[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Nachrichten von dem Ursprunge Gestalt vor, welche sie mehr als alle ihre Vor-gänger in Deutschland vermieden hatten. "Sie "daß sagt: "Jch gestehe es, daß ich in gewissen Fällen gar
"wohl sagen kan, welcher Gedancke sinnreich sey oder nicht, "allein wenn ich eine Beschreibung geben soll, so will es "nicht fort." Wie kömmt es denn, sagten die Züri- cher, daß er mit so viel Eigendünckel einem Autor die Wissenschaft von dem, was scharfsinnig ist, abspricht, und sie einem andern zugesteht, eine Stelle als lächerlich verurtheilt, und eine andre gleich so unbegründet canonisirt. Es ist fürwahr, fähren sie fort, eine Thorheit zu hoffen, daß dergleichen Critici den Geschmack verbessern werden, daß diese Anführer die wahre und philosophische Wohlreden- heit wieder herstellen werden. Die Antwort, die Herr Philologus auf diese Beschuldigung im LVIsten St. des Biedermannes gegeben, ist recht fremd und sonderbar. "Was kan ich davor, sagt er, daß ich in meinem Va- "terlande kein so großsprecherisches Pralen gelernet, als "der Criticus in dem seinigen? Jch sage aus Be- "scheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit "ihm grosse Rodomontaden machen dürfte." Die Bescheidenheit ist wahrhaftig recht exemplarisch, da man sich selber der Unwissenheit in einer Sache schuldig erkennt, von welcher man im Begriffe stehet Lehren und Regeln zu geben! "Jch habe mich, sagt er ferner, zu Verbesse- "rung des Geschmackes in meinem damahligen Schrei- "ben nicht anheischig gemachet, und in diesem Absehen "wäre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof- "fen, was ich doch nicht versprochen habe." Dieser Verfasser schreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh- re, er schreibt um des Schreibens selber willen, nicht zu Verbesserung unsrer Begriffe; oder wenn er dieses thut, so will er es uns vorher ausdrücklich ankündigen. Man muß ihn darum auch nicht in der Hoffnung lesen, etwas bey ihm zu lernen, man muß sich nichts weiter vornehmen als, zu lesen. Nachrichten von dem Urſprunge Geſtalt vor, welche ſie mehr als alle ihre Vor-gaͤnger in Deutſchland vermieden hatten. „Sie „daß ſagt: „Jch geſtehe es, daß ich in gewiſſen Faͤllen gar
„wohl ſagen kan, welcher Gedancke ſinnreich ſey oder nicht, „allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll, ſo will es „nicht fort.„ Wie koͤmmt es denn, ſagten die Zuͤri- cher, daß er mit ſo viel Eigenduͤnckel einem Autor die Wiſſenſchaft von dem, was ſcharfſinnig iſt, abſpricht, und ſie einem andern zugeſteht, eine Stelle als laͤcherlich verurtheilt, und eine andre gleich ſo unbegruͤndet canoniſirt. Es iſt fuͤrwahr, faͤhren ſie fort, eine Thorheit zu hoffen, daß dergleichen Critici den Geſchmack verbeſſern werden, daß dieſe Anfuͤhrer die wahre und philoſophiſche Wohlreden- heit wieder herſtellen werden. Die Antwort, die Herr Philologus auf dieſe Beſchuldigung im LVIſten St. des Biedermannes gegeben, iſt recht fremd und ſonderbar. „Was kan ich davor, ſagt er, daß ich in meinem Va- „terlande kein ſo großſprecheriſches Pralen gelernet, als „der Criticus in dem ſeinigen? Jch ſage aus Be- „ſcheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit „ihm groſſe Rodomontaden machen duͤrfte.„ Die Beſcheidenheit iſt wahrhaftig recht exemplariſch, da man ſich ſelber der Unwiſſenheit in einer Sache ſchuldig erkennt, von welcher man im Begriffe ſtehet Lehren und Regeln zu geben! „Jch habe mich, ſagt er ferner, zu Verbeſſe- „rung des Geſchmackes in meinem damahligen Schrei- „ben nicht anheiſchig gemachet, und in dieſem Abſehen „waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof- „fen, was ich doch nicht verſprochen habe.„ Dieſer Verfaſſer ſchreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh- re, er ſchreibt um des Schreibens ſelber willen, nicht zu Verbeſſerung unſrer Begriffe; oder wenn er dieſes thut, ſo will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß ihn darum auch nicht in der Hoffnung leſen, etwas bey ihm zu lernen, man muß ſich nichts weiter vornehmen als, zu leſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0154" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Nachrichten von dem Urſprunge</hi></fw><lb/> Geſtalt vor, welche ſie mehr als alle ihre Vor-<lb/> gaͤnger in Deutſchland vermieden hatten.</p><lb/> <cit> <quote>„Sie<lb/> „ſind, ſagt er, durch das hin und wieder erlang-<lb/> „te Lob einiger Tiefſinnigkeit und Gruͤndlichkeit<lb/> „im Beurtheilen der Schriften ſo ſtoltz geworden,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„daß</fw><lb/><note xml:id="f45" prev="#f44" place="foot" n="(*)">ſagt: „Jch geſtehe es, daß ich in gewiſſen Faͤllen gar<lb/> „wohl ſagen kan, welcher Gedancke ſinnreich ſey oder nicht,<lb/> „allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll, ſo will es<lb/> „nicht fort.„ Wie koͤmmt es denn, ſagten die Zuͤri-<lb/> cher, daß er mit ſo viel Eigenduͤnckel einem Autor<lb/> die Wiſſenſchaft von dem, was ſcharfſinnig iſt, abſpricht,<lb/> und ſie einem andern zugeſteht, eine Stelle als laͤcherlich<lb/> verurtheilt, und eine andre gleich ſo unbegruͤndet canoniſirt.<lb/> Es iſt fuͤrwahr, faͤhren ſie fort, eine Thorheit zu hoffen,<lb/> daß dergleichen Critici den Geſchmack verbeſſern werden,<lb/> daß dieſe Anfuͤhrer die wahre und philoſophiſche Wohlreden-<lb/> heit wieder herſtellen werden. Die Antwort, die Herr<lb/> Philologus auf dieſe Beſchuldigung im <hi rendition="#aq">LVI</hi>ſten St. des<lb/> Biedermannes gegeben, iſt recht fremd und ſonderbar.<lb/> „Was kan ich davor, ſagt er, daß ich in meinem Va-<lb/> „terlande kein ſo großſprecheriſches Pralen gelernet, als<lb/> „der Criticus <hi rendition="#fr">in dem ſeinigen?</hi> Jch ſage aus Be-<lb/> „ſcheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit<lb/> „ihm groſſe Rodomontaden machen duͤrfte.„ Die<lb/> Beſcheidenheit iſt wahrhaftig recht exemplariſch, da man<lb/> ſich ſelber der Unwiſſenheit in einer Sache ſchuldig erkennt,<lb/> von welcher man im Begriffe ſtehet Lehren und Regeln zu<lb/> geben! „Jch habe mich, ſagt er ferner, zu Verbeſſe-<lb/> „rung des Geſchmackes in meinem damahligen Schrei-<lb/> „ben nicht anheiſchig gemachet, und in dieſem Abſehen<lb/> „waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof-<lb/> „fen, was ich doch nicht verſprochen habe.„ Dieſer<lb/> Verfaſſer ſchreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh-<lb/> re, er ſchreibt um des Schreibens ſelber willen, nicht zu<lb/> Verbeſſerung unſrer Begriffe; oder wenn er dieſes thut,<lb/> ſo will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß<lb/> ihn darum auch nicht in der Hoffnung leſen, etwas bey<lb/> ihm zu lernen, man muß ſich nichts weiter vornehmen als,<lb/><hi rendition="#fr">zu leſen.</hi></note><lb/></quote> </cit> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0154]
Nachrichten von dem Urſprunge
Geſtalt vor, welche ſie mehr als alle ihre Vor-
gaͤnger in Deutſchland vermieden hatten.
„Sie
„ſind, ſagt er, durch das hin und wieder erlang-
„te Lob einiger Tiefſinnigkeit und Gruͤndlichkeit
„im Beurtheilen der Schriften ſo ſtoltz geworden,
„daß
(*)
(*) ſagt: „Jch geſtehe es, daß ich in gewiſſen Faͤllen gar
„wohl ſagen kan, welcher Gedancke ſinnreich ſey oder nicht,
„allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll, ſo will es
„nicht fort.„ Wie koͤmmt es denn, ſagten die Zuͤri-
cher, daß er mit ſo viel Eigenduͤnckel einem Autor
die Wiſſenſchaft von dem, was ſcharfſinnig iſt, abſpricht,
und ſie einem andern zugeſteht, eine Stelle als laͤcherlich
verurtheilt, und eine andre gleich ſo unbegruͤndet canoniſirt.
Es iſt fuͤrwahr, faͤhren ſie fort, eine Thorheit zu hoffen,
daß dergleichen Critici den Geſchmack verbeſſern werden,
daß dieſe Anfuͤhrer die wahre und philoſophiſche Wohlreden-
heit wieder herſtellen werden. Die Antwort, die Herr
Philologus auf dieſe Beſchuldigung im LVIſten St. des
Biedermannes gegeben, iſt recht fremd und ſonderbar.
„Was kan ich davor, ſagt er, daß ich in meinem Va-
„terlande kein ſo großſprecheriſches Pralen gelernet, als
„der Criticus in dem ſeinigen? Jch ſage aus Be-
„ſcheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit
„ihm groſſe Rodomontaden machen duͤrfte.„ Die
Beſcheidenheit iſt wahrhaftig recht exemplariſch, da man
ſich ſelber der Unwiſſenheit in einer Sache ſchuldig erkennt,
von welcher man im Begriffe ſtehet Lehren und Regeln zu
geben! „Jch habe mich, ſagt er ferner, zu Verbeſſe-
„rung des Geſchmackes in meinem damahligen Schrei-
„ben nicht anheiſchig gemachet, und in dieſem Abſehen
„waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof-
„fen, was ich doch nicht verſprochen habe.„ Dieſer
Verfaſſer ſchreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh-
re, er ſchreibt um des Schreibens ſelber willen, nicht zu
Verbeſſerung unſrer Begriffe; oder wenn er dieſes thut,
ſo will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß
ihn darum auch nicht in der Hoffnung leſen, etwas bey
ihm zu lernen, man muß ſich nichts weiter vornehmen als,
zu leſen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |