Wenn man denn wenigstens Mittel und Wege erfinden könnte, den verderbten Wil- len in besagten Stüken zu verbessern, die zag- hafte Furcht aus dem Wege zu räumen, die Liebe zu dem Wahren anzuflammen, und die Großmuth zu dessen Verfechtung in die Her- zen zu pflanzen, so würde der Geschmak, wenn der Verstand mit Freyheit würkete, bald fei- ner und allgemeiner werden. Wir würden nicht ganze Jahrhunderte nöthig haben, den- selben bey uns auf den gewünschten Gipfel der Verbesserung zu erheben. Man hat eine so lange Zeit zu diesem Werke in der ersten Vor- rede zu den critischen Beyträgen in Leipzig ge- fodert. Es heißt daselbst:
"Daß mehr als "ein Jahrhundert dazu gehöre, wenn ein "ganzes Volk aus seiner natürlichen Rauhig- "keit gerissen werden soll. Opiz, der einen "ganz andern Geschmak bey den Deutschen "eingeführt, sey noch nicht hundert Jahre "todt, und wir seyn mit der Ausführung ei- "nes so grossen Werckes, als die Verbesse- "rung des Geschmakes der Deutschen ist, "kaum bis auf die Helfte gekommen."
Was vor eine Langsamkeit schreibt man hier den Deut- schen zu, nicht ohne eine heimliche Beschuldi- gung einer ziemlichen Plumpheit? Lasset uns ein besseres Vertrauen zu der Geistes- und Verstandes-Fertigkeit unsrer Landsleute ha-
ben.
Wenn man denn wenigſtens Mittel und Wege erfinden koͤnnte, den verderbten Wil- len in beſagten Stuͤken zu verbeſſern, die zag- hafte Furcht aus dem Wege zu raͤumen, die Liebe zu dem Wahren anzuflammen, und die Großmuth zu deſſen Verfechtung in die Her- zen zu pflanzen, ſo wuͤrde der Geſchmak, wenn der Verſtand mit Freyheit wuͤrkete, bald fei- ner und allgemeiner werden. Wir wuͤrden nicht ganze Jahrhunderte noͤthig haben, den- ſelben bey uns auf den gewuͤnſchten Gipfel der Verbeſſerung zu erheben. Man hat eine ſo lange Zeit zu dieſem Werke in der erſten Vor- rede zu den critiſchen Beytraͤgen in Leipzig ge- fodert. Es heißt daſelbſt:
„Daß mehr als „ein Jahrhundert dazu gehoͤre, wenn ein „ganzes Volk aus ſeiner natuͤrlichen Rauhig- „keit geriſſen werden ſoll. Opiz, der einen „ganz andern Geſchmak bey den Deutſchen „eingefuͤhrt, ſey noch nicht hundert Jahre „todt, und wir ſeyn mit der Ausfuͤhrung ei- „nes ſo groſſen Werckes, als die Verbeſſe- „rung des Geſchmakes der Deutſchen iſt, „kaum bis auf die Helfte gekommen.„
Was vor eine Langſamkeit ſchreibt man hier den Deut- ſchen zu, nicht ohne eine heimliche Beſchuldi- gung einer ziemlichen Plumpheit? Laſſet uns ein beſſeres Vertrauen zu der Geiſtes- und Verſtandes-Fertigkeit unſrer Landsleute ha-
ben.
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[0010]
Wenn man denn wenigſtens Mittel und
Wege erfinden koͤnnte, den verderbten Wil-
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hafte Furcht aus dem Wege zu raͤumen, die
Liebe zu dem Wahren anzuflammen, und die
Großmuth zu deſſen Verfechtung in die Her-
zen zu pflanzen, ſo wuͤrde der Geſchmak, wenn
der Verſtand mit Freyheit wuͤrkete, bald fei-
ner und allgemeiner werden. Wir wuͤrden
nicht ganze Jahrhunderte noͤthig haben, den-
ſelben bey uns auf den gewuͤnſchten Gipfel der
Verbeſſerung zu erheben. Man hat eine ſo
lange Zeit zu dieſem Werke in der erſten Vor-
rede zu den critiſchen Beytraͤgen in Leipzig ge-
fodert. Es heißt daſelbſt:
„Daß mehr als
„ein Jahrhundert dazu gehoͤre, wenn ein
„ganzes Volk aus ſeiner natuͤrlichen Rauhig-
„keit geriſſen werden ſoll. Opiz, der einen
„ganz andern Geſchmak bey den Deutſchen
„eingefuͤhrt, ſey noch nicht hundert Jahre
„todt, und wir ſeyn mit der Ausfuͤhrung ei-
„nes ſo groſſen Werckes, als die Verbeſſe-
„rung des Geſchmakes der Deutſchen iſt,
„kaum bis auf die Helfte gekommen.„ Was
vor eine Langſamkeit ſchreibt man hier den Deut-
ſchen zu, nicht ohne eine heimliche Beſchuldi-
gung einer ziemlichen Plumpheit? Laſſet uns
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/10>, abgerufen am 16.02.2025.
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