Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

Verl. Paradies. I. B.
der auf Rache laurete; sein Auge war grim-
mig, doch gab es Zeichen einer nagenden Ge-
müthsleidenschaft von sich, wenn es seine Mit-
gesellen, oder besser zu sagen, seine Nachfol-
ger betrachtete, die sich seines Verbrechens
mittheilhaftig gemacht hatten, welche er hie-
bevor in einem ungleich andern Zustand der
Seligkeit gesehen, jezo auf ewig verurtheilt
sah, ihr Loos in der Pein zu beziehen; Mil-
lionen Geister, die wegen seines Fehlers aus
dem Himmel ausgemertzet, und wegen seiner
Empörung aus den ewigen Lichtern verstossen
worden; wenn es sah, wie sie in ihrem ver-
welckten Glantz dennoch so getreu bey ihm stuhn-
den. Wie die herrlichen Stämme der Wald-
Cichen und der Berg-Fichten, wenn sie das
Feuer vom Himmel getroffen hat, mit ver-
sengtem Gipfel und verdürrt noch auf der ver-
brandten Heide stehen. Er war jezo bereit,
sie anzureden; deßwegen schwenckten sie ihre
gedoppelten Linien von Flügel zu Flügel, und
schlossen ihn mit seinen Reichsfürsten halbig
ein. Die Aufmercksamkeit machte sie stumm.
Dreymahl fieng er an, und dreymahl brach

er
Dreymahl brach er wider seinen hochmüthigen Willen
in Thränen aus) Die Thränen der Unglücklichen, wenn
das Unglück gleich eine verdiente Straffe ist, so fern es
nur mit Reue begleitet ist, vermögen uns zum Mitleiden
zu bewegen. Hier empfinden wir solches durch die Kunst
des Poeten gegen Satan und seine gefallenen Schaaren
selbst, ungeachtet wir so gerechte und schwere Ursachen
haben, sie als Gottes und unsre geschwornen und boß-
hafte-
C 3

Verl. Paradies. I. B.
der auf Rache laurete; ſein Auge war grim-
mig, doch gab es Zeichen einer nagenden Ge-
muͤthsleidenſchaft von ſich, wenn es ſeine Mit-
geſellen, oder beſſer zu ſagen, ſeine Nachfol-
ger betrachtete, die ſich ſeines Verbrechens
mittheilhaftig gemacht hatten, welche er hie-
bevor in einem ungleich andern Zuſtand der
Seligkeit geſehen, jezo auf ewig verurtheilt
ſah, ihr Loos in der Pein zu beziehen; Mil-
lionen Geiſter, die wegen ſeines Fehlers aus
dem Himmel ausgemertzet, und wegen ſeiner
Empoͤrung aus den ewigen Lichtern verſtoſſen
worden; wenn es ſah, wie ſie in ihrem ver-
welckten Glantz dennoch ſo getreu bey ihm ſtuhn-
den. Wie die herrlichen Staͤmme der Wald-
Cichen und der Berg-Fichten, wenn ſie das
Feuer vom Himmel getroffen hat, mit ver-
ſengtem Gipfel und verduͤrrt noch auf der ver-
brandten Heide ſtehen. Er war jezo bereit,
ſie anzureden; deßwegen ſchwenckten ſie ihre
gedoppelten Linien von Fluͤgel zu Fluͤgel, und
ſchloſſen ihn mit ſeinen Reichsfuͤrſten halbig
ein. Die Aufmerckſamkeit machte ſie ſtumm.
Dreymahl fieng er an, und dreymahl brach

er
Dreymahl brach er wider ſeinen hochmuͤthigen Willen
in Thraͤnen aus) Die Thraͤnen der Ungluͤcklichen, wenn
das Ungluͤck gleich eine verdiente Straffe iſt, ſo fern es
nur mit Reue begleitet iſt, vermoͤgen uns zum Mitleiden
zu bewegen. Hier empfinden wir ſolches durch die Kunſt
des Poeten gegen Satan und ſeine gefallenen Schaaren
ſelbſt, ungeachtet wir ſo gerechte und ſchwere Urſachen
haben, ſie als Gottes und unſre geſchwornen und boß-
hafte-
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="37"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verl. Paradies. <hi rendition="#aq">I.</hi> B.</hi></fw><lb/>
der auf Rache laurete; &#x017F;ein Auge war grim-<lb/>
mig, doch gab es Zeichen einer nagenden Ge-<lb/>
mu&#x0364;thsleiden&#x017F;chaft von &#x017F;ich, wenn es &#x017F;eine Mit-<lb/>
ge&#x017F;ellen, oder be&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;agen, &#x017F;eine Nachfol-<lb/>
ger betrachtete, die &#x017F;ich &#x017F;eines Verbrechens<lb/>
mittheilhaftig gemacht hatten, welche er hie-<lb/>
bevor in einem ungleich andern Zu&#x017F;tand der<lb/>
Seligkeit ge&#x017F;ehen, jezo auf ewig verurtheilt<lb/>
&#x017F;ah, ihr Loos in der Pein zu beziehen; Mil-<lb/>
lionen Gei&#x017F;ter, die wegen &#x017F;eines Fehlers aus<lb/>
dem Himmel ausgemertzet, und wegen &#x017F;einer<lb/>
Empo&#x0364;rung aus den ewigen Lichtern ver&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en<lb/>
worden; wenn es &#x017F;ah, wie &#x017F;ie in ihrem ver-<lb/>
welckten Glantz dennoch &#x017F;o getreu bey ihm &#x017F;tuhn-<lb/>
den. Wie die herrlichen Sta&#x0364;mme der Wald-<lb/>
Cichen und der Berg-Fichten, wenn &#x017F;ie das<lb/>
Feuer vom Himmel getroffen hat, mit ver-<lb/>
&#x017F;engtem Gipfel und verdu&#x0364;rrt noch auf der ver-<lb/>
brandten Heide &#x017F;tehen. Er war jezo bereit,<lb/>
&#x017F;ie anzureden; deßwegen &#x017F;chwenckten &#x017F;ie ihre<lb/>
gedoppelten Linien von Flu&#x0364;gel zu Flu&#x0364;gel, und<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ihn mit &#x017F;einen Reichsfu&#x0364;r&#x017F;ten halbig<lb/>
ein. Die Aufmerck&#x017F;amkeit machte &#x017F;ie &#x017F;tumm.<lb/>
Dreymahl fieng er an, und dreymahl brach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 3</fw><fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_8_1" place="foot" next="#seg2pn_8_2">Dreymahl brach er wider &#x017F;einen hochmu&#x0364;thigen Willen<lb/>
in Thra&#x0364;nen aus) Die Thra&#x0364;nen der Unglu&#x0364;cklichen, wenn<lb/>
das Unglu&#x0364;ck gleich eine verdiente Straffe i&#x017F;t, &#x017F;o fern es<lb/>
nur mit Reue begleitet i&#x017F;t, vermo&#x0364;gen uns zum Mitleiden<lb/>
zu bewegen. Hier empfinden wir &#x017F;olches durch die Kun&#x017F;t<lb/>
des Poeten gegen Satan und &#x017F;eine gefallenen Schaaren<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, ungeachtet wir &#x017F;o gerechte und &#x017F;chwere Ur&#x017F;achen<lb/>
haben, &#x017F;ie als Gottes und un&#x017F;re ge&#x017F;chwornen und boß-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hafte-</fw></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0053] Verl. Paradies. I. B. der auf Rache laurete; ſein Auge war grim- mig, doch gab es Zeichen einer nagenden Ge- muͤthsleidenſchaft von ſich, wenn es ſeine Mit- geſellen, oder beſſer zu ſagen, ſeine Nachfol- ger betrachtete, die ſich ſeines Verbrechens mittheilhaftig gemacht hatten, welche er hie- bevor in einem ungleich andern Zuſtand der Seligkeit geſehen, jezo auf ewig verurtheilt ſah, ihr Loos in der Pein zu beziehen; Mil- lionen Geiſter, die wegen ſeines Fehlers aus dem Himmel ausgemertzet, und wegen ſeiner Empoͤrung aus den ewigen Lichtern verſtoſſen worden; wenn es ſah, wie ſie in ihrem ver- welckten Glantz dennoch ſo getreu bey ihm ſtuhn- den. Wie die herrlichen Staͤmme der Wald- Cichen und der Berg-Fichten, wenn ſie das Feuer vom Himmel getroffen hat, mit ver- ſengtem Gipfel und verduͤrrt noch auf der ver- brandten Heide ſtehen. Er war jezo bereit, ſie anzureden; deßwegen ſchwenckten ſie ihre gedoppelten Linien von Fluͤgel zu Fluͤgel, und ſchloſſen ihn mit ſeinen Reichsfuͤrſten halbig ein. Die Aufmerckſamkeit machte ſie ſtumm. Dreymahl fieng er an, und dreymahl brach er Dreymahl brach er wider ſeinen hochmuͤthigen Willen in Thraͤnen aus) Die Thraͤnen der Ungluͤcklichen, wenn das Ungluͤck gleich eine verdiente Straffe iſt, ſo fern es nur mit Reue begleitet iſt, vermoͤgen uns zum Mitleiden zu bewegen. Hier empfinden wir ſolches durch die Kunſt des Poeten gegen Satan und ſeine gefallenen Schaaren ſelbſt, ungeachtet wir ſo gerechte und ſchwere Urſachen haben, ſie als Gottes und unſre geſchwornen und boß- hafte- C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/53
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/53>, abgerufen am 22.11.2024.