1. Am. 52. Der Landsturm ist in seinem Recht, wenn er sich zur Ver- theidigung des Landes erhebt. Er steht dann unter den Befehlen seiner Regierung und ihrer Kriegsgewalt. Landstürmer sind dann, wie die Soldaten des stehenden Heeres und der Landwehr, als feindliche Personen zu behandeln und können kriegsgefangen werden. Das Kriegsrecht, nicht das Strafrecht, findet auf sie An- wendung.
2. Aber anders ist es, wenn innerhalb des vom Feinde eingenommenen Ge- bietes die Landstürmer sich gegen die Kriegsgewalt erheben, denn diese ist, so lange sie im Besitz des Gebietes ist, als ermächtigt anzusehn, die öffentliche Gewalt in demselben auszuüben. Sie kann daher einen Aufstand nicht bloß wie einen feind- lichen Widerstand kriegerisch bewältigen, sondern die Schuldigen strafrechtlich verfol- gen. Das gilt auch von Aufständen im Rücken eines fortschreitenden Heeres. Allerdings kann die Volkserhebung so groß werden, daß sie die Grenzen des Strafrechts überschreitet, und eine neue kriegerische Macht schafft. Dann kommen die obigen Grundsätze von § 512 zur Anwendung. Freilich sind die Kriegsmächte nicht immer geneigt, diese Milderung zuzugestehn. Indessen die öffent- liche Meinung hat doch mit gutem Grund schon zur Zeit eines weniger humanen Kriegsrechts es gemißbilligt, daß die französischen Revolutionsheere gefangene Auf- ständische in der Vendee und Napoleon I. den Tyrolerführer Andreas Hofer strafrechtlich haben erschießen lassen.
599.
Geistliche, Aerzte, Apotheker, Heilgehülfen dürfen, wenn sie nicht am activen Kampfe Theil nehmen, nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden, es wäre denn, daß sie verlangten, die Kriegsgefangenschaft mit ihren Truppen zu theilen, oder die Unterstützung dieser durch jene als nothwendig erscheint. Indessen sind sie auch in diesen Ausnahmsfällen um ihres friedlichen Berufes willen im Dienste der Menschheit mit möglichster Scho- nung und Rücksicht zu behandeln.
Am. 53. Vgl. oben § 587. 588. Die Neutralisirung dieser Per- sonen bildet die Regel, aber sie findet doch in den Bedürfnissen der Verwundeten und Kranken selbst eine Grenze. Wenn die feindlichen Aerzte nach einer Niederlage das Schlachtfeld verlassen wollten, wo vielleicht Hunderte von Verwundeten in Noth sind und dringend nach Hülfe schreien, so darf der Heerführer, in dessen Gewalt sie gerathen, ihnen wohl zumuthen und sie nöthigenfalls mit Gewalt dazu anhalten, daß sie sich ihrer Pflicht nicht während der höchsten Noth entziehn. Immer aber ist ihnen möglichst bald wieder volle Freiheit zu gewähren.
600.
Die Geiseln, welche von dem feindlichen State oder der feindlichen
Das Kriegsrecht.
1. Am. 52. Der Landſturm iſt in ſeinem Recht, wenn er ſich zur Ver- theidigung des Landes erhebt. Er ſteht dann unter den Befehlen ſeiner Regierung und ihrer Kriegsgewalt. Landſtürmer ſind dann, wie die Soldaten des ſtehenden Heeres und der Landwehr, als feindliche Perſonen zu behandeln und können kriegsgefangen werden. Das Kriegsrecht, nicht das Strafrecht, findet auf ſie An- wendung.
2. Aber anders iſt es, wenn innerhalb des vom Feinde eingenommenen Ge- bietes die Landſtürmer ſich gegen die Kriegsgewalt erheben, denn dieſe iſt, ſo lange ſie im Beſitz des Gebietes iſt, als ermächtigt anzuſehn, die öffentliche Gewalt in demſelben auszuüben. Sie kann daher einen Aufſtand nicht bloß wie einen feind- lichen Widerſtand kriegeriſch bewältigen, ſondern die Schuldigen ſtrafrechtlich verfol- gen. Das gilt auch von Aufſtänden im Rücken eines fortſchreitenden Heeres. Allerdings kann die Volkserhebung ſo groß werden, daß ſie die Grenzen des Strafrechts überſchreitet, und eine neue kriegeriſche Macht ſchafft. Dann kommen die obigen Grundſätze von § 512 zur Anwendung. Freilich ſind die Kriegsmächte nicht immer geneigt, dieſe Milderung zuzugeſtehn. Indeſſen die öffent- liche Meinung hat doch mit gutem Grund ſchon zur Zeit eines weniger humanen Kriegsrechts es gemißbilligt, daß die franzöſiſchen Revolutionsheere gefangene Auf- ſtändiſche in der Vendée und Napoleon I. den Tyrolerführer Andreas Hofer ſtrafrechtlich haben erſchießen laſſen.
599.
Geiſtliche, Aerzte, Apotheker, Heilgehülfen dürfen, wenn ſie nicht am activen Kampfe Theil nehmen, nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden, es wäre denn, daß ſie verlangten, die Kriegsgefangenſchaft mit ihren Truppen zu theilen, oder die Unterſtützung dieſer durch jene als nothwendig erſcheint. Indeſſen ſind ſie auch in dieſen Ausnahmsfällen um ihres friedlichen Berufes willen im Dienſte der Menſchheit mit möglichſter Scho- nung und Rückſicht zu behandeln.
Am. 53. Vgl. oben § 587. 588. Die Neutraliſirung dieſer Per- ſonen bildet die Regel, aber ſie findet doch in den Bedürfniſſen der Verwundeten und Kranken ſelbſt eine Grenze. Wenn die feindlichen Aerzte nach einer Niederlage das Schlachtfeld verlaſſen wollten, wo vielleicht Hunderte von Verwundeten in Noth ſind und dringend nach Hülfe ſchreien, ſo darf der Heerführer, in deſſen Gewalt ſie gerathen, ihnen wohl zumuthen und ſie nöthigenfalls mit Gewalt dazu anhalten, daß ſie ſich ihrer Pflicht nicht während der höchſten Noth entziehn. Immer aber iſt ihnen möglichſt bald wieder volle Freiheit zu gewähren.
600.
Die Geiſeln, welche von dem feindlichen State oder der feindlichen
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Das Kriegsrecht.
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theidigung des Landes erhebt. Er ſteht dann unter den Befehlen ſeiner Regierung
und ihrer Kriegsgewalt. Landſtürmer ſind dann, wie die Soldaten des ſtehenden
Heeres und der Landwehr, als feindliche Perſonen zu behandeln und können
kriegsgefangen werden. Das Kriegsrecht, nicht das Strafrecht, findet auf ſie An-
wendung.
2. Aber anders iſt es, wenn innerhalb des vom Feinde eingenommenen Ge-
bietes die Landſtürmer ſich gegen die Kriegsgewalt erheben, denn dieſe iſt, ſo lange
ſie im Beſitz des Gebietes iſt, als ermächtigt anzuſehn, die öffentliche Gewalt in
demſelben auszuüben. Sie kann daher einen Aufſtand nicht bloß wie einen feind-
lichen Widerſtand kriegeriſch bewältigen, ſondern die Schuldigen ſtrafrechtlich verfol-
gen. Das gilt auch von Aufſtänden im Rücken eines fortſchreitenden
Heeres. Allerdings kann die Volkserhebung ſo groß werden, daß ſie die Grenzen
des Strafrechts überſchreitet, und eine neue kriegeriſche Macht ſchafft. Dann
kommen die obigen Grundſätze von § 512 zur Anwendung. Freilich ſind die
Kriegsmächte nicht immer geneigt, dieſe Milderung zuzugeſtehn. Indeſſen die öffent-
liche Meinung hat doch mit gutem Grund ſchon zur Zeit eines weniger humanen
Kriegsrechts es gemißbilligt, daß die franzöſiſchen Revolutionsheere gefangene Auf-
ſtändiſche in der Vendée und Napoleon I. den Tyrolerführer Andreas Hofer
ſtrafrechtlich haben erſchießen laſſen.
599.
Geiſtliche, Aerzte, Apotheker, Heilgehülfen dürfen, wenn ſie nicht am
activen Kampfe Theil nehmen, nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden,
es wäre denn, daß ſie verlangten, die Kriegsgefangenſchaft mit ihren
Truppen zu theilen, oder die Unterſtützung dieſer durch jene als nothwendig
erſcheint. Indeſſen ſind ſie auch in dieſen Ausnahmsfällen um ihres
friedlichen Berufes willen im Dienſte der Menſchheit mit möglichſter Scho-
nung und Rückſicht zu behandeln.
Am. 53. Vgl. oben § 587. 588. Die Neutraliſirung dieſer Per-
ſonen bildet die Regel, aber ſie findet doch in den Bedürfniſſen der Verwundeten
und Kranken ſelbſt eine Grenze. Wenn die feindlichen Aerzte nach einer Niederlage
das Schlachtfeld verlaſſen wollten, wo vielleicht Hunderte von Verwundeten in Noth
ſind und dringend nach Hülfe ſchreien, ſo darf der Heerführer, in deſſen Gewalt ſie
gerathen, ihnen wohl zumuthen und ſie nöthigenfalls mit Gewalt dazu anhalten,
daß ſie ſich ihrer Pflicht nicht während der höchſten Noth entziehn. Immer aber
iſt ihnen möglichſt bald wieder volle Freiheit zu gewähren.
600.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/353>, abgerufen am 21.11.2024.
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