Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
der Critick bey den Deutschen.
"zen die heroische, von Gryphio die bewegliche,
"und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an
"sich genommen; sondern auch viel neues hinzu-
"gethan, und absonderlich in Sententien, Gleich-
"nissen, und hohen Erfindungen sich höchstglück-
"lich erwiesen. Seine Tragödien sind von den
"besten, seine geistlichen Gedancken voller Kraft,
"und seine Begräbnißgedichte unvergleichlich. Jn
"seinem Arminius aber hat er sich als einen rech-
"ten Poeten erwiesen, und so viel artige, kurze,
"und Geistvolle Dinge ersonnen, daß wir uns
"nicht schämen dürffen, dieselbigen allen heuti-
"gen Franzosen entgegen zu setzen."

Er bringet
nach diesem etliche Exempel, um denjenigen, wel-
che die Deutschen so hoher Gedancken unfähig ach-
ten, die Augen, wie er sagt, zu öffnen. Das
erste ist ein Sonnet, worinnen Olympia, eine
Person aus dem Arminius, welche zu Bewah-
rung ihrer Keuschheit den König Artabazes und
sich selbst erstochen hatte, der römischen Lucretia
vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet:

- - - Lucrezen sey nur recht,
Olympien zuviel durch ihren Stich geschehen.

Und dieser wird aus dem Fördersatze gezogen.

Lucretia ließ zu vorher die schnöden Lüste,
Olympia hat nichts von geiler Brunst geschmeckt.

Hier setzet Lohenstein voraus, daß Lucretia dem
Tarquin ohne Zwang zu Willen gewesen, welches
der Geschichte zuwiderläuft. Sie ist eben da-

rum
der Critick bey den Deutſchen.
„zen die heroiſche, von Gryphio die bewegliche,
„und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an
„ſich genommen; ſondern auch viel neues hinzu-
„gethan, und abſonderlich in Sententien, Gleich-
„niſſen, und hohen Erfindungen ſich hoͤchſtgluͤck-
„lich erwieſen. Seine Tragoͤdien ſind von den
„beſten, ſeine geiſtlichen Gedancken voller Kraft,
„und ſeine Begraͤbnißgedichte unvergleichlich. Jn
„ſeinem Arminius aber hat er ſich als einen rech-
„ten Poeten erwieſen, und ſo viel artige, kurze,
„und Geiſtvolle Dinge erſonnen, daß wir uns
„nicht ſchaͤmen duͤrffen, dieſelbigen allen heuti-
„gen Franzoſen entgegen zu ſetzen.„

Er bringet
nach dieſem etliche Exempel, um denjenigen, wel-
che die Deutſchen ſo hoher Gedancken unfaͤhig ach-
ten, die Augen, wie er ſagt, zu oͤffnen. Das
erſte iſt ein Sonnet, worinnen Olympia, eine
Perſon aus dem Arminius, welche zu Bewah-
rung ihrer Keuſchheit den Koͤnig Artabazes und
ſich ſelbſt erſtochen hatte, der roͤmiſchen Lucretia
vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet:

‒ ‒ ‒ Lucrezen ſey nur recht,
Olympien zuviel durch ihren Stich geſchehen.

Und dieſer wird aus dem Foͤrderſatze gezogen.

Lucretia ließ zu vorher die ſchnoͤden Luͤſte,
Olympia hat nichts von geiler Brunſt geſchmeckt.

Hier ſetzet Lohenſtein voraus, daß Lucretia dem
Tarquin ohne Zwang zu Willen geweſen, welches
der Geſchichte zuwiderlaͤuft. Sie iſt eben da-

rum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0095" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Critick bey den Deut&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
&#x201E;zen die heroi&#x017F;che, von Gryphio die bewegliche,<lb/>
&#x201E;und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich genommen; &#x017F;ondern auch viel neues hinzu-<lb/>
&#x201E;gethan, und ab&#x017F;onderlich in Sententien, Gleich-<lb/>
&#x201E;ni&#x017F;&#x017F;en, und hohen Erfindungen &#x017F;ich ho&#x0364;ch&#x017F;tglu&#x0364;ck-<lb/>
&#x201E;lich erwie&#x017F;en. Seine Trago&#x0364;dien &#x017F;ind von den<lb/>
&#x201E;be&#x017F;ten, &#x017F;eine gei&#x017F;tlichen Gedancken voller Kraft,<lb/>
&#x201E;und &#x017F;eine Begra&#x0364;bnißgedichte unvergleichlich. Jn<lb/>
&#x201E;&#x017F;einem Arminius aber hat er &#x017F;ich als einen rech-<lb/>
&#x201E;ten Poeten erwie&#x017F;en, und &#x017F;o viel artige, kurze,<lb/>
&#x201E;und Gei&#x017F;tvolle Dinge er&#x017F;onnen, daß wir uns<lb/>
&#x201E;nicht &#x017F;cha&#x0364;men du&#x0364;rffen, die&#x017F;elbigen allen heuti-<lb/>
&#x201E;gen Franzo&#x017F;en entgegen zu &#x017F;etzen.&#x201E;</quote>
          </cit>
          <p>Er bringet<lb/>
nach die&#x017F;em etliche Exempel, um denjenigen, wel-<lb/>
che die Deut&#x017F;chen &#x017F;o hoher Gedancken unfa&#x0364;hig ach-<lb/>
ten, die Augen, wie er &#x017F;agt, zu o&#x0364;ffnen. Das<lb/>
er&#x017F;te i&#x017F;t ein Sonnet, worinnen Olympia, eine<lb/>
Per&#x017F;on aus dem Arminius, welche zu Bewah-<lb/>
rung ihrer Keu&#x017F;chheit den Ko&#x0364;nig Artabazes und<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;tochen hatte, der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Lucretia<lb/>
vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x2012; &#x2012; &#x2012; Lucrezen &#x017F;ey nur recht,</l><lb/>
            <l>Olympien zuviel durch ihren Stich ge&#x017F;chehen.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Und die&#x017F;er wird aus dem Fo&#x0364;rder&#x017F;atze gezogen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Lucretia ließ zu vorher die &#x017F;chno&#x0364;den Lu&#x0364;&#x017F;te,</l><lb/>
            <l>Olympia hat nichts von geiler Brun&#x017F;t ge&#x017F;chmeckt.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Hier &#x017F;etzet Lohen&#x017F;tein voraus, daß Lucretia dem<lb/>
Tarquin ohne Zwang zu Willen gewe&#x017F;en, welches<lb/>
der Ge&#x017F;chichte zuwiderla&#x0364;uft. Sie i&#x017F;t eben da-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rum</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0095] der Critick bey den Deutſchen. „zen die heroiſche, von Gryphio die bewegliche, „und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an „ſich genommen; ſondern auch viel neues hinzu- „gethan, und abſonderlich in Sententien, Gleich- „niſſen, und hohen Erfindungen ſich hoͤchſtgluͤck- „lich erwieſen. Seine Tragoͤdien ſind von den „beſten, ſeine geiſtlichen Gedancken voller Kraft, „und ſeine Begraͤbnißgedichte unvergleichlich. Jn „ſeinem Arminius aber hat er ſich als einen rech- „ten Poeten erwieſen, und ſo viel artige, kurze, „und Geiſtvolle Dinge erſonnen, daß wir uns „nicht ſchaͤmen duͤrffen, dieſelbigen allen heuti- „gen Franzoſen entgegen zu ſetzen.„ Er bringet nach dieſem etliche Exempel, um denjenigen, wel- che die Deutſchen ſo hoher Gedancken unfaͤhig ach- ten, die Augen, wie er ſagt, zu oͤffnen. Das erſte iſt ein Sonnet, worinnen Olympia, eine Perſon aus dem Arminius, welche zu Bewah- rung ihrer Keuſchheit den Koͤnig Artabazes und ſich ſelbſt erſtochen hatte, der roͤmiſchen Lucretia vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet: ‒ ‒ ‒ Lucrezen ſey nur recht, Olympien zuviel durch ihren Stich geſchehen. Und dieſer wird aus dem Foͤrderſatze gezogen. Lucretia ließ zu vorher die ſchnoͤden Luͤſte, Olympia hat nichts von geiler Brunſt geſchmeckt. Hier ſetzet Lohenſtein voraus, daß Lucretia dem Tarquin ohne Zwang zu Willen geweſen, welches der Geſchichte zuwiderlaͤuft. Sie iſt eben da- rum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/95
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/95>, abgerufen am 23.11.2024.