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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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und dem Scharfsinnigen.
Wolfen Anleitung in eine gewissere Ordnung
bringe.

Jch finde in seiner Metaphysik eine eigene Be-
schreibung von dem Scharfsinnigen überhaupt.
Es heißt auf dem 469sten Bl.

"Wer viele Deut-
"lichkeit in den Begriffen der Dinge hat,
"und also genau herauszusuchen weiß, wo-
"rinnen eines einem andern von seiner Art
"ähnlich, und worinnen es hinwiderum von
"ihm unterschieden ist; derselbe ist Scharf-
"sinnig.
Und also ist die Scharfsinnigkeit die
"erste Art der Vollkommenheit des Verstandes,
"die sich so wol auf die anschauende, als figürli-
"che Erkanntniß erstrecket. Und demnach ist ei-
"ner um so viel scharfsinniger, je mehr er in einer
"Sache, die er sich vorstellet, entdecken kan, als
"der andere. Und in der figürlichen Erkanntniß
"kommt die Scharfsinnigkeit auf den höchsten
"Grad, wenn man alles erklären kan."

Wenn
wir nun diese Beschreibung mit den schon angeführ-
ten Stellen zusammenhalten, so können wir in un-
terschiedlichen Sätzen herausbringen, was den all-
gemeinen Character des Scharfsinnigen im Reden
und Schreiben ausmachet.

Erstlich muß die Aehnlichkeit nicht allzu nahe seyn,
noch so, daß sie jedermann leicht in die Augen fällt.
Es wird zum Exempel keine Scharfsinnigkeit er-
fodert, in gleichen Dingen Aehnlichkeiten zu ent-
decken.

Zweytens muß die Aehnlichkeit nicht allzu ent-
fernt seyn, so daß man Mühe hat, dieselbe nach ei-
ner langen Betrachtung zu errathen. Sie muß

nicht

und dem Scharfſinnigen.
Wolfen Anleitung in eine gewiſſere Ordnung
bringe.

Jch finde in ſeiner Metaphyſik eine eigene Be-
ſchreibung von dem Scharfſinnigen uͤberhaupt.
Es heißt auf dem 469ſten Bl.

Wer viele Deut-
„lichkeit in den Begriffen der Dinge hat,
„und alſo genau herauszuſuchen weiß, wo-
„rinnen eines einem andern von ſeiner Art
„aͤhnlich, und worinnen es hinwiderum von
„ihm unterſchieden iſt; derſelbe iſt Scharf-
„ſinnig.
Und alſo iſt die Scharfſinnigkeit die
„erſte Art der Vollkommenheit des Verſtandes,
„die ſich ſo wol auf die anſchauende, als figuͤrli-
„che Erkanntniß erſtrecket. Und demnach iſt ei-
„ner um ſo viel ſcharfſinniger, je mehr er in einer
„Sache, die er ſich vorſtellet, entdecken kan, als
„der andere. Und in der figuͤrlichen Erkanntniß
„kommt die Scharfſinnigkeit auf den hoͤchſten
„Grad, wenn man alles erklaͤren kan.„

Wenn
wir nun dieſe Beſchreibung mit den ſchon angefuͤhr-
ten Stellen zuſammenhalten, ſo koͤnnen wir in un-
terſchiedlichen Saͤtzen herausbringen, was den all-
gemeinen Character des Scharfſinnigen im Reden
und Schreiben ausmachet.

Erſtlich muß die Aehnlichkeit nicht allzu nahe ſeyn,
noch ſo, daß ſie jedermann leicht in die Augen faͤllt.
Es wird zum Exempel keine Scharfſinnigkeit er-
fodert, in gleichen Dingen Aehnlichkeiten zu ent-
decken.

Zweytens muß die Aehnlichkeit nicht allzu ent-
fernt ſeyn, ſo daß man Muͤhe hat, dieſelbe nach ei-
ner langen Betrachtung zu errathen. Sie muß

nicht
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[93/0109] und dem Scharfſinnigen. Wolfen Anleitung in eine gewiſſere Ordnung bringe. Jch finde in ſeiner Metaphyſik eine eigene Be- ſchreibung von dem Scharfſinnigen uͤberhaupt. Es heißt auf dem 469ſten Bl. „Wer viele Deut- „lichkeit in den Begriffen der Dinge hat, „und alſo genau herauszuſuchen weiß, wo- „rinnen eines einem andern von ſeiner Art „aͤhnlich, und worinnen es hinwiderum von „ihm unterſchieden iſt; derſelbe iſt Scharf- „ſinnig. Und alſo iſt die Scharfſinnigkeit die „erſte Art der Vollkommenheit des Verſtandes, „die ſich ſo wol auf die anſchauende, als figuͤrli- „che Erkanntniß erſtrecket. Und demnach iſt ei- „ner um ſo viel ſcharfſinniger, je mehr er in einer „Sache, die er ſich vorſtellet, entdecken kan, als „der andere. Und in der figuͤrlichen Erkanntniß „kommt die Scharfſinnigkeit auf den hoͤchſten „Grad, wenn man alles erklaͤren kan.„ Wenn wir nun dieſe Beſchreibung mit den ſchon angefuͤhr- ten Stellen zuſammenhalten, ſo koͤnnen wir in un- terſchiedlichen Saͤtzen herausbringen, was den all- gemeinen Character des Scharfſinnigen im Reden und Schreiben ausmachet. Erſtlich muß die Aehnlichkeit nicht allzu nahe ſeyn, noch ſo, daß ſie jedermann leicht in die Augen faͤllt. Es wird zum Exempel keine Scharfſinnigkeit er- fodert, in gleichen Dingen Aehnlichkeiten zu ent- decken. Zweytens muß die Aehnlichkeit nicht allzu ent- fernt ſeyn, ſo daß man Muͤhe hat, dieſelbe nach ei- ner langen Betrachtung zu errathen. Sie muß nicht

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/109>, abgerufen am 28.11.2024.