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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Von dem Sinnreichen
"wie man zu reden pfleget, ein gutes Gedächt-
"niß haben, wenn sie zugleich auf die Sachen
"aufmerksam sind. Wiewohl er in einem gerin-
"gen Grade angetroffen wird, wo nicht Scharf-
"sinnigkeit dazu kömmt. Nemlich wo es an
"Scharfsinnigkeit fehlet, da nimmt man nur
"Aehnlichkeiten wahr, die bald in die Augen
"fallen; hingegen wo man scharfsinnig ist, da
"entdeket man Aehnlichkeiten, die nicht ein jeder
"gleich wahrnimmt. Jn dem ersten Falle kan
"man auch den Schein für das Wesen nehmen;
"in dem andern Falle aber ist jederzeit eine wohl-
"gegründete Aehnlichkeit vorhanden. Je mehr
"also einer Aehnlichkeiten zu entdeken weiß, je
"mehr hat er Wiz, und je sinnreicher ist er. Jn-
"gleichen je verborgenere Aehnlichkeiten einer ent-
"deken kan, je grösser ist sein Wiz. Hingegen
"ist einer mit geringem Wize begabet, wann er
"gar schwer Aehnlichkeiten entdeken kan, und
"ohne allen Wiz ist, der nicht sehen kan, wenn
"ein Ding dem andern ähnlich ist."

Jn den Anmerkungen über das erwähnte
Buch lehret Hr. Wolf ferner, wie diese Be-
schreibung des Wizes und derselben Erläuterung
zum Nuzen anzuwenden sey:

"Was ich von
"dem Wize gelchret habe, dienet nicht allein die
"Redner und Poeten, auch Comödien- und
"Tragödien-Schreiber, sondern auch selbst die
"Autoren, welche die Disciplinen und dahin
"gehörige Sachen beschrieben, zu beurtheilen,
"und bey denen Erfindern und ihren Erfindungen
"hat man auch darauf zu sehen. Ja wenn man
"die
Von dem Sinnreichen
„wie man zu reden pfleget, ein gutes Gedaͤcht-
„niß haben, wenn ſie zugleich auf die Sachen
„aufmerkſam ſind. Wiewohl er in einem gerin-
„gen Grade angetroffen wird, wo nicht Scharf-
„ſinnigkeit dazu koͤmmt. Nemlich wo es an
„Scharfſinnigkeit fehlet, da nimmt man nur
„Aehnlichkeiten wahr, die bald in die Augen
„fallen; hingegen wo man ſcharfſinnig iſt, da
„entdeket man Aehnlichkeiten, die nicht ein jeder
„gleich wahrnimmt. Jn dem erſten Falle kan
„man auch den Schein fuͤr das Weſen nehmen;
„in dem andern Falle aber iſt jederzeit eine wohl-
„gegruͤndete Aehnlichkeit vorhanden. Je mehr
„alſo einer Aehnlichkeiten zu entdeken weiß, je
„mehr hat er Wiz, und je ſinnreicher iſt er. Jn-
„gleichen je verborgenere Aehnlichkeiten einer ent-
„deken kan, je groͤſſer iſt ſein Wiz. Hingegen
„iſt einer mit geringem Wize begabet, wann er
„gar ſchwer Aehnlichkeiten entdeken kan, und
„ohne allen Wiz iſt, der nicht ſehen kan, wenn
„ein Ding dem andern aͤhnlich iſt.„

Jn den Anmerkungen uͤber das erwaͤhnte
Buch lehret Hr. Wolf ferner, wie dieſe Be-
ſchreibung des Wizes und derſelben Erlaͤuterung
zum Nuzen anzuwenden ſey:

„Was ich von
„dem Wize gelchret habe, dienet nicht allein die
„Redner und Poeten, auch Comoͤdien- und
„Tragoͤdien-Schreiber, ſondern auch ſelbſt die
„Autoren, welche die Diſciplinen und dahin
„gehoͤrige Sachen beſchrieben, zu beurtheilen,
„und bey denen Erfindern und ihren Erfindungen
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[90/0106] Von dem Sinnreichen „wie man zu reden pfleget, ein gutes Gedaͤcht- „niß haben, wenn ſie zugleich auf die Sachen „aufmerkſam ſind. Wiewohl er in einem gerin- „gen Grade angetroffen wird, wo nicht Scharf- „ſinnigkeit dazu koͤmmt. Nemlich wo es an „Scharfſinnigkeit fehlet, da nimmt man nur „Aehnlichkeiten wahr, die bald in die Augen „fallen; hingegen wo man ſcharfſinnig iſt, da „entdeket man Aehnlichkeiten, die nicht ein jeder „gleich wahrnimmt. Jn dem erſten Falle kan „man auch den Schein fuͤr das Weſen nehmen; „in dem andern Falle aber iſt jederzeit eine wohl- „gegruͤndete Aehnlichkeit vorhanden. Je mehr „alſo einer Aehnlichkeiten zu entdeken weiß, je „mehr hat er Wiz, und je ſinnreicher iſt er. Jn- „gleichen je verborgenere Aehnlichkeiten einer ent- „deken kan, je groͤſſer iſt ſein Wiz. Hingegen „iſt einer mit geringem Wize begabet, wann er „gar ſchwer Aehnlichkeiten entdeken kan, und „ohne allen Wiz iſt, der nicht ſehen kan, wenn „ein Ding dem andern aͤhnlich iſt.„ Jn den Anmerkungen uͤber das erwaͤhnte Buch lehret Hr. Wolf ferner, wie dieſe Be- ſchreibung des Wizes und derſelben Erlaͤuterung zum Nuzen anzuwenden ſey: „Was ich von „dem Wize gelchret habe, dienet nicht allein die „Redner und Poeten, auch Comoͤdien- und „Tragoͤdien-Schreiber, ſondern auch ſelbſt die „Autoren, welche die Diſciplinen und dahin „gehoͤrige Sachen beſchrieben, zu beurtheilen, „und bey denen Erfindern und ihren Erfindungen „hat man auch darauf zu ſehen. Ja wenn man „die

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/106>, abgerufen am 24.11.2024.