5. Alle diese Leistungen begründen je nach Umständen einen Anspruch auf Entschädigung. Man muß hier unterscheiden:
a) Leistungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne Entschädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der Umfang derselben wird entweder durch die Landesgesetzgebung oder durch die Uebung bestimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin Vieles der Discretion des Commando's überlassen werden;
b) Leistungen, welche dieses Maß überschreiten und daher nach natürlichem Recht nur gegen Entschädigung zu fordern sind.
6. Freilich ist diese Entschädigungspflicht in der Praxis schwer zu normiren und noch schwerer durchzusetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene Leistungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre zunächst veranlaßt, den Gemeinden und den Privaten, gegen welche sie nicht Krieg führt, den Werth zu vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann sie die Leistung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den Em- pfang bescheinigen und die Bezahlung in der Zukunft in Aussicht stellen. Ueberdem kann sie sich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der gegnerische Stat mit den Kriegskosten auch diese Leistungen zu übernehmen und daher seinen Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entschädigung zu leisten habe. Aus diesem Grunde wird sie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt bestreiten, und die Gläubiger an den gegnerischen Stat verweisen, dem dieselben angehören. Dieser Stat aber erkennt seine Entschädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil er die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen habe und weil er seinerseits die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden sei. Er betrachtet daher jene Belastung als ein Unglück, das mit dem Kriege verbunden und von dem zu tragen sei, den es betroffen habe. Nur aus Billigkeitsrück- sichten und meist nur, wenn seine financiellen Verhältnisse günstig beschaffen sind, läßt er sich zur Entschädigung, je nach seinem Ermessen, herbei. Der Friedensschluß ordnet das selten näher, und wenn er darüber schweigt, so werden damit alle An- forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei- träge eingefordert hatte, höchst unsicher und ihre Befriedigung sehr unwahrscheinlich. Es bleibt denselben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück- sichtigung ihres Landes anzurufen.
654.
Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind- lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Existenz und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leistungen zu verlangen. Ins- besondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche Begründung.
23*
Das Kriegsrecht.
5. Alle dieſe Leiſtungen begründen je nach Umſtänden einen Anſpruch auf Entſchädigung. Man muß hier unterſcheiden:
a) Leiſtungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne Entſchädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der Umfang derſelben wird entweder durch die Landesgeſetzgebung oder durch die Uebung beſtimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin Vieles der Discretion des Commando’s überlaſſen werden;
b) Leiſtungen, welche dieſes Maß überſchreiten und daher nach natürlichem Recht nur gegen Entſchädigung zu fordern ſind.
6. Freilich iſt dieſe Entſchädigungspflicht in der Praxis ſchwer zu normiren und noch ſchwerer durchzuſetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene Leiſtungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre zunächſt veranlaßt, den Gemeinden und den Privaten, gegen welche ſie nicht Krieg führt, den Werth zu vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann ſie die Leiſtung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den Em- pfang beſcheinigen und die Bezahlung in der Zukunft in Ausſicht ſtellen. Ueberdem kann ſie ſich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der gegneriſche Stat mit den Kriegskoſten auch dieſe Leiſtungen zu übernehmen und daher ſeinen Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entſchädigung zu leiſten habe. Aus dieſem Grunde wird ſie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt beſtreiten, und die Gläubiger an den gegneriſchen Stat verweiſen, dem dieſelben angehören. Dieſer Stat aber erkennt ſeine Entſchädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil er die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen habe und weil er ſeinerſeits die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden ſei. Er betrachtet daher jene Belaſtung als ein Unglück, das mit dem Kriege verbunden und von dem zu tragen ſei, den es betroffen habe. Nur aus Billigkeitsrück- ſichten und meiſt nur, wenn ſeine financiellen Verhältniſſe günſtig beſchaffen ſind, läßt er ſich zur Entſchädigung, je nach ſeinem Ermeſſen, herbei. Der Friedensſchluß ordnet das ſelten näher, und wenn er darüber ſchweigt, ſo werden damit alle An- forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei- träge eingefordert hatte, höchſt unſicher und ihre Befriedigung ſehr unwahrſcheinlich. Es bleibt denſelben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück- ſichtigung ihres Landes anzurufen.
654.
Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind- lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Exiſtenz und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leiſtungen zu verlangen. Ins- beſondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche Begründung.
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Das Kriegsrecht.
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Entſchädigung. Man muß hier unterſcheiden:
a) Leiſtungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne
Entſchädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der
Umfang derſelben wird entweder durch die Landesgeſetzgebung
oder durch die Uebung beſtimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin
Vieles der Discretion des Commando’s überlaſſen werden;
b) Leiſtungen, welche dieſes Maß überſchreiten und daher nach natürlichem
Recht nur gegen Entſchädigung zu fordern ſind.
6. Freilich iſt dieſe Entſchädigungspflicht in der Praxis ſchwer zu
normiren und noch ſchwerer durchzuſetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene
Leiſtungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre zunächſt veranlaßt,
den Gemeinden und den Privaten, gegen welche ſie nicht Krieg führt, den Werth zu
vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann ſie
die Leiſtung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den Em-
pfang beſcheinigen und die Bezahlung in der Zukunft in Ausſicht ſtellen.
Ueberdem kann ſie ſich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der gegneriſche
Stat mit den Kriegskoſten auch dieſe Leiſtungen zu übernehmen und daher ſeinen
Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entſchädigung zu leiſten habe.
Aus dieſem Grunde wird ſie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt beſtreiten, und die
Gläubiger an den gegneriſchen Stat verweiſen, dem dieſelben angehören. Dieſer
Stat aber erkennt ſeine Entſchädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil er
die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen habe und weil er ſeinerſeits
die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden ſei. Er
betrachtet daher jene Belaſtung als ein Unglück, das mit dem Kriege verbunden
und von dem zu tragen ſei, den es betroffen habe. Nur aus Billigkeitsrück-
ſichten und meiſt nur, wenn ſeine financiellen Verhältniſſe günſtig beſchaffen ſind,
läßt er ſich zur Entſchädigung, je nach ſeinem Ermeſſen, herbei. Der Friedensſchluß
ordnet das ſelten näher, und wenn er darüber ſchweigt, ſo werden damit alle An-
forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei-
träge eingefordert hatte, höchſt unſicher und ihre Befriedigung ſehr unwahrſcheinlich.
Es bleibt denſelben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück-
ſichtigung ihres Landes anzurufen.
654.
Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind-
lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Exiſtenz
und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leiſtungen zu verlangen. Ins-
beſondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche
Begründung.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/377>, abgerufen am 22.02.2025.
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