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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
klagen sich darüber, daß England nicht sorgfältig und nicht entschieden
genug die Begünstigung der Südstaten verhindert und durch Lieferung
von englischen Schiffen die räuberischen Kreuzer ausgerüstet habe, welche
die Meere unsicher machten; und manche Zeichen deuten darauf, daß
auch die Amerikanische Praxis bei Kriegen europäischer Staten eine laxere
Politik befolgen werde und ihren Schiffsbauern verstatten werde, den
Kriegsparteien Kriegsschiffe zu liefern.

Man sieht, die theilweise widerstrebenden Interessen des freien Han-
dels der Neutralen auch mit der Nation der Kriegspartei und der uner-
läßlichen Enthaltsamkeit von jeder Theilnahme am Krieg von Seite des
neutralen Stats sind noch mit einander im Kampf und suchen noch das
gerechte Gleichgewicht.

Das Recht der nationalen Entwicklung und der
Selbstbestimmung der Völker.

In unserer Zeit hört man oft die laute Klage, der Bestand der
Staten selber sei nicht mehr wie früher durch das Völkerrecht gesichert, die
Revolution von Innen, die Uebermacht von Außen bedrohen alle legitimen
Gewalten, und so oft ihnen der Umsturz eines rechtlich begründeten Zu-
standes glücke, so werde die vollendete Thatsache, das heißt zumeist das
siegreiche Unrecht von den Mächten als neues Recht gutgeheißen und an-
erkannt. Man beschuldigt das heutige Völkerrecht, es habe alles Ver-
ständniß verloren für die Rechtssicherheit der Staten und ihrer Regierun-
gen und huldige jederzeit gefügig dem brutalen Erfolg.

Man sehe zu, ob denen, welche so reden, nicht selber alles Ver-
ständniß fehlt in die Natur des Völkerrechts und des öffentlichen Rechts
überhaupt.

Die inneren Verfassungsänderungen eines Stats und die Wechsel der
Fürsten und Dynastien sind meistens Vorgänge in dem Leben eines ein-
zelnen Volkes und States und eben deßhalb zunächst staatsrechtlich,
nicht völkerrechtlich
zu beurtheilen. Das Völkerrecht ordnet nicht die
einzelnen Staten, sondern nur die Beziehungen der Staten zu einander.
Erst in zweiter Linie tritt daher an das Völkerrecht die Frage heran,
ob ein Stat, der eine solche Umwandlung erfahren hat und seine thatsäch-
lich die Statsgewalt ausübende Regierung auch in der Statengemeinschaft
und im Statenverkehr als souveräne Personen anzuerkennen seien. Für

Einleitung.
klagen ſich darüber, daß England nicht ſorgfältig und nicht entſchieden
genug die Begünſtigung der Südſtaten verhindert und durch Lieferung
von engliſchen Schiffen die räuberiſchen Kreuzer ausgerüſtet habe, welche
die Meere unſicher machten; und manche Zeichen deuten darauf, daß
auch die Amerikaniſche Praxis bei Kriegen europäiſcher Staten eine laxere
Politik befolgen werde und ihren Schiffsbauern verſtatten werde, den
Kriegsparteien Kriegsſchiffe zu liefern.

Man ſieht, die theilweiſe widerſtrebenden Intereſſen des freien Han-
dels der Neutralen auch mit der Nation der Kriegspartei und der uner-
läßlichen Enthaltſamkeit von jeder Theilnahme am Krieg von Seite des
neutralen Stats ſind noch mit einander im Kampf und ſuchen noch das
gerechte Gleichgewicht.

Das Recht der nationalen Entwicklung und der
Selbſtbeſtimmung der Völker.

In unſerer Zeit hört man oft die laute Klage, der Beſtand der
Staten ſelber ſei nicht mehr wie früher durch das Völkerrecht geſichert, die
Revolution von Innen, die Uebermacht von Außen bedrohen alle legitimen
Gewalten, und ſo oft ihnen der Umſturz eines rechtlich begründeten Zu-
ſtandes glücke, ſo werde die vollendete Thatſache, das heißt zumeiſt das
ſiegreiche Unrecht von den Mächten als neues Recht gutgeheißen und an-
erkannt. Man beſchuldigt das heutige Völkerrecht, es habe alles Ver-
ſtändniß verloren für die Rechtsſicherheit der Staten und ihrer Regierun-
gen und huldige jederzeit gefügig dem brutalen Erfolg.

Man ſehe zu, ob denen, welche ſo reden, nicht ſelber alles Ver-
ſtändniß fehlt in die Natur des Völkerrechts und des öffentlichen Rechts
überhaupt.

Die inneren Verfaſſungsänderungen eines Stats und die Wechſel der
Fürſten und Dynaſtien ſind meiſtens Vorgänge in dem Leben eines ein-
zelnen Volkes und States und eben deßhalb zunächſt ſtaatsrechtlich,
nicht völkerrechtlich
zu beurtheilen. Das Völkerrecht ordnet nicht die
einzelnen Staten, ſondern nur die Beziehungen der Staten zu einander.
Erſt in zweiter Linie tritt daher an das Völkerrecht die Frage heran,
ob ein Stat, der eine ſolche Umwandlung erfahren hat und ſeine thatſäch-
lich die Statsgewalt ausübende Regierung auch in der Statengemeinſchaft
und im Statenverkehr als ſouveräne Perſonen anzuerkennen ſeien. Für

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[46/0068] Einleitung. klagen ſich darüber, daß England nicht ſorgfältig und nicht entſchieden genug die Begünſtigung der Südſtaten verhindert und durch Lieferung von engliſchen Schiffen die räuberiſchen Kreuzer ausgerüſtet habe, welche die Meere unſicher machten; und manche Zeichen deuten darauf, daß auch die Amerikaniſche Praxis bei Kriegen europäiſcher Staten eine laxere Politik befolgen werde und ihren Schiffsbauern verſtatten werde, den Kriegsparteien Kriegsſchiffe zu liefern. Man ſieht, die theilweiſe widerſtrebenden Intereſſen des freien Han- dels der Neutralen auch mit der Nation der Kriegspartei und der uner- läßlichen Enthaltſamkeit von jeder Theilnahme am Krieg von Seite des neutralen Stats ſind noch mit einander im Kampf und ſuchen noch das gerechte Gleichgewicht. Das Recht der nationalen Entwicklung und der Selbſtbeſtimmung der Völker. In unſerer Zeit hört man oft die laute Klage, der Beſtand der Staten ſelber ſei nicht mehr wie früher durch das Völkerrecht geſichert, die Revolution von Innen, die Uebermacht von Außen bedrohen alle legitimen Gewalten, und ſo oft ihnen der Umſturz eines rechtlich begründeten Zu- ſtandes glücke, ſo werde die vollendete Thatſache, das heißt zumeiſt das ſiegreiche Unrecht von den Mächten als neues Recht gutgeheißen und an- erkannt. Man beſchuldigt das heutige Völkerrecht, es habe alles Ver- ſtändniß verloren für die Rechtsſicherheit der Staten und ihrer Regierun- gen und huldige jederzeit gefügig dem brutalen Erfolg. Man ſehe zu, ob denen, welche ſo reden, nicht ſelber alles Ver- ſtändniß fehlt in die Natur des Völkerrechts und des öffentlichen Rechts überhaupt. Die inneren Verfaſſungsänderungen eines Stats und die Wechſel der Fürſten und Dynaſtien ſind meiſtens Vorgänge in dem Leben eines ein- zelnen Volkes und States und eben deßhalb zunächſt ſtaatsrechtlich, nicht völkerrechtlich zu beurtheilen. Das Völkerrecht ordnet nicht die einzelnen Staten, ſondern nur die Beziehungen der Staten zu einander. Erſt in zweiter Linie tritt daher an das Völkerrecht die Frage heran, ob ein Stat, der eine ſolche Umwandlung erfahren hat und ſeine thatſäch- lich die Statsgewalt ausübende Regierung auch in der Statengemeinſchaft und im Statenverkehr als ſouveräne Perſonen anzuerkennen ſeien. Für

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/68>, abgerufen am 24.11.2024.