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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
kirchlichen Eiferer die Wahrheit verfochten, daß das Natur- und das Völker-
recht nicht auf die Chriſtenheit eingeſchloſſen ſei, ſondern alle Völker aller
Religionen verbinde, weil alle zur Menſchheit gehören.

Trotz dieſer einleuchtenden Lehren iſt in unſerm civiliſirten Europa
der große Fortſchritt der Wiſſenſchaft erſt vor wenig Jahren zu durch-
greifender practiſcher Anerkennung gelangt. Noch die ſogenannte Heilige
Allianz
vom September 1815 wollte ein ausſchließlich chriſtliches
Völkerrecht begründen und ſchützen. Allerdings war ſie nicht mehr ganz
ſo enge, wie das mittelalterliche Glaubensrecht. Sie unterſchied nicht mehr
zwiſchen rechtgläubigen und nicht rechtgläubigen chriſtlichen Bekenntniſſen
und beſeitigte die feindliche Scheidung der verſchiedenen Confeſſionen. In
ihr verband ſich der katholiſche Kaiſer von Oeſterreich mit dem proteſtanti-
ſchen Könige von Preußen und dem griechiſchen Czaren von Rußland.
Die verſchiedenen Confeſſionen ſollten nur Eine chriſtliche Völkerfamilie
bilden. Aber man wollte doch nicht über die Gränze der Chriſtenheit
hinaus gehen und meinte in der chriſtlichen Religion die Grundlage des
neuen Völkerrechts zu finden. Die Türkei blieb noch ausgeſchloſſen von der
europäiſchen Statengemeinſchaft. Freilich hatte man es ſchon ſeit Jahr-
hunderten nicht vermeiden können, auch mit der hohen Pforte völkerrecht-
liche Verträge abzuſchließen. Aber erſt auf dem Pariſer Friedenscongreß
vom Jahre 1856 wurde die Türkei als ein berechtigtes Glied in die
europäiſche Statengenoſſenſchaft aufgenommen und dadurch der allgemein-
menſchliche
Charakter des Völkerrechts anerkannt.

Seither iſt es auch in der Praxis anerkannt, daß die Gränzen der
Chriſtenheit nicht zugleich Gränzen des Völkerrechts ſeien. Unbedenklich
breitet ſich dasſelbe über andere muhammedaniſche Staten und ebenſo über
China und Japan aus und fordert von allen Völkern Achtung ſeiner
Rechtsgrundſätze, mögen dieſelben nun Gott nach der Weiſe der Chriſten
oder der Buddhiſten, nach Art der Muhammedaner oder der Schüler des
Confucius verehren. Endlich iſt die Wahrheit durchgedrungen: Der re-
ligiöſe Glaube begründet nicht und behindert nicht die Rechts-
pflicht
.

Schranken des Völkerrechts.

Das moderne Völkerrecht erkennt voraus das Nebeneinander-
beſtehen
der verſchiedenen Staten an. Es ſoll die Exiſtenz der Staten
ſichern, nicht dieſelbe gefährden, ihre Freiheit ſchützen, nicht unterdrücken.

Bluntſchli, Das Völkerrecht. 2

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/39>, abgerufen am 21.02.2025.