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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Von dem Sinnreichen
nem critischen Wercke La maniere de bien penser
dans les ouvrages d'esprit
betitelt, fast gleiche Ge-
dancken von dieser Stelle des Horaz hat. Jch
will seine Worte hersezen: La mort n'epargne per-
sonne: Voila une pensee fort vraye & qui ne l'est,
que trop par malheur; mais c'est une pensee bien
simple & bien commune. Pour la rendre nouvel-
le en quelque facon, il n'y a qu'a la tourner de
la maniere qu'Horace & Malherbe ont fait.
Der
Jnhalt dieser Stelle ist nicht: Alle Menschen
müssen sterben; sondern: Grosse Herrn sind
vor dem Tode so wenig gesichert/ als geringe
Leute; der Tod schont keinen.
Die wahre
Ursache, daß diese Stelle scharfsinnig genannt wird,
ist die Aehnlichkeit, welche sie in der Vergleichung
eines Königs und eines Hirten, zwoer Personen,
die so weit von einander entfernt scheinen, als wi-
derwärtige Dinge, entdecket; da sie weiter nichts
mit einander gemein haben, sind sie doch in dem
Tode einander gleich.

Allein je weiter Phyllis in Entdeckung der Na-
tur des Sinnreichen fortzugehen vermeint, desto-
mehr geräth sie auf Abwege, welche sie je länger
je weiter von der Wahrheit entfernen. Oft/
fährt sie fort, geschieht es, daß eine sinnreiche
Rede sich auf eine Zweydeutigkeit gründet. Der
Herr von Besser schreibt an Melinden, daß
er sie aufrichtig und nicht aus Begierde nach
ihrem Reichthum liebe:

Was wilst du mehr? Jch meide dich,
Jch will dich andern überlassen;
Nur, hast du ja kein Hertz für mich,
So hab auch keines mich zu hassen.
Die

Von dem Sinnreichen
nem critiſchen Wercke La maniere de bien penſer
dans les ouvrages d’eſprit
betitelt, faſt gleiche Ge-
dancken von dieſer Stelle des Horaz hat. Jch
will ſeine Worte herſezen: La mort n’épargne per-
ſonne: Voila une penſée fort vraye & qui ne l’eſt,
que trop par malheur; mais c’eſt une penſée bien
ſimple & bien commune. Pour la rendre nouvel-
le en quelque façon, il n’y a qu’à la tourner de
la maniere qu’Horace & Malhérbe ont fait.
Der
Jnhalt dieſer Stelle iſt nicht: Alle Menſchen
muͤſſen ſterben; ſondern: Groſſe Herrn ſind
vor dem Tode ſo wenig geſichert/ als geringe
Leute; der Tod ſchont keinen.
Die wahre
Urſache, daß dieſe Stelle ſcharfſinnig genannt wird,
iſt die Aehnlichkeit, welche ſie in der Vergleichung
eines Koͤnigs und eines Hirten, zwoer Perſonen,
die ſo weit von einander entfernt ſcheinen, als wi-
derwaͤrtige Dinge, entdecket; da ſie weiter nichts
mit einander gemein haben, ſind ſie doch in dem
Tode einander gleich.

Allein je weiter Phyllis in Entdeckung der Na-
tur des Sinnreichen fortzugehen vermeint, deſto-
mehr geraͤth ſie auf Abwege, welche ſie je laͤnger
je weiter von der Wahrheit entfernen. Oft/
faͤhrt ſie fort, geſchieht es, daß eine ſinnreiche
Rede ſich auf eine Zweydeutigkeit gruͤndet. Der
Herr von Beſſer ſchreibt an Melinden, daß
er ſie aufrichtig und nicht aus Begierde nach
ihrem Reichthum liebe:

Was wilſt du mehr? Jch meide dich,
Jch will dich andern uͤberlaſſen;
Nur, haſt du ja kein Hertz fuͤr mich,
So hab auch keines mich zu haſſen.
Die
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[108/0124] Von dem Sinnreichen nem critiſchen Wercke La maniere de bien penſer dans les ouvrages d’eſprit betitelt, faſt gleiche Ge- dancken von dieſer Stelle des Horaz hat. Jch will ſeine Worte herſezen: La mort n’épargne per- ſonne: Voila une penſée fort vraye & qui ne l’eſt, que trop par malheur; mais c’eſt une penſée bien ſimple & bien commune. Pour la rendre nouvel- le en quelque façon, il n’y a qu’à la tourner de la maniere qu’Horace & Malhérbe ont fait. Der Jnhalt dieſer Stelle iſt nicht: Alle Menſchen muͤſſen ſterben; ſondern: Groſſe Herrn ſind vor dem Tode ſo wenig geſichert/ als geringe Leute; der Tod ſchont keinen. Die wahre Urſache, daß dieſe Stelle ſcharfſinnig genannt wird, iſt die Aehnlichkeit, welche ſie in der Vergleichung eines Koͤnigs und eines Hirten, zwoer Perſonen, die ſo weit von einander entfernt ſcheinen, als wi- derwaͤrtige Dinge, entdecket; da ſie weiter nichts mit einander gemein haben, ſind ſie doch in dem Tode einander gleich. Allein je weiter Phyllis in Entdeckung der Na- tur des Sinnreichen fortzugehen vermeint, deſto- mehr geraͤth ſie auf Abwege, welche ſie je laͤnger je weiter von der Wahrheit entfernen. Oft/ faͤhrt ſie fort, geſchieht es, daß eine ſinnreiche Rede ſich auf eine Zweydeutigkeit gruͤndet. Der Herr von Beſſer ſchreibt an Melinden, daß er ſie aufrichtig und nicht aus Begierde nach ihrem Reichthum liebe: Was wilſt du mehr? Jch meide dich, Jch will dich andern uͤberlaſſen; Nur, haſt du ja kein Hertz fuͤr mich, So hab auch keines mich zu haſſen. Die

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/124>, abgerufen am 22.11.2024.