„ Er verweiſet es denjenigen, welche meinen, daß ſie lauter Wunderdinge im Boileau finden, und dennoch nicht wiſſen, was in unſrem aller-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/97>, abgerufen am 23.11.2024.