[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln etc. Flor der Fabeln zu verhüllen. Er kennetden Menschen: Er weiß, daß man sich un- terschiedlicher Mittel bedienen müsse, wenn man ihm seine Blösse zeigen, und die Wege des Guten lehren will; denn er höret unger- ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger kan er sich so weit herunterlassen, solches zu bekennen. Ein geschickter Schriftsteller, handelt daher nach Art eines vernünftigen Artzneyverständigen, der seine heilsamen, aber bittern Hülfsmittel seinen eigensinnigen Kran- ken unter mancherley Gestalten beybringet. Es ist bisher fast durchgehends ein Fehler in der Sittenlehre gewesen, daß man ihre Sä- ze und Wahrheiten in einer trockenen und magern Schreibart vorgetragen; daher ha- ben nur einige wenige, die sich zum Nachsin- nen gewöhnet, sich daraus erbauen, andere aber hingegen solches unterlassen müssen. Die Fabel ist von je her geschickt gewesen, diesem Mangel abzuhelffen; nur schade, daß wir Er kenner den Menschen) Nicht nur als ein Ana-
tomicus, sondern auch als ein guter Moralist: Eine Probe davon ist folgende Entdeckung: Der Mensch höret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we- niger kan er sich so weit herunterlassen, solches zu bekennen. Wer muß nun nicht wider Willen gestehen, daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Classe dieser Menschen gehöre, und also, weil er geartet wie der gröste Hauffen, bey sich abnehmen könne, wie der Mensch beschaffen ist? zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. Flor der Fabeln zu verhuͤllen. Er kennetden Menſchen: Er weiß, daß man ſich un- terſchiedlicher Mittel bedienen muͤſſe, wenn man ihm ſeine Bloͤſſe zeigen, und die Wege des Guten lehren will; denn er hoͤret unger- ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu bekennen. Ein geſchickter Schriftſteller, handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen Artzneyverſtaͤndigen, der ſeine heilſamen, aber bittern Huͤlfsmittel ſeinen eigenſinnigen Kran- ken unter mancherley Geſtalten beybringet. Es iſt bisher faſt durchgehends ein Fehler in der Sittenlehre geweſen, daß man ihre Saͤ- ze und Wahrheiten in einer trockenen und magern Schreibart vorgetragen; daher ha- ben nur einige wenige, die ſich zum Nachſin- nen gewoͤhnet, ſich daraus erbauen, andere aber hingegen ſolches unterlaſſen muͤſſen. Die Fabel iſt von je her geſchickt geweſen, dieſem Mangel abzuhelffen; nur ſchade, daß wir Er kenner den Menſchen) Nicht nur als ein Ana-
tomicus, ſondern auch als ein guter Moraliſt: Eine Probe davon iſt folgende Entdeckung: Der Menſch hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we- niger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu bekennen. Wer muß nun nicht wider Willen geſtehen, daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Claſſe dieſer Menſchen gehoͤre, und alſo, weil er geartet wie der groͤſte Hauffen, bey ſich abnehmen koͤnne, wie der Menſch beſchaffen iſt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0061" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.</hi></fw><lb/> Flor der Fabeln zu verhuͤllen. <hi rendition="#fr">Er kennet<lb/> den Menſchen:</hi> Er weiß, daß man ſich un-<lb/> terſchiedlicher Mittel bedienen muͤſſe, wenn<lb/> man ihm ſeine Bloͤſſe zeigen, und die Wege<lb/> des Guten lehren will; denn er hoͤret unger-<lb/> ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger<lb/> kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu<lb/> bekennen. Ein geſchickter Schriftſteller,<lb/> handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen<lb/> Artzneyverſtaͤndigen, der ſeine heilſamen, aber<lb/> bittern Huͤlfsmittel ſeinen eigenſinnigen Kran-<lb/> ken unter mancherley Geſtalten beybringet.<lb/> Es iſt bisher faſt durchgehends ein Fehler in<lb/> der Sittenlehre geweſen, daß man ihre Saͤ-<lb/> ze und Wahrheiten in einer trockenen und<lb/> magern Schreibart vorgetragen; daher ha-<lb/> ben nur einige wenige, die ſich zum Nachſin-<lb/> nen gewoͤhnet, ſich daraus erbauen, andere<lb/> aber hingegen ſolches unterlaſſen muͤſſen.<lb/> Die Fabel iſt von je her geſchickt geweſen,<lb/> dieſem Mangel abzuhelffen; nur ſchade, daß<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wir</fw><lb/><note place="foot"><hi rendition="#fr">Er kenner den Menſchen)</hi> Nicht nur als ein Ana-<lb/> tomicus, ſondern auch als ein guter Moraliſt: Eine<lb/> Probe davon iſt folgende Entdeckung: <hi rendition="#fr">Der Menſch<lb/> hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we-<lb/> niger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu<lb/> bekennen.</hi> Wer muß nun nicht wider Willen geſtehen,<lb/> daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Claſſe dieſer<lb/> Menſchen gehoͤre, und alſo, weil er geartet wie der<lb/> groͤſte Hauffen, bey ſich abnehmen koͤnne, wie der<lb/> Menſch beſchaffen iſt?</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0061]
zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
Flor der Fabeln zu verhuͤllen. Er kennet
den Menſchen: Er weiß, daß man ſich un-
terſchiedlicher Mittel bedienen muͤſſe, wenn
man ihm ſeine Bloͤſſe zeigen, und die Wege
des Guten lehren will; denn er hoͤret unger-
ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger
kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu
bekennen. Ein geſchickter Schriftſteller,
handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen
Artzneyverſtaͤndigen, der ſeine heilſamen, aber
bittern Huͤlfsmittel ſeinen eigenſinnigen Kran-
ken unter mancherley Geſtalten beybringet.
Es iſt bisher faſt durchgehends ein Fehler in
der Sittenlehre geweſen, daß man ihre Saͤ-
ze und Wahrheiten in einer trockenen und
magern Schreibart vorgetragen; daher ha-
ben nur einige wenige, die ſich zum Nachſin-
nen gewoͤhnet, ſich daraus erbauen, andere
aber hingegen ſolches unterlaſſen muͤſſen.
Die Fabel iſt von je her geſchickt geweſen,
dieſem Mangel abzuhelffen; nur ſchade, daß
wir
Er kenner den Menſchen) Nicht nur als ein Ana-
tomicus, ſondern auch als ein guter Moraliſt: Eine
Probe davon iſt folgende Entdeckung: Der Menſch
hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we-
niger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu
bekennen. Wer muß nun nicht wider Willen geſtehen,
daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Claſſe dieſer
Menſchen gehoͤre, und alſo, weil er geartet wie der
groͤſte Hauffen, bey ſich abnehmen koͤnne, wie der
Menſch beſchaffen iſt?
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