in seinem Gebiete gestattet, ohne eine derselben vorzugsweise zu begünstigen, so ist das zwar kein offenbarer Bruch der Neutralitätspflicht, aber die völlige Untersagung jeder fremden Werbung entspricht besser und unzwei- deutiger der neutralen Haltung.
Neutralität bedeutet nicht gleichmäßige Begünstigung der beiden Kriegsparteien, sondern Enthaltung von jeder Kriegstheilnahme. Die Unparteilichkeit, welche sich in jener äußert, hat einen zweideutigen und verdäch- tigen Charakter, einmal weil es unnatürlich ist, daß der Stat seine jungen Männer in zwei feindliche Lager verlocken und dann wider einander kämpfen läßt, und so- dann weil sie nicht Enthaltung von jeder Parteinahme, sondern eher gleichzeitige Theilnahme auf beiden Seiten ist. Die frühere Praxis der schweizerischen Eidgenossenschaft, mit verschiedenen Mächten Militärcapitulationen abzuschlie- ßen und zuweilen den entgegengesetzten Kriegsparteien Schweizertruppen zu liefern, (zu § 759), hat zwar damals ihre Neutralität nicht aufgehoben, war aber ein sehr bedenklicher Vorgang, VattelIII. § 110. Dagegen PhillimoreIII. § 150. "Ein Volk, welches beiden Kriegsparteien in Mannschaft oder Geld Hülfe leistet, mag unparteiisch sein, aber es ist nicht neutral".
763.
Der neutrale Stat darf nicht bloß selber keine Kriegsschiffe einer Kriegspartei liefern; er ist auch verpflichtet, in guter Treue darüber zu wachen und es zu verhindern, daß nicht auf seinem Gebiete durch Privat- personen Kriegsschiffe für eine Kriegspartei ausgerüstet und derselben über- liefert werden.
1. Im Friedenszustand ist der Verkauf von Kriegsschiffen von Stat zu Stat unbedenklich, und ebenso die Lieferung solcher von Seite der Privatindustrie. Dann sind das friedliche Rechtsgeschäfte. Aber während des Kriegs liegt in der Ausrüstung und Zuwendung von Kriegsschiffen eine offenbare Unter- stützung und Verstärkung der Kriegsgewalt. Insofern diese Absicht aus den Umständen sichtbar wird, ist das kriegerische Beihülfe, die mit der neu- tralen Haltung nicht verträglich ist.
2. Schon das Neutralitätsgesetz der Vereinigten Staten von Nord- amerika von 1794 (revidirt 1819) enthält in Art. 3 eine Strafbestimmung gegen alle Personen, welche "Schiffe ausrüsten und bewaffnen, oder dafür sorgen, daß Schiffe ausgerüstet und bewaffnet werden in der Absicht für einen fremden Stat zu feindlichen Handlungen gegen einen andern Stat verwendet zu werden, der im Frie- den ist mit den Vereinigten Staten". Dieses Gesetz wurde unter der Präsidentschaft des Generals Washington erlassen, nachdem für Frankreich im Kriege mit Eng- land in den amerikanischen Häfen Kreuzerschiffe ausgerüstet worden waren und die
Neuntes Buch.
in ſeinem Gebiete geſtattet, ohne eine derſelben vorzugsweiſe zu begünſtigen, ſo iſt das zwar kein offenbarer Bruch der Neutralitätspflicht, aber die völlige Unterſagung jeder fremden Werbung entſpricht beſſer und unzwei- deutiger der neutralen Haltung.
Neutralität bedeutet nicht gleichmäßige Begünſtigung der beiden Kriegsparteien, ſondern Enthaltung von jeder Kriegstheilnahme. Die Unparteilichkeit, welche ſich in jener äußert, hat einen zweideutigen und verdäch- tigen Charakter, einmal weil es unnatürlich iſt, daß der Stat ſeine jungen Männer in zwei feindliche Lager verlocken und dann wider einander kämpfen läßt, und ſo- dann weil ſie nicht Enthaltung von jeder Parteinahme, ſondern eher gleichzeitige Theilnahme auf beiden Seiten iſt. Die frühere Praxis der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, mit verſchiedenen Mächten Militärcapitulationen abzuſchlie- ßen und zuweilen den entgegengeſetzten Kriegsparteien Schweizertruppen zu liefern, (zu § 759), hat zwar damals ihre Neutralität nicht aufgehoben, war aber ein ſehr bedenklicher Vorgang, VattelIII. § 110. Dagegen PhillimoreIII. § 150. „Ein Volk, welches beiden Kriegsparteien in Mannſchaft oder Geld Hülfe leiſtet, mag unparteiiſch ſein, aber es iſt nicht neutral“.
763.
Der neutrale Stat darf nicht bloß ſelber keine Kriegsſchiffe einer Kriegspartei liefern; er iſt auch verpflichtet, in guter Treue darüber zu wachen und es zu verhindern, daß nicht auf ſeinem Gebiete durch Privat- perſonen Kriegsſchiffe für eine Kriegspartei ausgerüſtet und derſelben über- liefert werden.
1. Im Friedenszuſtand iſt der Verkauf von Kriegsſchiffen von Stat zu Stat unbedenklich, und ebenſo die Lieferung ſolcher von Seite der Privatinduſtrie. Dann ſind das friedliche Rechtsgeſchäfte. Aber während des Kriegs liegt in der Ausrüſtung und Zuwendung von Kriegsſchiffen eine offenbare Unter- ſtützung und Verſtärkung der Kriegsgewalt. Inſofern dieſe Abſicht aus den Umſtänden ſichtbar wird, iſt das kriegeriſche Beihülfe, die mit der neu- tralen Haltung nicht verträglich iſt.
2. Schon das Neutralitätsgeſetz der Vereinigten Staten von Nord- amerika von 1794 (revidirt 1819) enthält in Art. 3 eine Strafbeſtimmung gegen alle Perſonen, welche „Schiffe ausrüſten und bewaffnen, oder dafür ſorgen, daß Schiffe ausgerüſtet und bewaffnet werden in der Abſicht für einen fremden Stat zu feindlichen Handlungen gegen einen andern Stat verwendet zu werden, der im Frie- den iſt mit den Vereinigten Staten“. Dieſes Geſetz wurde unter der Präſidentſchaft des Generals Washington erlaſſen, nachdem für Frankreich im Kriege mit Eng- land in den amerikaniſchen Häfen Kreuzerſchiffe ausgerüſtet worden waren und die
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Neuntes Buch.
in ſeinem Gebiete geſtattet, ohne eine derſelben vorzugsweiſe zu begünſtigen,
ſo iſt das zwar kein offenbarer Bruch der Neutralitätspflicht, aber die
völlige Unterſagung jeder fremden Werbung entſpricht beſſer und unzwei-
deutiger der neutralen Haltung.
Neutralität bedeutet nicht gleichmäßige Begünſtigung der beiden
Kriegsparteien, ſondern Enthaltung von jeder Kriegstheilnahme.
Die Unparteilichkeit, welche ſich in jener äußert, hat einen zweideutigen und verdäch-
tigen Charakter, einmal weil es unnatürlich iſt, daß der Stat ſeine jungen Männer
in zwei feindliche Lager verlocken und dann wider einander kämpfen läßt, und ſo-
dann weil ſie nicht Enthaltung von jeder Parteinahme, ſondern eher gleichzeitige
Theilnahme auf beiden Seiten iſt. Die frühere Praxis der ſchweizeriſchen
Eidgenoſſenſchaft, mit verſchiedenen Mächten Militärcapitulationen abzuſchlie-
ßen und zuweilen den entgegengeſetzten Kriegsparteien Schweizertruppen zu liefern,
(zu § 759), hat zwar damals ihre Neutralität nicht aufgehoben, war aber ein ſehr
bedenklicher Vorgang, Vattel III. § 110. Dagegen Phillimore III. § 150.
„Ein Volk, welches beiden Kriegsparteien in Mannſchaft oder Geld Hülfe leiſtet, mag
unparteiiſch ſein, aber es iſt nicht neutral“.
763.
Der neutrale Stat darf nicht bloß ſelber keine Kriegsſchiffe einer
Kriegspartei liefern; er iſt auch verpflichtet, in guter Treue darüber zu
wachen und es zu verhindern, daß nicht auf ſeinem Gebiete durch Privat-
perſonen Kriegsſchiffe für eine Kriegspartei ausgerüſtet und derſelben über-
liefert werden.
1. Im Friedenszuſtand iſt der Verkauf von Kriegsſchiffen von Stat zu
Stat unbedenklich, und ebenſo die Lieferung ſolcher von Seite der Privatinduſtrie.
Dann ſind das friedliche Rechtsgeſchäfte. Aber während des Kriegs
liegt in der Ausrüſtung und Zuwendung von Kriegsſchiffen eine offenbare Unter-
ſtützung und Verſtärkung der Kriegsgewalt. Inſofern dieſe Abſicht aus
den Umſtänden ſichtbar wird, iſt das kriegeriſche Beihülfe, die mit der neu-
tralen Haltung nicht verträglich iſt.
2. Schon das Neutralitätsgeſetz der Vereinigten Staten von Nord-
amerika von 1794 (revidirt 1819) enthält in Art. 3 eine Strafbeſtimmung gegen
alle Perſonen, welche „Schiffe ausrüſten und bewaffnen, oder dafür ſorgen, daß
Schiffe ausgerüſtet und bewaffnet werden in der Abſicht für einen fremden Stat zu
feindlichen Handlungen gegen einen andern Stat verwendet zu werden, der im Frie-
den iſt mit den Vereinigten Staten“. Dieſes Geſetz wurde unter der Präſidentſchaft
des Generals Washington erlaſſen, nachdem für Frankreich im Kriege mit Eng-
land in den amerikaniſchen Häfen Kreuzerſchiffe ausgerüſtet worden waren und die
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/434>, abgerufen am 25.11.2024.
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