[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Nachrichten von dem Ursprunge besser, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich-tig davon urtheilen? Es ist nur ein blindes Unge- fehr, wenn er es mit seinem Urtheile trifft; zu- mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge- schmackes gleich ist. Er verdient denn keinen grös- sern Ruhm, als daß er sich aus Jrrthum selbst im rechten Wege befindet; wovon er aber selbst keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu- zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat der Poet davon, der diesen guten Geschmack Hrn. Gottscheds besitzet? Warum soll man nach einem Geschmacke streben, von dem man es nicht weis, wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn man ihn nicht hat, sich solches mit eben so gutem Recht schmeicheln kan, als wenn man ihn hat? Aber mit welcher Kühnheit darf man uns in der Anmerckung sagen, der grosse Leibnitz sey voll- kommen Hrn. Gottscheds Meinung; welches noch vornehmer thönet, als wenn es hiesse, Hr. Gottsched wäre des grossen Leibnitzens Meinung. Dieser hat gesagt: Le goaut distingue de l'En- tendement, consiste dans les perceptions confuses, dont on ne scauroit assez rendre raison. C'est quelque chose d'approchant de l'Instinct. Le goaut est forme par le na- turel & par l'usage: Et pour l'avoir bon, il faut l'exercer a goauter les bonnes choses, que la raison & l'experience ont deja autori- sees. Jst dieses nicht grad das Gegentheil dessen, was Hr. Gottsched davon lehret? Man gebe nur Achtung auf die Worte, distingue de l'Entendement; dont on ne scauroit assez rendre raison; quel- que
Nachrichten von dem Urſprunge beſſer, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich-tig davon urtheilen? Es iſt nur ein blindes Unge- fehr, wenn er es mit ſeinem Urtheile trifft; zu- mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge- ſchmackes gleich iſt. Er verdient denn keinen groͤſ- ſern Ruhm, als daß er ſich aus Jrrthum ſelbſt im rechten Wege befindet; wovon er aber ſelbſt keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu- zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat der Poet davon, der dieſen guten Geſchmack Hrn. Gottſcheds beſitzet? Warum ſoll man nach einem Geſchmacke ſtreben, von dem man es nicht weis, wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn man ihn nicht hat, ſich ſolches mit eben ſo gutem Recht ſchmeicheln kan, als wenn man ihn hat? Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der Anmerckung ſagen, der groſſe Leibnitz ſey voll- kommen Hrn. Gottſcheds Meinung; welches noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hieſſe, Hr. Gottſched waͤre des groſſen Leibnitzens Meinung. Dieſer hat geſagt: Le goût diſtingué de l’En- tendement, conſiſte dans les perceptions confuſes, dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant de l’Inſtinct. Le goût eſt formé par le na- turel & par l’uſage: Et pour l’avoir bon, il faut l’exercer à goûter les bonnes choſes, que la raiſon & l’experience ont déja autori- ſées. Jſt dieſes nicht grad das Gegentheil deſſen, was Hr. Gottſched davon lehret? Man gebe nur Achtung auf die Worte, diſtingué de l’Entendement; dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon; quel- que
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0176" n="174"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Nachrichten von dem Urſprunge</hi></fw><lb/> beſſer, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich-<lb/> tig davon urtheilen? Es iſt nur ein blindes Unge-<lb/> fehr, wenn er es mit ſeinem Urtheile trifft; zu-<lb/> mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge-<lb/> ſchmackes gleich iſt. Er verdient denn keinen groͤſ-<lb/> ſern Ruhm, als daß er ſich aus Jrrthum ſelbſt<lb/> im rechten Wege befindet; wovon er aber ſelbſt<lb/> keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu-<lb/> zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat<lb/> der Poet davon, der dieſen guten Geſchmack Hrn.<lb/> Gottſcheds beſitzet? Warum ſoll man nach einem<lb/> Geſchmacke ſtreben, von dem man es nicht weis,<lb/> wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn<lb/> man ihn nicht hat, ſich ſolches mit eben ſo gutem<lb/> Recht ſchmeicheln kan, als wenn man ihn hat?<lb/> Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der<lb/> Anmerckung ſagen, <hi rendition="#fr">der groſſe Leibnitz ſey voll-<lb/> kommen Hrn. Gottſcheds Meinung;</hi> welches<lb/> noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hieſſe, Hr.<lb/> Gottſched waͤre des groſſen Leibnitzens Meinung.<lb/> Dieſer hat geſagt: <hi rendition="#aq">Le goût diſtingué de l’En-<lb/> tendement, conſiſte dans les perceptions<lb/> confuſes, dont on ne ſçauroit aſſez rendre<lb/> raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant<lb/> de l’Inſtinct. Le goût eſt formé par le na-<lb/> turel & par l’uſage: Et pour l’avoir bon, il<lb/> faut l’exercer à goûter les bonnes choſes,<lb/> que la raiſon & l’experience ont déja autori-<lb/> ſées.</hi> Jſt dieſes nicht grad das Gegentheil deſſen,<lb/> was Hr. Gottſched davon lehret? Man gebe nur<lb/> Achtung auf die Worte, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">diſtingué de l’Entendement;</hi><lb/> dont on ne ſçauroit <hi rendition="#i">aſſez</hi> rendre raiſon; quel-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">que</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0176]
Nachrichten von dem Urſprunge
beſſer, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich-
tig davon urtheilen? Es iſt nur ein blindes Unge-
fehr, wenn er es mit ſeinem Urtheile trifft; zu-
mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge-
ſchmackes gleich iſt. Er verdient denn keinen groͤſ-
ſern Ruhm, als daß er ſich aus Jrrthum ſelbſt
im rechten Wege befindet; wovon er aber ſelbſt
keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu-
zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat
der Poet davon, der dieſen guten Geſchmack Hrn.
Gottſcheds beſitzet? Warum ſoll man nach einem
Geſchmacke ſtreben, von dem man es nicht weis,
wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn
man ihn nicht hat, ſich ſolches mit eben ſo gutem
Recht ſchmeicheln kan, als wenn man ihn hat?
Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der
Anmerckung ſagen, der groſſe Leibnitz ſey voll-
kommen Hrn. Gottſcheds Meinung; welches
noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hieſſe, Hr.
Gottſched waͤre des groſſen Leibnitzens Meinung.
Dieſer hat geſagt: Le goût diſtingué de l’En-
tendement, conſiſte dans les perceptions
confuſes, dont on ne ſçauroit aſſez rendre
raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant
de l’Inſtinct. Le goût eſt formé par le na-
turel & par l’uſage: Et pour l’avoir bon, il
faut l’exercer à goûter les bonnes choſes,
que la raiſon & l’experience ont déja autori-
ſées. Jſt dieſes nicht grad das Gegentheil deſſen,
was Hr. Gottſched davon lehret? Man gebe nur
Achtung auf die Worte, diſtingué de l’Entendement;
dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon; quel-
que
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |