in feindlichem State fortschreitet, die Zügel der Statsgewalt und nimmt mit Recht die öffentliche Autorität einstweilen für sich in Anspruch. Sie verfügt daher über die öffentlichen Gebäude, nimmt die Finanzgefälle aller Art in ihre Hand, und erstreckt ihre Hand über die öffentlichen Cassen; denn es dient das, den feindlichen Stat zu überwinden und zum Frieden zu zwingen.
Indessen sogar innerhalb des öffentlichen Vermögens beginnt die civi- lisirte Welt feiner zu empfinden und wichtige Unterscheidungen zu machen. Nicht alles öffentliche Gut dient in gleicher Weise dem State und daher auch schließlich seiner Kriegsmacht. Viele öffentliche Anstalten dienen mit ihrem Vermögen andern, eher socialen Zwecken. Die Kirchen sind den religiösen Bedürfnissen der Bewohner geweiht. Die Spitäler sind für Kranke bestimmt. Die Schulen, die Bibliotheken, die Laboratorien, die Sammlungen sind für die Zwecke der Bildung und der Wissenschaft ge- gründet. Eben deshalb sind sie, wie die Amerikanischen Kriegsvorschriften es ausdrücken (§ 34), nicht im Sinne des Kriegsrechts als öffentliches Ver- mögen zu betrachten und sollen ihren Zwecken nicht entfremdet werden. Der Raub von Kunstschätzen und Denkmälern, noch in den Revolutions- kriegen zu Anfang dieses Jahrhunderts oft geübt, erscheint dem öffentlichen Gewissen bereits als anstößig und widerrechtlich, weil diese Dinge keinen nahen Bezug auf den Stat und den Krieg haben, sondern der friedlichen Cultur der bleibenden Nation dienen.
Wenn das heutige Völkerrecht sogar einen Theil der öffentlichen Güter vor den Griffen des Siegers bewahrt, so versteht sich der Schutz des Privateigenthums nun von selbst. Ein Recht des Siegers, das Grundeigenthum den Privaten wegzunehmen und sich anzueignen, wird nicht mehr anerkannt. Die Eroberung ist ein Act der Statsgewalt, und läßt das Privateigenthum unversehrt. Der Pariser Cassationshof hat daher mit gutem Grunde entschieden, daß selbst die fürstlichen Privat- güter kein Gegenstand der Eroberung seien und daß nur die Güter, welche dem Fürsten als Statshaupt zugehören, von dem siegenden Feinde weg- genommen werden dürfen. Das Privateigenthum ist also nur insofern der Kriegsgewalt unterworfen, als es auch der Statsgewalt unterworfen bleibt. Die Grundeigenthümer müssen sich gefallen lassen, daß das Heer, soweit die Kriegsoperationen es nöthig machen, vorübergehend ihre Häuser und Güter besetze; aber sobald das kriegerische Nothrecht mit der Noth selbst erlischt, tritt auch die Regel des freien Eigenthums von selber wieder in Kraft.
Einleitung.
in feindlichem State fortſchreitet, die Zügel der Statsgewalt und nimmt mit Recht die öffentliche Autorität einſtweilen für ſich in Anſpruch. Sie verfügt daher über die öffentlichen Gebäude, nimmt die Finanzgefälle aller Art in ihre Hand, und erſtreckt ihre Hand über die öffentlichen Caſſen; denn es dient das, den feindlichen Stat zu überwinden und zum Frieden zu zwingen.
Indeſſen ſogar innerhalb des öffentlichen Vermögens beginnt die civi- liſirte Welt feiner zu empfinden und wichtige Unterſcheidungen zu machen. Nicht alles öffentliche Gut dient in gleicher Weiſe dem State und daher auch ſchließlich ſeiner Kriegsmacht. Viele öffentliche Anſtalten dienen mit ihrem Vermögen andern, eher ſocialen Zwecken. Die Kirchen ſind den religiöſen Bedürfniſſen der Bewohner geweiht. Die Spitäler ſind für Kranke beſtimmt. Die Schulen, die Bibliotheken, die Laboratorien, die Sammlungen ſind für die Zwecke der Bildung und der Wiſſenſchaft ge- gründet. Eben deshalb ſind ſie, wie die Amerikaniſchen Kriegsvorſchriften es ausdrücken (§ 34), nicht im Sinne des Kriegsrechts als öffentliches Ver- mögen zu betrachten und ſollen ihren Zwecken nicht entfremdet werden. Der Raub von Kunſtſchätzen und Denkmälern, noch in den Revolutions- kriegen zu Anfang dieſes Jahrhunderts oft geübt, erſcheint dem öffentlichen Gewiſſen bereits als anſtößig und widerrechtlich, weil dieſe Dinge keinen nahen Bezug auf den Stat und den Krieg haben, ſondern der friedlichen Cultur der bleibenden Nation dienen.
Wenn das heutige Völkerrecht ſogar einen Theil der öffentlichen Güter vor den Griffen des Siegers bewahrt, ſo verſteht ſich der Schutz des Privateigenthums nun von ſelbſt. Ein Recht des Siegers, das Grundeigenthum den Privaten wegzunehmen und ſich anzueignen, wird nicht mehr anerkannt. Die Eroberung iſt ein Act der Statsgewalt, und läßt das Privateigenthum unverſehrt. Der Pariſer Caſſationshof hat daher mit gutem Grunde entſchieden, daß ſelbſt die fürſtlichen Privat- güter kein Gegenſtand der Eroberung ſeien und daß nur die Güter, welche dem Fürſten als Statshaupt zugehören, von dem ſiegenden Feinde weg- genommen werden dürfen. Das Privateigenthum iſt alſo nur inſofern der Kriegsgewalt unterworfen, als es auch der Statsgewalt unterworfen bleibt. Die Grundeigenthümer müſſen ſich gefallen laſſen, daß das Heer, ſoweit die Kriegsoperationen es nöthig machen, vorübergehend ihre Häuſer und Güter beſetze; aber ſobald das kriegeriſche Nothrecht mit der Noth ſelbſt erliſcht, tritt auch die Regel des freien Eigenthums von ſelber wieder in Kraft.
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Einleitung.
in feindlichem State fortſchreitet, die Zügel der Statsgewalt und nimmt
mit Recht die öffentliche Autorität einſtweilen für ſich in Anſpruch. Sie
verfügt daher über die öffentlichen Gebäude, nimmt die Finanzgefälle aller
Art in ihre Hand, und erſtreckt ihre Hand über die öffentlichen Caſſen;
denn es dient das, den feindlichen Stat zu überwinden und zum Frieden
zu zwingen.
Indeſſen ſogar innerhalb des öffentlichen Vermögens beginnt die civi-
liſirte Welt feiner zu empfinden und wichtige Unterſcheidungen zu machen.
Nicht alles öffentliche Gut dient in gleicher Weiſe dem State und daher
auch ſchließlich ſeiner Kriegsmacht. Viele öffentliche Anſtalten dienen mit
ihrem Vermögen andern, eher ſocialen Zwecken. Die Kirchen ſind den
religiöſen Bedürfniſſen der Bewohner geweiht. Die Spitäler ſind für
Kranke beſtimmt. Die Schulen, die Bibliotheken, die Laboratorien, die
Sammlungen ſind für die Zwecke der Bildung und der Wiſſenſchaft ge-
gründet. Eben deshalb ſind ſie, wie die Amerikaniſchen Kriegsvorſchriften
es ausdrücken (§ 34), nicht im Sinne des Kriegsrechts als öffentliches Ver-
mögen zu betrachten und ſollen ihren Zwecken nicht entfremdet werden.
Der Raub von Kunſtſchätzen und Denkmälern, noch in den Revolutions-
kriegen zu Anfang dieſes Jahrhunderts oft geübt, erſcheint dem öffentlichen
Gewiſſen bereits als anſtößig und widerrechtlich, weil dieſe Dinge keinen
nahen Bezug auf den Stat und den Krieg haben, ſondern der friedlichen
Cultur der bleibenden Nation dienen.
Wenn das heutige Völkerrecht ſogar einen Theil der öffentlichen
Güter vor den Griffen des Siegers bewahrt, ſo verſteht ſich der Schutz
des Privateigenthums nun von ſelbſt. Ein Recht des Siegers, das
Grundeigenthum den Privaten wegzunehmen und ſich anzueignen,
wird nicht mehr anerkannt. Die Eroberung iſt ein Act der Statsgewalt,
und läßt das Privateigenthum unverſehrt. Der Pariſer Caſſationshof hat
daher mit gutem Grunde entſchieden, daß ſelbſt die fürſtlichen Privat-
güter kein Gegenſtand der Eroberung ſeien und daß nur die Güter, welche
dem Fürſten als Statshaupt zugehören, von dem ſiegenden Feinde weg-
genommen werden dürfen. Das Privateigenthum iſt alſo nur inſofern der
Kriegsgewalt unterworfen, als es auch der Statsgewalt unterworfen bleibt.
Die Grundeigenthümer müſſen ſich gefallen laſſen, daß das Heer, ſoweit
die Kriegsoperationen es nöthig machen, vorübergehend ihre Häuſer und
Güter beſetze; aber ſobald das kriegeriſche Nothrecht mit der Noth ſelbſt
erliſcht, tritt auch die Regel des freien Eigenthums von ſelber wieder in Kraft.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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