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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
860.

Vor der gerichtlichen Verurtheilung der Prise kann dem Nehmer die
Prise durch Reprise wieder abgenommen werden. In diesem Falle ist
jedoch das neutrale Eigenthum von dem Wiedernehmer zu respectiren.

1. Bis das Prisengericht über die Prise erkannt und dieselbe verurtheilt hat,
ist das Schicksal derselben immer noch ungewiß, und noch kein formelles Recht des
Nehmestats oder des Nehmers an dem genommenen Schiffe oder der Waare vor-
handen. Bis dahin kann die Wirksamkeit der Prise, die zunächst auf die Gewalt
der Kriegsmacht gegründet ist, wieder ebenfalls durch Gewalt unwirksam gemacht
werden. Es ist das eine besondere Anwendung des postliminium, eine in
integrum restitutio.
Die Beute wird dem Erbeuter wieder abgejagt.

2. Weil die Reprise zunächst nur negativ wirkt, als Verneinung der
Prise, und nicht selber eine neue Prise ist noch sein will, so muß der Wieder-
nehmer
(recaptor) auch das Eigenthum seinerseits respectiren, das er aus der
feindlichen Wegnahme gerettet hat, und er kann nur, je nach Umständen, für die
Arbeiten und Opfer, welche er auf die Reprise verwendet hat, eine angemessene Ent-
schädigung
(servaticium) verlangen, die zuweilen zur Vermeidung von Streit
und Beweis auf einen Achttheil (amerikanisches Gesetz von 1800. Cap. 14.
und englisches 17 Victor. c. 18) oder gar auf einen Drittheil des Werths
der Reprise angesetzt ist. Schon der Consolato del Marse c. 287 hat diese
Regel anerkannt.

3. Manche Rechtsgelehrte und Landesordnungen beschränken die Reprise noch
mehr, z. B.: bis das genommene Schiff in einen sichern Hafen gebracht worden ist,
oder: in den ersten 24 Stunden nach der Wegnahme. Wo besondere Gesetze das so
bestimmen, müssen dieselben wohl geachtet werden. Die Natur der Dinge und die
gerechten Bedenken gegen jede Ausdehnung des Prisenrechts rechtfertigen meines Er-
achtens die Regel des Texts.

861.

Sobald der Friede geschlossen ist, so hört auch alles Recht, Prisen
zu machen, auf. Die nach dem Friedensschluß -- wenn auch in gutem
Glauben -- vollzogenen Nehmungen sind sofort wieder zurückzugeben.

Vgl. oben § 709.

862.

Die Prisengerichte sind, wenn nicht der Friedensschluß anders be-

Neuntes Buch.
860.

Vor der gerichtlichen Verurtheilung der Priſe kann dem Nehmer die
Priſe durch Repriſe wieder abgenommen werden. In dieſem Falle iſt
jedoch das neutrale Eigenthum von dem Wiedernehmer zu reſpectiren.

1. Bis das Priſengericht über die Priſe erkannt und dieſelbe verurtheilt hat,
iſt das Schickſal derſelben immer noch ungewiß, und noch kein formelles Recht des
Nehmeſtats oder des Nehmers an dem genommenen Schiffe oder der Waare vor-
handen. Bis dahin kann die Wirkſamkeit der Priſe, die zunächſt auf die Gewalt
der Kriegsmacht gegründet iſt, wieder ebenfalls durch Gewalt unwirkſam gemacht
werden. Es iſt das eine beſondere Anwendung des postliminium, eine in
integrum restitutio.
Die Beute wird dem Erbeuter wieder abgejagt.

2. Weil die Repriſe zunächſt nur negativ wirkt, als Verneinung der
Priſe, und nicht ſelber eine neue Priſe iſt noch ſein will, ſo muß der Wieder-
nehmer
(recaptor) auch das Eigenthum ſeinerſeits reſpectiren, das er aus der
feindlichen Wegnahme gerettet hat, und er kann nur, je nach Umſtänden, für die
Arbeiten und Opfer, welche er auf die Repriſe verwendet hat, eine angemeſſene Ent-
ſchädigung
(servaticium) verlangen, die zuweilen zur Vermeidung von Streit
und Beweis auf einen Achttheil (amerikaniſches Geſetz von 1800. Cap. 14.
und engliſches 17 Victor. c. 18) oder gar auf einen Drittheil des Werths
der Repriſe angeſetzt iſt. Schon der Consolato del Marse c. 287 hat dieſe
Regel anerkannt.

3. Manche Rechtsgelehrte und Landesordnungen beſchränken die Repriſe noch
mehr, z. B.: bis das genommene Schiff in einen ſichern Hafen gebracht worden iſt,
oder: in den erſten 24 Stunden nach der Wegnahme. Wo beſondere Geſetze das ſo
beſtimmen, müſſen dieſelben wohl geachtet werden. Die Natur der Dinge und die
gerechten Bedenken gegen jede Ausdehnung des Priſenrechts rechtfertigen meines Er-
achtens die Regel des Texts.

861.

Sobald der Friede geſchloſſen iſt, ſo hört auch alles Recht, Priſen
zu machen, auf. Die nach dem Friedensſchluß — wenn auch in gutem
Glauben — vollzogenen Nehmungen ſind ſofort wieder zurückzugeben.

Vgl. oben § 709.

862.

Die Priſengerichte ſind, wenn nicht der Friedensſchluß anders be-

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[464/0486] Neuntes Buch. 860. Vor der gerichtlichen Verurtheilung der Priſe kann dem Nehmer die Priſe durch Repriſe wieder abgenommen werden. In dieſem Falle iſt jedoch das neutrale Eigenthum von dem Wiedernehmer zu reſpectiren. 1. Bis das Priſengericht über die Priſe erkannt und dieſelbe verurtheilt hat, iſt das Schickſal derſelben immer noch ungewiß, und noch kein formelles Recht des Nehmeſtats oder des Nehmers an dem genommenen Schiffe oder der Waare vor- handen. Bis dahin kann die Wirkſamkeit der Priſe, die zunächſt auf die Gewalt der Kriegsmacht gegründet iſt, wieder ebenfalls durch Gewalt unwirkſam gemacht werden. Es iſt das eine beſondere Anwendung des postliminium, eine in integrum restitutio. Die Beute wird dem Erbeuter wieder abgejagt. 2. Weil die Repriſe zunächſt nur negativ wirkt, als Verneinung der Priſe, und nicht ſelber eine neue Priſe iſt noch ſein will, ſo muß der Wieder- nehmer (recaptor) auch das Eigenthum ſeinerſeits reſpectiren, das er aus der feindlichen Wegnahme gerettet hat, und er kann nur, je nach Umſtänden, für die Arbeiten und Opfer, welche er auf die Repriſe verwendet hat, eine angemeſſene Ent- ſchädigung (servaticium) verlangen, die zuweilen zur Vermeidung von Streit und Beweis auf einen Achttheil (amerikaniſches Geſetz von 1800. Cap. 14. und engliſches 17 Victor. c. 18) oder gar auf einen Drittheil des Werths der Repriſe angeſetzt iſt. Schon der Consolato del Marse c. 287 hat dieſe Regel anerkannt. 3. Manche Rechtsgelehrte und Landesordnungen beſchränken die Repriſe noch mehr, z. B.: bis das genommene Schiff in einen ſichern Hafen gebracht worden iſt, oder: in den erſten 24 Stunden nach der Wegnahme. Wo beſondere Geſetze das ſo beſtimmen, müſſen dieſelben wohl geachtet werden. Die Natur der Dinge und die gerechten Bedenken gegen jede Ausdehnung des Priſenrechts rechtfertigen meines Er- achtens die Regel des Texts. 861. Sobald der Friede geſchloſſen iſt, ſo hört auch alles Recht, Priſen zu machen, auf. Die nach dem Friedensſchluß — wenn auch in gutem Glauben — vollzogenen Nehmungen ſind ſofort wieder zurückzugeben. Vgl. oben § 709. 862. Die Priſengerichte ſind, wenn nicht der Friedensſchluß anders be-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/486>, abgerufen am 21.11.2024.