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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
Waaren geübt wird. Dieselbe soll nach Rechtsgrundsätzen und durch Richter
geprüft
und je nach Umständen entweder bestätigt oder verbessert werden.
Die Rücksicht auf die Neutralen hat hauptsächlich zur Ausbildung der Prisengerichts-
barkeit geführt, aber auch den Eigenthümern der feindlichen Nation kommt die Ein-
richtung gelegentlich zu Gute.

842.

Als zuständig wird in der Regel das Prisengericht des Nehmestates
betrachtet, auch wenn das aufgebrachte Schiff ein neutrales ist, und sogar
dann, wenn das neutrale Schiff wegen Führung von Kriegscontrebande
oder Verletzung der Blocade auf offener See genommen worden ist.

Wenn das neutrale Schiff in den besetzten Eigengewässern genommen
wird, so ist die Zuständigkeit der besetzenden Statsgewalt und ihrer Gerichtsbarkeit
schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen erklärt. Eher erheben sich Zweifel, wenn
die Wegnahme auf offener See geschehen ist, denn diese ist nicht einer besondern
Gebietshoheit unterworfen (§ 304), also auch nicht des Kriegsstats. Man kann
überdem mit Grund das Bedenken erheben, daß die neutralen Schiffe in den Ge-
richten des Nehmestats
nicht genügende Garantien für eine unparteiische
Rechtspflege
zu finden vermögen, indem der Nehmestat selber Partei und bei
der Verurtheilung der aufgebrachten Schiffe interessirt ist. Es bleibt eine Aufgabe
der zukünftigen Verbesserung des Völkerrechts, diesen Mangel zu heben und bessere
Garantien der Unparteilichkeit zu gewähren. Friedrich der Große hatte im Jahr 1753
eine preußische Commission niedergesetzt, welche die Urtheile der englischen Prisen-
gerichte gegen Preußische, damals neutrale, Schiffe nochmals prüfen und darüber
erkennen sollte, wogegen freilich England als gegen eine unerhörte Neuerung Protest
erhob. Man versuchte es auch einige Male mit Bestellung gemischter Gerichte.
Gegenwärtig aber wird die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Nehmestats
allgemein anerkannt. Man betrachtet sie theils als eine Folge des Kriegs-
rechts
, welches die Kriegspartei zu gewaltsamem Eingreifen ermächtigt, theils als
eine Ermäßigung dieses Rechts, indem es in der Vollziehung einer gerichtlichen
Controle unterworfen wird.

843.

Die Besetzung und Ermächtigung des Prisengerichts ist ein Act der
Souveränetät des Kriegsstates, welcher die Prisengerichtsbarkeit übt.

1. Die Prisengerichte sind außerordentliche Gerichtshöfe, welche
in Kriegszeiten ad hoc errichtet werden. Obwohl ihre Aufgabe eine völkerrechtliche
ist, so ist ihre Begründung und Besetzung dennoch statsrechtlich normirt. Deß-
halb ist die Organisation der Prisengerichte in den verschiedenen Staten verschieden;

Neuntes Buch.
Waaren geübt wird. Dieſelbe ſoll nach Rechtsgrundſätzen und durch Richter
geprüft
und je nach Umſtänden entweder beſtätigt oder verbeſſert werden.
Die Rückſicht auf die Neutralen hat hauptſächlich zur Ausbildung der Priſengerichts-
barkeit geführt, aber auch den Eigenthümern der feindlichen Nation kommt die Ein-
richtung gelegentlich zu Gute.

842.

Als zuſtändig wird in der Regel das Priſengericht des Nehmeſtates
betrachtet, auch wenn das aufgebrachte Schiff ein neutrales iſt, und ſogar
dann, wenn das neutrale Schiff wegen Führung von Kriegscontrebande
oder Verletzung der Blocade auf offener See genommen worden iſt.

Wenn das neutrale Schiff in den beſetzten Eigengewäſſern genommen
wird, ſo iſt die Zuſtändigkeit der beſetzenden Statsgewalt und ihrer Gerichtsbarkeit
ſchon aus allgemeinen Rechtsgrundſätzen erklärt. Eher erheben ſich Zweifel, wenn
die Wegnahme auf offener See geſchehen iſt, denn dieſe iſt nicht einer beſondern
Gebietshoheit unterworfen (§ 304), alſo auch nicht des Kriegsſtats. Man kann
überdem mit Grund das Bedenken erheben, daß die neutralen Schiffe in den Ge-
richten des Nehmeſtats
nicht genügende Garantien für eine unparteiiſche
Rechtspflege
zu finden vermögen, indem der Nehmeſtat ſelber Partei und bei
der Verurtheilung der aufgebrachten Schiffe intereſſirt iſt. Es bleibt eine Aufgabe
der zukünftigen Verbeſſerung des Völkerrechts, dieſen Mangel zu heben und beſſere
Garantien der Unparteilichkeit zu gewähren. Friedrich der Große hatte im Jahr 1753
eine preußiſche Commiſſion niedergeſetzt, welche die Urtheile der engliſchen Priſen-
gerichte gegen Preußiſche, damals neutrale, Schiffe nochmals prüfen und darüber
erkennen ſollte, wogegen freilich England als gegen eine unerhörte Neuerung Proteſt
erhob. Man verſuchte es auch einige Male mit Beſtellung gemiſchter Gerichte.
Gegenwärtig aber wird die ausſchließliche Zuſtändigkeit der Gerichte des Nehmeſtats
allgemein anerkannt. Man betrachtet ſie theils als eine Folge des Kriegs-
rechts
, welches die Kriegspartei zu gewaltſamem Eingreifen ermächtigt, theils als
eine Ermäßigung dieſes Rechts, indem es in der Vollziehung einer gerichtlichen
Controle unterworfen wird.

843.

Die Beſetzung und Ermächtigung des Priſengerichts iſt ein Act der
Souveränetät des Kriegsſtates, welcher die Priſengerichtsbarkeit übt.

1. Die Priſengerichte ſind außerordentliche Gerichtshöfe, welche
in Kriegszeiten ad hoc errichtet werden. Obwohl ihre Aufgabe eine völkerrechtliche
iſt, ſo iſt ihre Begründung und Beſetzung dennoch ſtatsrechtlich normirt. Deß-
halb iſt die Organiſation der Priſengerichte in den verſchiedenen Staten verſchieden;

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[456/0478] Neuntes Buch. Waaren geübt wird. Dieſelbe ſoll nach Rechtsgrundſätzen und durch Richter geprüft und je nach Umſtänden entweder beſtätigt oder verbeſſert werden. Die Rückſicht auf die Neutralen hat hauptſächlich zur Ausbildung der Priſengerichts- barkeit geführt, aber auch den Eigenthümern der feindlichen Nation kommt die Ein- richtung gelegentlich zu Gute. 842. Als zuſtändig wird in der Regel das Priſengericht des Nehmeſtates betrachtet, auch wenn das aufgebrachte Schiff ein neutrales iſt, und ſogar dann, wenn das neutrale Schiff wegen Führung von Kriegscontrebande oder Verletzung der Blocade auf offener See genommen worden iſt. Wenn das neutrale Schiff in den beſetzten Eigengewäſſern genommen wird, ſo iſt die Zuſtändigkeit der beſetzenden Statsgewalt und ihrer Gerichtsbarkeit ſchon aus allgemeinen Rechtsgrundſätzen erklärt. Eher erheben ſich Zweifel, wenn die Wegnahme auf offener See geſchehen iſt, denn dieſe iſt nicht einer beſondern Gebietshoheit unterworfen (§ 304), alſo auch nicht des Kriegsſtats. Man kann überdem mit Grund das Bedenken erheben, daß die neutralen Schiffe in den Ge- richten des Nehmeſtats nicht genügende Garantien für eine unparteiiſche Rechtspflege zu finden vermögen, indem der Nehmeſtat ſelber Partei und bei der Verurtheilung der aufgebrachten Schiffe intereſſirt iſt. Es bleibt eine Aufgabe der zukünftigen Verbeſſerung des Völkerrechts, dieſen Mangel zu heben und beſſere Garantien der Unparteilichkeit zu gewähren. Friedrich der Große hatte im Jahr 1753 eine preußiſche Commiſſion niedergeſetzt, welche die Urtheile der engliſchen Priſen- gerichte gegen Preußiſche, damals neutrale, Schiffe nochmals prüfen und darüber erkennen ſollte, wogegen freilich England als gegen eine unerhörte Neuerung Proteſt erhob. Man verſuchte es auch einige Male mit Beſtellung gemiſchter Gerichte. Gegenwärtig aber wird die ausſchließliche Zuſtändigkeit der Gerichte des Nehmeſtats allgemein anerkannt. Man betrachtet ſie theils als eine Folge des Kriegs- rechts, welches die Kriegspartei zu gewaltſamem Eingreifen ermächtigt, theils als eine Ermäßigung dieſes Rechts, indem es in der Vollziehung einer gerichtlichen Controle unterworfen wird. 843. Die Beſetzung und Ermächtigung des Priſengerichts iſt ein Act der Souveränetät des Kriegsſtates, welcher die Priſengerichtsbarkeit übt. 1. Die Priſengerichte ſind außerordentliche Gerichtshöfe, welche in Kriegszeiten ad hoc errichtet werden. Obwohl ihre Aufgabe eine völkerrechtliche iſt, ſo iſt ihre Begründung und Beſetzung dennoch ſtatsrechtlich normirt. Deß- halb iſt die Organiſation der Priſengerichte in den verſchiedenen Staten verſchieden;

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/478>, abgerufen am 22.11.2024.