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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.
sogar wenn sie aus freiem Antrieb handeln, so kann auch hier der Patriotismus sie
dazu treiben. Die Todesstrafe soll zur Abschreckung dienen. Der Kriegsgebrauch
hat sie sogar in der entehrenden Form des Hängens eingeführt. Aber sie darf doch
nur als äußerste Strafe in den gefährlichsten Fällen zur Anwendung kommen.
In sehr vielen Fällen wäre sie unverhältnißmäßig hart. Die neuere Praxis
ist auch hier milder geworden und begnügt sich oft mit geringen Strafen, inbeson-
dere mit Verhaft. Ein bekanntes Beispiel der härtesten Strafe, die an einem höhern
Officier der feindlichen Armee vollzogen wurde, ist die Hinrichtung des englischen
Majors Andre, des Generaladjutanten der Königlichen Armee, welcher in dem
nordamerikanischen Befreiungskriege von einem amerikanischen Kriegsgericht zum
Tode verurtheilt und trotz der Verwendungen der englischen Generale gehängt
wurde. Er hatte vergeblich darum gebeten, als Kriegsmann erschossen zu werden.
Vgl. Phillimore III. 183 f.

629.

Als Spion wird betrachtet, wer heimlicher Weise oder unter trüge-
rischen Vorwänden sich in die Linien des Heeres in der Absicht einschleicht
oder begibt, um Erkundigungen einzuziehn, die für die Kriegsführung des
Feindes erheblich sind, und dieselben an den Feind mitzutheilen.

Am. 88. Die offen geübte Erkundigung kann zum Verrath mißbraucht
werden (vgl. § 631), aber sie ist nicht Spionerie. Der Makel des Anstößigen und
Unehrenhaften, welcher der Spionerie anklebt, beruht auf der Heimlichkeit des
Verfahrens
und den trügerischen Vorwänden. Das -- wenn auch heim-
liche -- Erspähen der feindlichen Rüstungen und Waffenplätze vor dem Ausbruch des
Kriegs kann je nach Umständen policeilich geahndet, darf aber nicht als Spio-
nerie kriegsgerichtlich bestraft werden. Nur im Kiege und nach Kriegsrecht gibt es
Spione. Auch dann aber muß man sich hüten, allzuleicht auf Spionerie zu schlie-
ßen. In dem deutschen Kriege von 1866 war die Spionenriecherei besonders in
den süddeutschen Heeren zu einer Manie geworden, welche eine Menge höchst un-
schuldiger Personen momentan arg belästigte, aber schließlich doch nirgends ernste
Folgen hatte.

630.

Militärpersonen, welche als erkennbare Feinde in die feindliche Linie
eindringen, wenn auch in der Absicht, die Stellung und die Verhältnisse
des Feindes zu erkundigen und Truppentheile, welche recognosciren, dürfen
wohl kriegsgefangen gemacht, nicht aber als Spione behandelt werden.

Die Entsendung von Recognitionspatrouillen gehört zu den erlaubten
und wechselseitig geübten Kriegsmitteln. Es können auch einzelne ortskundige Sol-

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ſogar wenn ſie aus freiem Antrieb handeln, ſo kann auch hier der Patriotismus ſie
dazu treiben. Die Todesſtrafe ſoll zur Abſchreckung dienen. Der Kriegsgebrauch
hat ſie ſogar in der entehrenden Form des Hängens eingeführt. Aber ſie darf doch
nur als äußerſte Strafe in den gefährlichſten Fällen zur Anwendung kommen.
In ſehr vielen Fällen wäre ſie unverhältnißmäßig hart. Die neuere Praxis
iſt auch hier milder geworden und begnügt ſich oft mit geringen Strafen, inbeſon-
dere mit Verhaft. Ein bekanntes Beiſpiel der härteſten Strafe, die an einem höhern
Officier der feindlichen Armee vollzogen wurde, iſt die Hinrichtung des engliſchen
Majors André, des Generaladjutanten der Königlichen Armee, welcher in dem
nordamerikaniſchen Befreiungskriege von einem amerikaniſchen Kriegsgericht zum
Tode verurtheilt und trotz der Verwendungen der engliſchen Generale gehängt
wurde. Er hatte vergeblich darum gebeten, als Kriegsmann erſchoſſen zu werden.
Vgl. Phillimore III. 183 f.

629.

Als Spion wird betrachtet, wer heimlicher Weiſe oder unter trüge-
riſchen Vorwänden ſich in die Linien des Heeres in der Abſicht einſchleicht
oder begibt, um Erkundigungen einzuziehn, die für die Kriegsführung des
Feindes erheblich ſind, und dieſelben an den Feind mitzutheilen.

Am. 88. Die offen geübte Erkundigung kann zum Verrath mißbraucht
werden (vgl. § 631), aber ſie iſt nicht Spionerie. Der Makel des Anſtößigen und
Unehrenhaften, welcher der Spionerie anklebt, beruht auf der Heimlichkeit des
Verfahrens
und den trügeriſchen Vorwänden. Das — wenn auch heim-
liche — Erſpähen der feindlichen Rüſtungen und Waffenplätze vor dem Ausbruch des
Kriegs kann je nach Umſtänden policeilich geahndet, darf aber nicht als Spio-
nerie kriegsgerichtlich beſtraft werden. Nur im Kiege und nach Kriegsrecht gibt es
Spione. Auch dann aber muß man ſich hüten, allzuleicht auf Spionerie zu ſchlie-
ßen. In dem deutſchen Kriege von 1866 war die Spionenriecherei beſonders in
den ſüddeutſchen Heeren zu einer Manie geworden, welche eine Menge höchſt un-
ſchuldiger Perſonen momentan arg beläſtigte, aber ſchließlich doch nirgends ernſte
Folgen hatte.

630.

Militärperſonen, welche als erkennbare Feinde in die feindliche Linie
eindringen, wenn auch in der Abſicht, die Stellung und die Verhältniſſe
des Feindes zu erkundigen und Truppentheile, welche recognosciren, dürfen
wohl kriegsgefangen gemacht, nicht aber als Spione behandelt werden.

Die Entſendung von Recognitionspatrouillen gehört zu den erlaubten
und wechſelſeitig geübten Kriegsmitteln. Es können auch einzelne ortskundige Sol-

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[342/0364] Achtes Buch. ſogar wenn ſie aus freiem Antrieb handeln, ſo kann auch hier der Patriotismus ſie dazu treiben. Die Todesſtrafe ſoll zur Abſchreckung dienen. Der Kriegsgebrauch hat ſie ſogar in der entehrenden Form des Hängens eingeführt. Aber ſie darf doch nur als äußerſte Strafe in den gefährlichſten Fällen zur Anwendung kommen. In ſehr vielen Fällen wäre ſie unverhältnißmäßig hart. Die neuere Praxis iſt auch hier milder geworden und begnügt ſich oft mit geringen Strafen, inbeſon- dere mit Verhaft. Ein bekanntes Beiſpiel der härteſten Strafe, die an einem höhern Officier der feindlichen Armee vollzogen wurde, iſt die Hinrichtung des engliſchen Majors André, des Generaladjutanten der Königlichen Armee, welcher in dem nordamerikaniſchen Befreiungskriege von einem amerikaniſchen Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und trotz der Verwendungen der engliſchen Generale gehängt wurde. Er hatte vergeblich darum gebeten, als Kriegsmann erſchoſſen zu werden. Vgl. Phillimore III. 183 f. 629. Als Spion wird betrachtet, wer heimlicher Weiſe oder unter trüge- riſchen Vorwänden ſich in die Linien des Heeres in der Abſicht einſchleicht oder begibt, um Erkundigungen einzuziehn, die für die Kriegsführung des Feindes erheblich ſind, und dieſelben an den Feind mitzutheilen. Am. 88. Die offen geübte Erkundigung kann zum Verrath mißbraucht werden (vgl. § 631), aber ſie iſt nicht Spionerie. Der Makel des Anſtößigen und Unehrenhaften, welcher der Spionerie anklebt, beruht auf der Heimlichkeit des Verfahrens und den trügeriſchen Vorwänden. Das — wenn auch heim- liche — Erſpähen der feindlichen Rüſtungen und Waffenplätze vor dem Ausbruch des Kriegs kann je nach Umſtänden policeilich geahndet, darf aber nicht als Spio- nerie kriegsgerichtlich beſtraft werden. Nur im Kiege und nach Kriegsrecht gibt es Spione. Auch dann aber muß man ſich hüten, allzuleicht auf Spionerie zu ſchlie- ßen. In dem deutſchen Kriege von 1866 war die Spionenriecherei beſonders in den ſüddeutſchen Heeren zu einer Manie geworden, welche eine Menge höchſt un- ſchuldiger Perſonen momentan arg beläſtigte, aber ſchließlich doch nirgends ernſte Folgen hatte. 630. Militärperſonen, welche als erkennbare Feinde in die feindliche Linie eindringen, wenn auch in der Abſicht, die Stellung und die Verhältniſſe des Feindes zu erkundigen und Truppentheile, welche recognosciren, dürfen wohl kriegsgefangen gemacht, nicht aber als Spione behandelt werden. Die Entſendung von Recognitionspatrouillen gehört zu den erlaubten und wechſelſeitig geübten Kriegsmitteln. Es können auch einzelne ortskundige Sol-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/364>, abgerufen am 23.11.2024.