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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.
werden, dem Feinde möglichst viel Uebel zuzufügen und daß die patriotische Pflicht
gebiete, mit dem Feinde seines Landes keine Gemeinschaft zu pflegen. Indessen hat
Bynkershoek selber zugleich darauf aufmerksam gemacht, daß die Handelsinteressen
dem widerstreben und daß deßhalb der Handel mit gewissen Waaren gewöhnlich er-
laubt und nur bezüglich anderer Waaren verboten werde. Da der Verkehr meistens
zweiseitig ist, so schädigt überdem der Abbruch alles internationalen Verkehrs
nothwendig beide Nationen, und schon diese Erwägung der Folgen des Verbots läßt die
Erlassung desselben meistens als unzweckmäßig erscheinen. Wäre jene Begründung
an sich richtig, daß man den Feind möglichst schädigen soll, was sie offenbar nicht
ist, so würde sie doch in unserm Falle nicht zutreffen, weil der sich selber ins Fleisch
schneidet, der den Feind mit dieser Waffe verwunden will. Der ganze Grundgedanke
aber ist falsch. Die Hemmung des Verkehrs versteht sich nur insofern von selbst,
als sie eine Bedingung oder Folge der Kriegsführung, nicht der Kriegs-
erklärung ist. Nur die militärischen Motive oder ausnahmsweise besondere
politische Motive können sie rechtfertigen. Die erstern werden in der Ausnahme
vollkommen gewürdigt, die letztern bedürfen einer statlichen Anordnung. Da
die Privatpersonen einander nicht bekriegen, sondern als Privaten
mit einander im Frieden leben, so ist nicht einzusehn, weßhalb sie nicht während
des Kriegs mit einander den friedlichen Verkehr fortsetzen können, der für beide
Nationen nützlich ist und die Kriegsführung nicht gefährdet. Wenn der Bauer ge-
wohnt war, über die Grenze zur nächsten Mühle zu fahren, oder Weinberge und
Aecker jenseits der Grenze besitzt, weßhalb sollte er nicht auch dann sein Korn in
jene Mühle fahren, oder hier Weinlese und Ernte halten dürfen, solange ihm das
nicht untersagt wird. Auch diese Interessen der Wirthschaft spielen hin und her in
den Grenzgegenden. Die Interessen der Fabrication und des Handels wirken weiter
und tiefer ins Land hinein, werden aber wieder durch einen Abbruch des Verkehrs
gewöhnlich nach zwei Seiten hin geschädigt. Die natürliche Rechtsregel ist also
nicht das Verbot, sondern die Fortdauer des friedlichen Verkehrs.

2. Offenbar steht die Ausbreitung der entgegengesetzten Regel bei den englisch-
amerikanischen Schriftstellern noch mit dem Princip in Verbindung, daß die Kauf-
fahrteischiffe
sammt ihrer (feindlichen) Ladung der Seebeute ausgesetzt sind.
Wird diese Seebeute endlich aufgegeben, dann wird die Unhaltbarkeit eines allge-
meinen Handelsverbots auch zur See Jedermann einleuchten. Man wird dann auch
zugeben, daß die Gestattung des Seehandels, außer nach den blokirten feindlichen
Häfen in dem Russischen Kriege von 1854 (Wheaton Int. L. § 315 Anm.) nicht
ein jus singulare ist, sondern den Aufgang eines humaneren Rechtssatzes
bedeutet. Vgl. Heffter § 132. 133.

3. Aber die Regel des Verkehrs erfordert eine Beschränkung. So weit die
Truppen wider einander im Felde stehn, muß der Verkehr zwischen den besetzten
Gebieten
aufhören, denn seine Fortsetzung wird leicht zur Gefahr oder zum
Hemmniß für die Truppen. Weder Reisende noch Briefe, noch Waaren dürfen daher
ohne Erlaubniß der Commandanten aus einem Gebiet in das andere hinüber.
Diese hemmende Folge der Kriegsführung gilt als selbstverständlich, weßhalb
es gefährlich ist, ohne militärischen Sicherheitspaß den Uebergang zu wagen. Ins-

Achtes Buch.
werden, dem Feinde möglichſt viel Uebel zuzufügen und daß die patriotiſche Pflicht
gebiete, mit dem Feinde ſeines Landes keine Gemeinſchaft zu pflegen. Indeſſen hat
Bynkershoek ſelber zugleich darauf aufmerkſam gemacht, daß die Handelsintereſſen
dem widerſtreben und daß deßhalb der Handel mit gewiſſen Waaren gewöhnlich er-
laubt und nur bezüglich anderer Waaren verboten werde. Da der Verkehr meiſtens
zweiſeitig iſt, ſo ſchädigt überdem der Abbruch alles internationalen Verkehrs
nothwendig beide Nationen, und ſchon dieſe Erwägung der Folgen des Verbots läßt die
Erlaſſung desſelben meiſtens als unzweckmäßig erſcheinen. Wäre jene Begründung
an ſich richtig, daß man den Feind möglichſt ſchädigen ſoll, was ſie offenbar nicht
iſt, ſo würde ſie doch in unſerm Falle nicht zutreffen, weil der ſich ſelber ins Fleiſch
ſchneidet, der den Feind mit dieſer Waffe verwunden will. Der ganze Grundgedanke
aber iſt falſch. Die Hemmung des Verkehrs verſteht ſich nur inſofern von ſelbſt,
als ſie eine Bedingung oder Folge der Kriegsführung, nicht der Kriegs-
erklärung iſt. Nur die militäriſchen Motive oder ausnahmsweiſe beſondere
politiſche Motive können ſie rechtfertigen. Die erſtern werden in der Ausnahme
vollkommen gewürdigt, die letztern bedürfen einer ſtatlichen Anordnung. Da
die Privatperſonen einander nicht bekriegen, ſondern als Privaten
mit einander im Frieden leben, ſo iſt nicht einzuſehn, weßhalb ſie nicht während
des Kriegs mit einander den friedlichen Verkehr fortſetzen können, der für beide
Nationen nützlich iſt und die Kriegsführung nicht gefährdet. Wenn der Bauer ge-
wohnt war, über die Grenze zur nächſten Mühle zu fahren, oder Weinberge und
Aecker jenſeits der Grenze beſitzt, weßhalb ſollte er nicht auch dann ſein Korn in
jene Mühle fahren, oder hier Weinleſe und Ernte halten dürfen, ſolange ihm das
nicht unterſagt wird. Auch dieſe Intereſſen der Wirthſchaft ſpielen hin und her in
den Grenzgegenden. Die Intereſſen der Fabrication und des Handels wirken weiter
und tiefer ins Land hinein, werden aber wieder durch einen Abbruch des Verkehrs
gewöhnlich nach zwei Seiten hin geſchädigt. Die natürliche Rechtsregel iſt alſo
nicht das Verbot, ſondern die Fortdauer des friedlichen Verkehrs.

2. Offenbar ſteht die Ausbreitung der entgegengeſetzten Regel bei den engliſch-
amerikaniſchen Schriftſtellern noch mit dem Princip in Verbindung, daß die Kauf-
fahrteiſchiffe
ſammt ihrer (feindlichen) Ladung der Seebeute ausgeſetzt ſind.
Wird dieſe Seebeute endlich aufgegeben, dann wird die Unhaltbarkeit eines allge-
meinen Handelsverbots auch zur See Jedermann einleuchten. Man wird dann auch
zugeben, daß die Geſtattung des Seehandels, außer nach den blokirten feindlichen
Häfen in dem Ruſſiſchen Kriege von 1854 (Wheaton Int. L. § 315 Anm.) nicht
ein jus singulare iſt, ſondern den Aufgang eines humaneren Rechtsſatzes
bedeutet. Vgl. Heffter § 132. 133.

3. Aber die Regel des Verkehrs erfordert eine Beſchränkung. So weit die
Truppen wider einander im Felde ſtehn, muß der Verkehr zwiſchen den beſetzten
Gebieten
aufhören, denn ſeine Fortſetzung wird leicht zur Gefahr oder zum
Hemmniß für die Truppen. Weder Reiſende noch Briefe, noch Waaren dürfen daher
ohne Erlaubniß der Commandanten aus einem Gebiet in das andere hinüber.
Dieſe hemmende Folge der Kriegsführung gilt als ſelbſtverſtändlich, weßhalb
es gefährlich iſt, ohne militäriſchen Sicherheitspaß den Uebergang zu wagen. Ins-

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[368/0390] Achtes Buch. werden, dem Feinde möglichſt viel Uebel zuzufügen und daß die patriotiſche Pflicht gebiete, mit dem Feinde ſeines Landes keine Gemeinſchaft zu pflegen. Indeſſen hat Bynkershoek ſelber zugleich darauf aufmerkſam gemacht, daß die Handelsintereſſen dem widerſtreben und daß deßhalb der Handel mit gewiſſen Waaren gewöhnlich er- laubt und nur bezüglich anderer Waaren verboten werde. Da der Verkehr meiſtens zweiſeitig iſt, ſo ſchädigt überdem der Abbruch alles internationalen Verkehrs nothwendig beide Nationen, und ſchon dieſe Erwägung der Folgen des Verbots läßt die Erlaſſung desſelben meiſtens als unzweckmäßig erſcheinen. Wäre jene Begründung an ſich richtig, daß man den Feind möglichſt ſchädigen ſoll, was ſie offenbar nicht iſt, ſo würde ſie doch in unſerm Falle nicht zutreffen, weil der ſich ſelber ins Fleiſch ſchneidet, der den Feind mit dieſer Waffe verwunden will. Der ganze Grundgedanke aber iſt falſch. Die Hemmung des Verkehrs verſteht ſich nur inſofern von ſelbſt, als ſie eine Bedingung oder Folge der Kriegsführung, nicht der Kriegs- erklärung iſt. Nur die militäriſchen Motive oder ausnahmsweiſe beſondere politiſche Motive können ſie rechtfertigen. Die erſtern werden in der Ausnahme vollkommen gewürdigt, die letztern bedürfen einer ſtatlichen Anordnung. Da die Privatperſonen einander nicht bekriegen, ſondern als Privaten mit einander im Frieden leben, ſo iſt nicht einzuſehn, weßhalb ſie nicht während des Kriegs mit einander den friedlichen Verkehr fortſetzen können, der für beide Nationen nützlich iſt und die Kriegsführung nicht gefährdet. Wenn der Bauer ge- wohnt war, über die Grenze zur nächſten Mühle zu fahren, oder Weinberge und Aecker jenſeits der Grenze beſitzt, weßhalb ſollte er nicht auch dann ſein Korn in jene Mühle fahren, oder hier Weinleſe und Ernte halten dürfen, ſolange ihm das nicht unterſagt wird. Auch dieſe Intereſſen der Wirthſchaft ſpielen hin und her in den Grenzgegenden. Die Intereſſen der Fabrication und des Handels wirken weiter und tiefer ins Land hinein, werden aber wieder durch einen Abbruch des Verkehrs gewöhnlich nach zwei Seiten hin geſchädigt. Die natürliche Rechtsregel iſt alſo nicht das Verbot, ſondern die Fortdauer des friedlichen Verkehrs. 2. Offenbar ſteht die Ausbreitung der entgegengeſetzten Regel bei den engliſch- amerikaniſchen Schriftſtellern noch mit dem Princip in Verbindung, daß die Kauf- fahrteiſchiffe ſammt ihrer (feindlichen) Ladung der Seebeute ausgeſetzt ſind. Wird dieſe Seebeute endlich aufgegeben, dann wird die Unhaltbarkeit eines allge- meinen Handelsverbots auch zur See Jedermann einleuchten. Man wird dann auch zugeben, daß die Geſtattung des Seehandels, außer nach den blokirten feindlichen Häfen in dem Ruſſiſchen Kriege von 1854 (Wheaton Int. L. § 315 Anm.) nicht ein jus singulare iſt, ſondern den Aufgang eines humaneren Rechtsſatzes bedeutet. Vgl. Heffter § 132. 133. 3. Aber die Regel des Verkehrs erfordert eine Beſchränkung. So weit die Truppen wider einander im Felde ſtehn, muß der Verkehr zwiſchen den beſetzten Gebieten aufhören, denn ſeine Fortſetzung wird leicht zur Gefahr oder zum Hemmniß für die Truppen. Weder Reiſende noch Briefe, noch Waaren dürfen daher ohne Erlaubniß der Commandanten aus einem Gebiet in das andere hinüber. Dieſe hemmende Folge der Kriegsführung gilt als ſelbſtverſtändlich, weßhalb es gefährlich iſt, ohne militäriſchen Sicherheitspaß den Uebergang zu wagen. Ins-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/390>, abgerufen am 22.11.2024.