[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Drollingers Ode Geweyhte Dichter! Heilger Chor!O welche Kraft! O welche Thöne Durchdringen plötzlich Hertz und Ohr! Es würcket euer mächtger Wille (h) Der tiefsten Sinnen Sturm und Stille, Er stellt den Regungen Gebot. Jch hör, ich höre Davids Lieder, Der Himmel steigt zu uns hernieder, Und unser Geist hinauf zu Gott. Wer zehlt das Heer der lichten Sternen, Wer mißt der Sonnen schnellen Lauf? Wer dringt in ungemessne Fernen Und deckt der Himmel Ordnung auf? Jsts nicht des Geistes Wunderstärcke? Hier setzt er Schrecknißvolle Wercke, Gebäude, die den Wolcken drohn. Bald stürtzt er wieder Thurm und Mauren, Die Last, die ewig schien zu dauren, Sein donnernd Ertz zermalmt sie schon. Doch hör ich nicht ein Lied erklingen, Das unsern Geist zu prächtig schmückt, Und eines Wesens Kraft besingen Aus dem so mancher Mangel blickt? Wo bleiben seiner Stärcke Proben, Wann (h)
Anmerckungen. Sturm und Stille in den innersten Sinnen wür-ken; und den Regungen Geboth stellen, hat den Schein von einem Wunderwercke; da izo dieses dem Willen zu- geschrieben wird, den man in eine Person verwandelt, empfängt die Rede daher etwas ungemeines an Leben, und Nachdruck. Ein schlechter Poet hätte sich begnüget zu sagen: Jhr könnet die Gemüther nach Belieben in Be- wegung bringen, und wieder besänftigen, ihr könnet die Affecte, nachdem ihr sie durch eure Kunst aufgebracht ha- bet, eben so leicht wieder stillen. Das wäre auch nicht übel gewesen; aber wie matt, wie unbelebt ist es gegen dem obigen, wie prosaisch! Drollingers Ode Geweyhte Dichter! Heilger Chor!O welche Kraft! O welche Thoͤne Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr! Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille (h) Der tiefſten Sinnen Sturm und Stille, Er ſtellt den Regungen Gebot. Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder, Der Himmel ſteigt zu uns hernieder, Und unſer Geiſt hinauf zu Gott. Wer zehlt das Heer der lichten Sternen, Wer mißt der Sonnen ſchnellen Lauf? Wer dringt in ungemeſſne Fernen Und deckt der Himmel Ordnung auf? Jſts nicht des Geiſtes Wunderſtaͤrcke? Hier ſetzt er Schrecknißvolle Wercke, Gebaͤude, die den Wolcken drohn. Bald ſtuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren, Die Laſt, die ewig ſchien zu dauren, Sein donnernd Ertz zermalmt ſie ſchon. Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen, Das unſern Geiſt zu praͤchtig ſchmuͤckt, Und eines Weſens Kraft beſingen Aus dem ſo mancher Mangel blickt? Wo bleiben ſeiner Staͤrcke Proben, Wann (h)
Anmerckungen. Sturm und Stille in den innerſten Sinnen wuͤr-ken; und den Regungen Geboth ſtellen, hat den Schein von einem Wunderwercke; da izo dieſes dem Willen zu- geſchrieben wird, den man in eine Perſon verwandelt, empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben, und Nachdruck. Ein ſchlechter Poet haͤtte ſich begnuͤget zu ſagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be- wegung bringen, und wieder beſaͤnftigen, ihr koͤnnet die Affecte, nachdem ihr ſie durch eure Kunſt aufgebracht ha- bet, eben ſo leicht wieder ſtillen. Das waͤre auch nicht uͤbel geweſen; aber wie matt, wie unbelebt iſt es gegen dem obigen, wie proſaiſch! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <pb facs="#f0188" n="186"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Drollingers Ode</hi> </fw><lb/> <l>Geweyhte Dichter! Heilger Chor!</l><lb/> <l>O welche Kraft! O welche Thoͤne</l><lb/> <l>Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr!</l><lb/> <l>Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille <note place="foot" n="(h)"><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi></fw><lb/> Sturm und Stille in den innerſten Sinnen wuͤr-<lb/> ken; und den Regungen Geboth ſtellen, hat den Schein<lb/> von einem Wunderwercke; da izo dieſes dem <hi rendition="#fr">Willen</hi> zu-<lb/> geſchrieben wird, den man in eine Perſon verwandelt,<lb/> empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben,<lb/> und Nachdruck. Ein ſchlechter Poet haͤtte ſich begnuͤget<lb/> zu ſagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be-<lb/> wegung bringen, und wieder beſaͤnftigen, ihr koͤnnet die<lb/> Affecte, nachdem ihr ſie durch eure Kunſt aufgebracht ha-<lb/> bet, eben ſo leicht wieder ſtillen. Das waͤre auch nicht<lb/> uͤbel geweſen; aber wie matt, wie unbelebt iſt es gegen<lb/> dem obigen, wie proſaiſch!</note></l><lb/> <l>Der tiefſten Sinnen Sturm und Stille,</l><lb/> <l>Er ſtellt den Regungen Gebot.</l><lb/> <l>Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder,</l><lb/> <l>Der Himmel ſteigt zu uns hernieder,</l><lb/> <l>Und unſer Geiſt hinauf zu Gott.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Wer zehlt das Heer der lichten Sternen,</l><lb/> <l>Wer mißt der Sonnen ſchnellen Lauf?</l><lb/> <l>Wer dringt in ungemeſſne Fernen</l><lb/> <l>Und deckt der Himmel Ordnung auf?</l><lb/> <l>Jſts nicht des Geiſtes Wunderſtaͤrcke?</l><lb/> <l>Hier ſetzt er Schrecknißvolle Wercke,</l><lb/> <l>Gebaͤude, die den Wolcken drohn.</l><lb/> <l>Bald ſtuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren,</l><lb/> <l>Die Laſt, die ewig ſchien zu dauren,</l><lb/> <l>Sein donnernd Ertz zermalmt ſie ſchon.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen,</l><lb/> <l>Das unſern Geiſt zu praͤchtig ſchmuͤckt,</l><lb/> <l>Und eines Weſens Kraft beſingen</l><lb/> <l>Aus dem ſo mancher Mangel blickt?</l><lb/> <l>Wo bleiben ſeiner Staͤrcke Proben,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wann</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0188]
Drollingers Ode
Anmerckungen.
Geweyhte Dichter! Heilger Chor!
O welche Kraft! O welche Thoͤne
Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr!
Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille (h)
Der tiefſten Sinnen Sturm und Stille,
Er ſtellt den Regungen Gebot.
Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder,
Der Himmel ſteigt zu uns hernieder,
Und unſer Geiſt hinauf zu Gott.
Wer zehlt das Heer der lichten Sternen,
Wer mißt der Sonnen ſchnellen Lauf?
Wer dringt in ungemeſſne Fernen
Und deckt der Himmel Ordnung auf?
Jſts nicht des Geiſtes Wunderſtaͤrcke?
Hier ſetzt er Schrecknißvolle Wercke,
Gebaͤude, die den Wolcken drohn.
Bald ſtuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren,
Die Laſt, die ewig ſchien zu dauren,
Sein donnernd Ertz zermalmt ſie ſchon.
Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen,
Das unſern Geiſt zu praͤchtig ſchmuͤckt,
Und eines Weſens Kraft beſingen
Aus dem ſo mancher Mangel blickt?
Wo bleiben ſeiner Staͤrcke Proben,
Wann
(h)
Sturm und Stille in den innerſten Sinnen wuͤr-
ken; und den Regungen Geboth ſtellen, hat den Schein
von einem Wunderwercke; da izo dieſes dem Willen zu-
geſchrieben wird, den man in eine Perſon verwandelt,
empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben,
und Nachdruck. Ein ſchlechter Poet haͤtte ſich begnuͤget
zu ſagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be-
wegung bringen, und wieder beſaͤnftigen, ihr koͤnnet die
Affecte, nachdem ihr ſie durch eure Kunſt aufgebracht ha-
bet, eben ſo leicht wieder ſtillen. Das waͤre auch nicht
uͤbel geweſen; aber wie matt, wie unbelebt iſt es gegen
dem obigen, wie proſaiſch!
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