sagt in der Vorrede zu diesem Werckgen gleich beym Eingange;
"Er vermeine keinesweges daß "man jemanden durch gewisse Regeln und Gese- "ze zu einem Poeten machen könne, massen die "Poetercy auch eher getrieben worden, als man "je von derselben Art, Amt, und Zugehör ge- "schrieben, so daß die Gelehrten, was sie in den "Poeten, welcher Schriften aus einem göttli- "chen Antriebe und von Natur herkommen, auf- "gemerket, nachmals durch richtige Verfassun- "gen zusammengeschlossen, und aus vielen Tu- "genden eine Kunst gemachet haben."
Wir thäten ihm unrecht, wenn wir aus diesen Wor- ten eine Geringachtung der Regeln schliessen woll- ten. Er hat damit allein den Nuzen derselben be- stimmen wollen. Denn es ist gewiß, daß diese ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen, schnellentbrandten Geist, ohne einen reichen Vor- rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu machen. Wie sollte aus einem ungehirnten, in der Erkänntniß der Natur, des Menschen, der Welt Sitten und Händel, unerfahrnen Mann ein Poet herauszubringen seyn? Die Regeln sind nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den man gehen soll, eine Fakel, welche um uns her helle machet, aber gleichwie die Erkänntniß des Weges einen Lahmen, und eine aufgesteckte Fa- kel den Blinden nichts nüzet, also geben die Re- geln einem plumpen und schweren Geist wenig Trost. Aber ohne die Wegweisende Hand und ohne das Licht steht auch ein guter und scharffse- hender Läufer in Gefahr irre zu gehen.
Die
Nachrichten von dem Urſprunge
ſagt in der Vorrede zu dieſem Werckgen gleich beym Eingange;
„Er vermeine keinesweges daß „man jemanden durch gewiſſe Regeln und Geſe- „ze zu einem Poeten machen koͤnne, maſſen die „Poetercy auch eher getrieben worden, als man „je von derſelben Art, Amt, und Zugehoͤr ge- „ſchrieben, ſo daß die Gelehrten, was ſie in den „Poeten, welcher Schriften aus einem goͤttli- „chen Antriebe und von Natur herkommen, auf- „gemerket, nachmals durch richtige Verfaſſun- „gen zuſammengeſchloſſen, und aus vielen Tu- „genden eine Kunſt gemachet haben.„
Wir thaͤten ihm unrecht, wenn wir aus dieſen Wor- ten eine Geringachtung der Regeln ſchlieſſen woll- ten. Er hat damit allein den Nuzen derſelben be- ſtimmen wollen. Denn es iſt gewiß, daß dieſe ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen, ſchnellentbrandten Geiſt, ohne einen reichen Vor- rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu machen. Wie ſollte aus einem ungehirnten, in der Erkaͤnntniß der Natur, des Menſchen, der Welt Sitten und Haͤndel, unerfahrnen Mann ein Poet herauszubringen ſeyn? Die Regeln ſind nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den man gehen ſoll, eine Fakel, welche um uns her helle machet, aber gleichwie die Erkaͤnntniß des Weges einen Lahmen, und eine aufgeſteckte Fa- kel den Blinden nichts nuͤzet, alſo geben die Re- geln einem plumpen und ſchweren Geiſt wenig Troſt. Aber ohne die Wegweiſende Hand und ohne das Licht ſteht auch ein guter und ſcharffſe- hender Laͤufer in Gefahr irre zu gehen.
Die
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[84/0086]
Nachrichten von dem Urſprunge
ſagt in der Vorrede zu dieſem Werckgen gleich
beym Eingange;
„Er vermeine keinesweges daß
„man jemanden durch gewiſſe Regeln und Geſe-
„ze zu einem Poeten machen koͤnne, maſſen die
„Poetercy auch eher getrieben worden, als man
„je von derſelben Art, Amt, und Zugehoͤr ge-
„ſchrieben, ſo daß die Gelehrten, was ſie in den
„Poeten, welcher Schriften aus einem goͤttli-
„chen Antriebe und von Natur herkommen, auf-
„gemerket, nachmals durch richtige Verfaſſun-
„gen zuſammengeſchloſſen, und aus vielen Tu-
„genden eine Kunſt gemachet haben.„ Wir
thaͤten ihm unrecht, wenn wir aus dieſen Wor-
ten eine Geringachtung der Regeln ſchlieſſen woll-
ten. Er hat damit allein den Nuzen derſelben be-
ſtimmen wollen. Denn es iſt gewiß, daß dieſe
ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen,
ſchnellentbrandten Geiſt, ohne einen reichen Vor-
rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu
machen. Wie ſollte aus einem ungehirnten, in der
Erkaͤnntniß der Natur, des Menſchen, der Welt
Sitten und Haͤndel, unerfahrnen Mann ein
Poet herauszubringen ſeyn? Die Regeln ſind
nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den
man gehen ſoll, eine Fakel, welche um uns her
helle machet, aber gleichwie die Erkaͤnntniß des
Weges einen Lahmen, und eine aufgeſteckte Fa-
kel den Blinden nichts nuͤzet, alſo geben die Re-
geln einem plumpen und ſchweren Geiſt wenig
Troſt. Aber ohne die Wegweiſende Hand und
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/86>, abgerufen am 03.07.2024.
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