wenn es ohne Beschädigung derselben geschehen kann, wegzunehmen und anderwärts aufzustellen. Ueber das Eigenthum daran entscheidet dann der Friede. Aber es wird von der heutigen Völkersitte nicht mehr gestattet, daß solche Kunstwerke von dem Sieger während des Krieges verkauft, verschenkt oder in anderer Weise zu Privateigenthum gemacht werden. Heute schon gilt die Wegnahme von wissenschaftlichen Sammlungen, Bibliotheken, Instrumenten zum Schaden der wissenschaftlichen Cultur des betreffenden Landes als eine Maßregel, welche wider die civilisirte Völker- sitte verstößt.
1. Am. 36. Unter dem Namen von Kriegstrophäen wurden früher wohl Kunstwerke und Kunstschätze von dem Sieger weggenommen und nach seiner Hauptstadt geschleppt, um diese zu schmücken. Wie in alten Zeiten die Römer Griechenland und die Vandalen Rom geplündert hatten, so haben in neuerer Zeit noch die Franzosen aus Italien eine Menge von Kunstschätzen nach Paris gebracht und damit die Säle des Louvre und öffentliche Plätze geschmückt. Obwohl dieses Verfahren den früheren Rechtsansichten wenig anstößig erschienen und immerhin die Aenderung im Eigenthum durch die Friedensschlüsse legitimirt war, so ist es doch als ein Fortschritt in der Humanisirung des Völkerrechts zu betrachten, daß die alliirten Mächte im Jahr 1815 die französische Regierung nöthigten, diese Kunst- erzeugnisse wieder an die Länder zurückzuerstatten, denen sie vor der Wegnahme zu- gehört hatten. Das künftige Völkerrecht wird wohl die Regel aussprechen, daß Kunstwerke überhaupt kein Gegenstand kriegerischer Erbeutung seien, denn sie dienen in keiner Weise der Kriegsführung, indem sie in militärischer Beziehung ganz unbrauchbar und als Zwangsmittel, um eher Frieden zu erhalten, ebenfalls ungeeignet sind. Sie zu verkaufen und das Geld für den Krieg zu benutzen, das ist ebenfalls gegen alle gute Sitte und eine offenbare Verletzung der Rücksicht auf die dauernden Cultur- interessen des Landes, welche der Krieg, als ein vorübergehendes Zwangs- mittel, möglichst schonen soll. Es ist aber noch zu früh, diese Regel auszusprechen, da dieselbe auch von den heutigen Staten der civilisirten Welt noch nicht allgemein anerkannt wird. Vgl. übrigens Wheaton, Intern. Law. § 352--354.
2. Man könnte daran denken, jener Regel die Ausnahme beizufügen, daß sie auf solche Kunstwerke, die eine wesentlich politische Bedeutung haben, wie vorzüglich die Siegesdenkmäler, keine Anwendung leide. Indessen sogar in dem Fall ist es würdiger, die geschichtliche Errichtung solcher Denkmäler zu respectiren, und wenn in der Folge der Sieg sich dem früher Besiegten zuwendet, die erforderliche Ergänzung und Correctur anzubringen, als das ältere Kunstwerk wegzunehmen.
3. Soweit darf man in der Aussprache des heutigen Völkerrechts schon gehen, daß die kriegsmäßige Wegnahme von wissenschaftlichen Sammlungen und Instrumenten nicht mehr als zulässig gilt. Diese Dinge können offenbar nicht als "Trophäen" benutzt werden, und sie gehören als Culturschätze den dauernden
Achtes Buch.
wenn es ohne Beſchädigung derſelben geſchehen kann, wegzunehmen und anderwärts aufzuſtellen. Ueber das Eigenthum daran entſcheidet dann der Friede. Aber es wird von der heutigen Völkerſitte nicht mehr geſtattet, daß ſolche Kunſtwerke von dem Sieger während des Krieges verkauft, verſchenkt oder in anderer Weiſe zu Privateigenthum gemacht werden. Heute ſchon gilt die Wegnahme von wiſſenſchaftlichen Sammlungen, Bibliotheken, Inſtrumenten zum Schaden der wiſſenſchaftlichen Cultur des betreffenden Landes als eine Maßregel, welche wider die civiliſirte Völker- ſitte verſtößt.
1. Am. 36. Unter dem Namen von Kriegstrophäen wurden früher wohl Kunſtwerke und Kunſtſchätze von dem Sieger weggenommen und nach ſeiner Hauptſtadt geſchleppt, um dieſe zu ſchmücken. Wie in alten Zeiten die Römer Griechenland und die Vandalen Rom geplündert hatten, ſo haben in neuerer Zeit noch die Franzoſen aus Italien eine Menge von Kunſtſchätzen nach Paris gebracht und damit die Säle des Louvre und öffentliche Plätze geſchmückt. Obwohl dieſes Verfahren den früheren Rechtsanſichten wenig anſtößig erſchienen und immerhin die Aenderung im Eigenthum durch die Friedensſchlüſſe legitimirt war, ſo iſt es doch als ein Fortſchritt in der Humaniſirung des Völkerrechts zu betrachten, daß die alliirten Mächte im Jahr 1815 die franzöſiſche Regierung nöthigten, dieſe Kunſt- erzeugniſſe wieder an die Länder zurückzuerſtatten, denen ſie vor der Wegnahme zu- gehört hatten. Das künftige Völkerrecht wird wohl die Regel ausſprechen, daß Kunſtwerke überhaupt kein Gegenſtand kriegeriſcher Erbeutung ſeien, denn ſie dienen in keiner Weiſe der Kriegsführung, indem ſie in militäriſcher Beziehung ganz unbrauchbar und als Zwangsmittel, um eher Frieden zu erhalten, ebenfalls ungeeignet ſind. Sie zu verkaufen und das Geld für den Krieg zu benutzen, das iſt ebenfalls gegen alle gute Sitte und eine offenbare Verletzung der Rückſicht auf die dauernden Cultur- intereſſen des Landes, welche der Krieg, als ein vorübergehendes Zwangs- mittel, möglichſt ſchonen ſoll. Es iſt aber noch zu früh, dieſe Regel auszuſprechen, da dieſelbe auch von den heutigen Staten der civiliſirten Welt noch nicht allgemein anerkannt wird. Vgl. übrigens Wheaton, Intern. Law. § 352—354.
2. Man könnte daran denken, jener Regel die Ausnahme beizufügen, daß ſie auf ſolche Kunſtwerke, die eine weſentlich politiſche Bedeutung haben, wie vorzüglich die Siegesdenkmäler, keine Anwendung leide. Indeſſen ſogar in dem Fall iſt es würdiger, die geſchichtliche Errichtung ſolcher Denkmäler zu reſpectiren, und wenn in der Folge der Sieg ſich dem früher Beſiegten zuwendet, die erforderliche Ergänzung und Correctur anzubringen, als das ältere Kunſtwerk wegzunehmen.
3. Soweit darf man in der Ausſprache des heutigen Völkerrechts ſchon gehen, daß die kriegsmäßige Wegnahme von wiſſenſchaftlichen Sammlungen und Inſtrumenten nicht mehr als zuläſſig gilt. Dieſe Dinge können offenbar nicht als „Trophäen“ benutzt werden, und ſie gehören als Culturſchätze den dauernden
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[352/0374]
Achtes Buch.
wenn es ohne Beſchädigung derſelben geſchehen kann, wegzunehmen und
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daß ſolche Kunſtwerke von dem Sieger während des Krieges verkauft,
verſchenkt oder in anderer Weiſe zu Privateigenthum gemacht werden.
Heute ſchon gilt die Wegnahme von wiſſenſchaftlichen Sammlungen,
Bibliotheken, Inſtrumenten zum Schaden der wiſſenſchaftlichen Cultur des
betreffenden Landes als eine Maßregel, welche wider die civiliſirte Völker-
ſitte verſtößt.
1. Am. 36. Unter dem Namen von Kriegstrophäen wurden früher wohl
Kunſtwerke und Kunſtſchätze von dem Sieger weggenommen und nach ſeiner
Hauptſtadt geſchleppt, um dieſe zu ſchmücken. Wie in alten Zeiten die Römer
Griechenland und die Vandalen Rom geplündert hatten, ſo haben in neuerer Zeit
noch die Franzoſen aus Italien eine Menge von Kunſtſchätzen nach Paris gebracht
und damit die Säle des Louvre und öffentliche Plätze geſchmückt. Obwohl dieſes
Verfahren den früheren Rechtsanſichten wenig anſtößig erſchienen und immerhin die
Aenderung im Eigenthum durch die Friedensſchlüſſe legitimirt war, ſo iſt es doch
als ein Fortſchritt in der Humaniſirung des Völkerrechts zu betrachten, daß die
alliirten Mächte im Jahr 1815 die franzöſiſche Regierung nöthigten, dieſe Kunſt-
erzeugniſſe wieder an die Länder zurückzuerſtatten, denen ſie vor der Wegnahme zu-
gehört hatten. Das künftige Völkerrecht wird wohl die Regel ausſprechen, daß
Kunſtwerke überhaupt kein Gegenſtand kriegeriſcher Erbeutung ſeien, denn ſie dienen in
keiner Weiſe der Kriegsführung, indem ſie in militäriſcher Beziehung ganz unbrauchbar
und als Zwangsmittel, um eher Frieden zu erhalten, ebenfalls ungeeignet ſind. Sie
zu verkaufen und das Geld für den Krieg zu benutzen, das iſt ebenfalls gegen alle
gute Sitte und eine offenbare Verletzung der Rückſicht auf die dauernden Cultur-
intereſſen des Landes, welche der Krieg, als ein vorübergehendes Zwangs-
mittel, möglichſt ſchonen ſoll. Es iſt aber noch zu früh, dieſe Regel auszuſprechen,
da dieſelbe auch von den heutigen Staten der civiliſirten Welt noch nicht allgemein
anerkannt wird. Vgl. übrigens Wheaton, Intern. Law. § 352—354.
2. Man könnte daran denken, jener Regel die Ausnahme beizufügen, daß ſie
auf ſolche Kunſtwerke, die eine weſentlich politiſche Bedeutung haben, wie
vorzüglich die Siegesdenkmäler, keine Anwendung leide. Indeſſen ſogar in
dem Fall iſt es würdiger, die geſchichtliche Errichtung ſolcher Denkmäler zu
reſpectiren, und wenn in der Folge der Sieg ſich dem früher Beſiegten zuwendet,
die erforderliche Ergänzung und Correctur anzubringen, als das ältere
Kunſtwerk wegzunehmen.
3. Soweit darf man in der Ausſprache des heutigen Völkerrechts ſchon
gehen, daß die kriegsmäßige Wegnahme von wiſſenſchaftlichen Sammlungen und
Inſtrumenten nicht mehr als zuläſſig gilt. Dieſe Dinge können offenbar nicht als
„Trophäen“ benutzt werden, und ſie gehören als Culturſchätze den dauernden
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/374>, abgerufen am 18.07.2024.
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