Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Erstes Buch. de leur conduite, soit dans l'administration de leurs etats respectifs, soitdans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les pre- ceptes de cette religion sainte, preceptes de justice, de charite et de paix, qui loin d'etre uniquement applicables a la vie privee, doivent au contraire influer directement sur les resolutions des princes et guider toutes leurs demarches comme etant le seul moyen de consolider les institutions humaines et de remedier a leurs imperfections." Der Versuch mußte grundsätzlich miß- lingen, weil Christus überhaupt keine äußere Weltordnung eingeführt und keine Rechtsgesetze gegeben hat und er scheiterte thatsächlich als der Widerstreit der In- teressen die Alliirten entzweite, die neuen Bedürfnisse nach einer neuen Rechts- gestaltung drängten, und der selbstbewußte Geist der europäischen Philosophie und Rechtswissenschaft aus dem träumerischen Schlummer der Restaurationszeit wieder aufwachte. 2. Die Religion verbindet die Menschen mit Gott, das Recht ordnet 7. Das Völkerrecht ist nicht auf die europäische Völkerfamilie beschränkt. Das heutige Völkerrecht ist vorerst inmitten der christlichen und der Erſtes Buch. de leur conduite, soit dans l’administration de leurs états respectifs, soitdans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les pré- ceptes de cette religion sainte, préceptes de justice, de charité et de paix, qui loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire influer directement sur les résolutions des princes et guider toutes leurs démarches comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines et de remédier à leurs imperfections.“ Der Verſuch mußte grundſätzlich miß- lingen, weil Chriſtus überhaupt keine äußere Weltordnung eingeführt und keine Rechtsgeſetze gegeben hat und er ſcheiterte thatſächlich als der Widerſtreit der In- tereſſen die Alliirten entzweite, die neuen Bedürfniſſe nach einer neuen Rechts- geſtaltung drängten, und der ſelbſtbewußte Geiſt der europäiſchen Philoſophie und Rechtswiſſenſchaft aus dem träumeriſchen Schlummer der Reſtaurationszeit wieder aufwachte. 2. Die Religion verbindet die Menſchen mit Gott, das Recht ordnet 7. Das Völkerrecht iſt nicht auf die europäiſche Völkerfamilie beſchränkt. Das heutige Völkerrecht iſt vorerſt inmitten der chriſtlichen und der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="56"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch.</fw><lb/><hi rendition="#aq">de leur conduite, soit dans l’administration de leurs états respectifs, soit<lb/> dans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les pré-<lb/> ceptes de cette religion sainte, préceptes de justice, de charité et de paix,<lb/> qui loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire<lb/> influer directement sur les résolutions des princes et guider toutes leurs<lb/> démarches comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines<lb/> et de remédier à leurs imperfections.“</hi> Der Verſuch mußte grundſätzlich miß-<lb/> lingen, weil Chriſtus überhaupt keine äußere Weltordnung eingeführt und keine<lb/> Rechtsgeſetze gegeben hat und er ſcheiterte thatſächlich als der Widerſtreit der In-<lb/> tereſſen die Alliirten entzweite, die neuen Bedürfniſſe nach einer neuen Rechts-<lb/> geſtaltung drängten, und der ſelbſtbewußte Geiſt der europäiſchen Philoſophie und<lb/> Rechtswiſſenſchaft aus dem träumeriſchen Schlummer der Reſtaurationszeit wieder<lb/> aufwachte.</p><lb/> <p>2. 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Erſtes Buch.
de leur conduite, soit dans l’administration de leurs états respectifs, soit
dans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les pré-
ceptes de cette religion sainte, préceptes de justice, de charité et de paix,
qui loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire
influer directement sur les résolutions des princes et guider toutes leurs
démarches comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines
et de remédier à leurs imperfections.“ Der Verſuch mußte grundſätzlich miß-
lingen, weil Chriſtus überhaupt keine äußere Weltordnung eingeführt und keine
Rechtsgeſetze gegeben hat und er ſcheiterte thatſächlich als der Widerſtreit der In-
tereſſen die Alliirten entzweite, die neuen Bedürfniſſe nach einer neuen Rechts-
geſtaltung drängten, und der ſelbſtbewußte Geiſt der europäiſchen Philoſophie und
Rechtswiſſenſchaft aus dem träumeriſchen Schlummer der Reſtaurationszeit wieder
aufwachte.
2. Die Religion verbindet die Menſchen mit Gott, das Recht ordnet
die Beziehungen der Menſchen zu den Menſchen. Die völkerrechtlichen Fragen
ſind daher nicht aus der Glaubenslehre, ſondern nach menſchlichen Grundſätzen zu
entſcheiden. Die Beſchränkung des Völkerrechts auf die chriſtlichen Staten mochte
dem glaubenseifrigen und unduldſamen Geiſt des Mittelalters ebenſo natürlich er-
ſcheinen, wie der gleichzeitige Anſpruch der islamitiſchen Staten auf die Tribut-
leiſtung der Ungläubigen. Die heutige Menſchheit fühlt und kennt ihre Zuſammen-
gehörigkeit, wenn gleich verſchiedene Religionen in ihr wirken. Ein Stat erwirbt
nicht deßhalb beſondere Rechte gegen einen andern Stat, weil in jenem das Chriſten-
thum und in dieſem der Islam verbreitet iſt, und ſeiner Menſchenpflicht kann ſich
Niemand aus dem Grunde entziehen, weil er orthodox und der Andere nicht orthodox
iſt. So wenig das menſchliche Auge oder Ohr in Folge des religiöſen Glaubens
andere Eigenſchaften erhält, eben ſo wenig wird das menſchliche Recht durch den
Glauben geändert.
7.
Das Völkerrecht iſt nicht auf die europäiſche Völkerfamilie beſchränkt.
Das Gebiet ſeiner Herrſchaft iſt die ganze Erdoberfläche, ſo weit auf ihr
ſich Menſchen berühren.
Das heutige Völkerrecht iſt vorerſt inmitten der chriſtlichen und der
europäiſchen Völkerfamilie, zu welcher natürlich die Colonien in Amerika mit
zu rechnen ſind, entſtanden und wird durch ihre Einflüſſe allmählich über den Erd-
ball hin ausgebreitet. Vgl. § 111. Die germaniſche und die romaniſche
Raſſe haben das Meiſte dazu gethan. Aber gerade weil der Geiſt dieſer Raſſen
einen univerſellen Charakter hat, und nach Humanität trachtet, ſo verwirft er grund-
ſätzlich jede Beſchränkung des Völkerrechts auf beſtimmte Völker und will allen
Völkern gerecht werden. Dieſe Wahrheit war ſchon von Pufendorf und
Montesquieu klar gemacht worden, und dennoch hat bis tief ins neunzehnte
Jahrhundert hinein die mittelalterliche Beſchränkung auf die chriſtlichen Staten in
der Litteratur und in der Praxis ſich erhalten.
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