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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
wirken in der Regel fort, und zwar sowohl die Acte der Verwaltung im engern
Sinne
-- die Finanzverwaltung, die Volkswirthschaftspflege und
die Culturpflege inbegriffen -- als die Acte der Rechtspflege -- Urtheile
im Civil- und im Strafproceß --. Da die Zwischenregierung durch das
Kriegsrecht dazu ermächtigt war, die Verwaltung zu ordnen und zu leiten, da ferner
die Fortführung der Detailgeschäfte nothwendig ist im allgemeinen öffentlichen Inter-
esse und da endlich hier keine politische Bedenken im Wege stehen, so ist die
Anerkennung des Geschehenen eine natürliche Folge der Fortdauer des
Rechts und der nicht unterbrochenen statlichen Functionen. Die Cassation aller in
der Zwischenzeit erlassenen Urtheile der vielleicht in ihrem Personal veränderten
Gerichtsbehörden oder aller Verfügungen der neu besetzten Policei- oder Finanzämter
wäre eine Verkennung des natürlichen Zusammenhangs und der Bedürfnisse des
Lebens und müßte eine Reihe von Verwirrungen und vielfältigen Schaden stiften.

732.

Die restaurirte Regierung ist nicht verpflichtet, die Veräußerung von
Statsdomänen oder Renten, welche die feindliche Zwischenregierung vor-
genommen hat, oder Statsschulden, welche dieselbe für das besetzte Land
contrahirt hat, als rechtsverbindlich anzuerkennen, sondern berechtigt, jene
Statsgüter wieder an sich zu ziehen und die Bezahlung dieser Schulden
zu verweigern.

Durch die Besitznahme im Kriege geht nicht die Statshoheit selber auf den
Sieger über, sondern nur die Ausübung derselben wird, soweit es die militärischen
Rücksichten erfordern, von ihm in die Hand genommen. Die bloß provisorische
Zwischenregierung
ist daher auch nicht zu dauernder Vertretung des
Landes berechtigt. Demgemäß wird sie nicht befugt sein, die Domänen zu ver-
äußern, noch Landesschulden einzugehn. Die wiederhergestellte Regierung wird jene
Güter daher wieder vindiciren und die Anerkennung und Bezahlung dieser Schulden,
soweit dieselben nicht für das Land und seine Wohlfahrt verwendet worden sind,
verweigern können. Obwohl diese Acte der Zwischenregierung zur Finanzwirth-
schaft
gehören, so haben sie doch meistens einen eminent politischen Charakter
und soweit dieß der Fall ist, braucht sich die mit Gewalt aus dem Besitze verdrängte
und dann wieder hergestellte Regierung jene Acte nicht gefallen zu lassen.

733.

Wird aber die Eroberung durch die Anerkennung im Frieden voll-
zogen, so wird dadurch die Veräußerung der Domänen und die Ueber-
nahme von Landesschulden bekräftigt, und wenn später durch neuen Krieg
die frühere Regierung restaurirt wird, so ist sie nicht mehr berechtigt, die

Das Kriegsrecht.
wirken in der Regel fort, und zwar ſowohl die Acte der Verwaltung im engern
Sinne
— die Finanzverwaltung, die Volkswirthſchaftspflege und
die Culturpflege inbegriffen — als die Acte der Rechtspflege — Urtheile
im Civil- und im Strafproceß —. Da die Zwiſchenregierung durch das
Kriegsrecht dazu ermächtigt war, die Verwaltung zu ordnen und zu leiten, da ferner
die Fortführung der Detailgeſchäfte nothwendig iſt im allgemeinen öffentlichen Inter-
eſſe und da endlich hier keine politiſche Bedenken im Wege ſtehen, ſo iſt die
Anerkennung des Geſchehenen eine natürliche Folge der Fortdauer des
Rechts und der nicht unterbrochenen ſtatlichen Functionen. Die Caſſation aller in
der Zwiſchenzeit erlaſſenen Urtheile der vielleicht in ihrem Perſonal veränderten
Gerichtsbehörden oder aller Verfügungen der neu beſetzten Policei- oder Finanzämter
wäre eine Verkennung des natürlichen Zuſammenhangs und der Bedürfniſſe des
Lebens und müßte eine Reihe von Verwirrungen und vielfältigen Schaden ſtiften.

732.

Die reſtaurirte Regierung iſt nicht verpflichtet, die Veräußerung von
Statsdomänen oder Renten, welche die feindliche Zwiſchenregierung vor-
genommen hat, oder Statsſchulden, welche dieſelbe für das beſetzte Land
contrahirt hat, als rechtsverbindlich anzuerkennen, ſondern berechtigt, jene
Statsgüter wieder an ſich zu ziehen und die Bezahlung dieſer Schulden
zu verweigern.

Durch die Beſitznahme im Kriege geht nicht die Statshoheit ſelber auf den
Sieger über, ſondern nur die Ausübung derſelben wird, ſoweit es die militäriſchen
Rückſichten erfordern, von ihm in die Hand genommen. Die bloß proviſoriſche
Zwiſchenregierung
iſt daher auch nicht zu dauernder Vertretung des
Landes berechtigt. Demgemäß wird ſie nicht befugt ſein, die Domänen zu ver-
äußern, noch Landesſchulden einzugehn. Die wiederhergeſtellte Regierung wird jene
Güter daher wieder vindiciren und die Anerkennung und Bezahlung dieſer Schulden,
ſoweit dieſelben nicht für das Land und ſeine Wohlfahrt verwendet worden ſind,
verweigern können. Obwohl dieſe Acte der Zwiſchenregierung zur Finanzwirth-
ſchaft
gehören, ſo haben ſie doch meiſtens einen eminent politiſchen Charakter
und ſoweit dieß der Fall iſt, braucht ſich die mit Gewalt aus dem Beſitze verdrängte
und dann wieder hergeſtellte Regierung jene Acte nicht gefallen zu laſſen.

733.

Wird aber die Eroberung durch die Anerkennung im Frieden voll-
zogen, ſo wird dadurch die Veräußerung der Domänen und die Ueber-
nahme von Landesſchulden bekräftigt, und wenn ſpäter durch neuen Krieg
die frühere Regierung reſtaurirt wird, ſo iſt ſie nicht mehr berechtigt, die

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[397/0419] Das Kriegsrecht. wirken in der Regel fort, und zwar ſowohl die Acte der Verwaltung im engern Sinne — die Finanzverwaltung, die Volkswirthſchaftspflege und die Culturpflege inbegriffen — als die Acte der Rechtspflege — Urtheile im Civil- und im Strafproceß —. Da die Zwiſchenregierung durch das Kriegsrecht dazu ermächtigt war, die Verwaltung zu ordnen und zu leiten, da ferner die Fortführung der Detailgeſchäfte nothwendig iſt im allgemeinen öffentlichen Inter- eſſe und da endlich hier keine politiſche Bedenken im Wege ſtehen, ſo iſt die Anerkennung des Geſchehenen eine natürliche Folge der Fortdauer des Rechts und der nicht unterbrochenen ſtatlichen Functionen. Die Caſſation aller in der Zwiſchenzeit erlaſſenen Urtheile der vielleicht in ihrem Perſonal veränderten Gerichtsbehörden oder aller Verfügungen der neu beſetzten Policei- oder Finanzämter wäre eine Verkennung des natürlichen Zuſammenhangs und der Bedürfniſſe des Lebens und müßte eine Reihe von Verwirrungen und vielfältigen Schaden ſtiften. 732. Die reſtaurirte Regierung iſt nicht verpflichtet, die Veräußerung von Statsdomänen oder Renten, welche die feindliche Zwiſchenregierung vor- genommen hat, oder Statsſchulden, welche dieſelbe für das beſetzte Land contrahirt hat, als rechtsverbindlich anzuerkennen, ſondern berechtigt, jene Statsgüter wieder an ſich zu ziehen und die Bezahlung dieſer Schulden zu verweigern. Durch die Beſitznahme im Kriege geht nicht die Statshoheit ſelber auf den Sieger über, ſondern nur die Ausübung derſelben wird, ſoweit es die militäriſchen Rückſichten erfordern, von ihm in die Hand genommen. Die bloß proviſoriſche Zwiſchenregierung iſt daher auch nicht zu dauernder Vertretung des Landes berechtigt. Demgemäß wird ſie nicht befugt ſein, die Domänen zu ver- äußern, noch Landesſchulden einzugehn. Die wiederhergeſtellte Regierung wird jene Güter daher wieder vindiciren und die Anerkennung und Bezahlung dieſer Schulden, ſoweit dieſelben nicht für das Land und ſeine Wohlfahrt verwendet worden ſind, verweigern können. Obwohl dieſe Acte der Zwiſchenregierung zur Finanzwirth- ſchaft gehören, ſo haben ſie doch meiſtens einen eminent politiſchen Charakter und ſoweit dieß der Fall iſt, braucht ſich die mit Gewalt aus dem Beſitze verdrängte und dann wieder hergeſtellte Regierung jene Acte nicht gefallen zu laſſen. 733. Wird aber die Eroberung durch die Anerkennung im Frieden voll- zogen, ſo wird dadurch die Veräußerung der Domänen und die Ueber- nahme von Landesſchulden bekräftigt, und wenn ſpäter durch neuen Krieg die frühere Regierung reſtaurirt wird, ſo iſt ſie nicht mehr berechtigt, die

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/419>, abgerufen am 22.11.2024.