Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Kriegsrecht.
gerische Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger sich
gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen, werden nicht als
öffentliche Feinde betrachtet und können nach Umständen als Räuber zur
Verantwortung und Strafe gezogen werden.

Am. Kr. 82. Bei solchen Unternehmungen ist der militärische Charakter
nicht mehr offenbar und daher auch nicht entscheidend. Möglich, daß auch hier
patriotische und politische Gedanken einwirken, aber die Gefahr der gemein-verbreche-
rischen Handlungen -- Mord, Mißhandlung, Raub, Diebstahl -- ist hier so groß,
daß der Schutz der Strafgerichtsbarkeit nicht entbehrt werden kann. In einzelnen
Fällen mag durch die Gnade die Härte der Strafjustiz billig gemildert werden, in
den mehreren wird gerade die ernste Strenge der Justiz die Rechtssicherheit und den
Frieden am besten herstellen und befestigen.

572.

Ebenso werden Freischaren, welche ohne statliche Ermächtigung in
selbstsüchtiger Absicht kriegerische Gewalt üben und die Unternehmer von
Kaperschiffen nicht als Feinde, sondern als Verbrecher behandelt.

Im Alterthum wurden solche Abenteuerfahrten zur See und zu Land als
rühmlich betrachtet; und heute noch werden zuweilen im Orient unter Turkmannen
und Serben solche Raubzüge gegen die Ungläubigen und die Ketzer als preiswürdige
Heldenthaten gefeiert. Die civilisirte Welt mißbilligt dieselben aufs entschiedenste,
und erkennt darin durchaus strafwürdige Verbrechen.

573.

Die friedlichen Bewohner in Feindesland, welche an dem Kampfe
keinen thätigen Antheil nehmen, unterliegen zwar den nothwendigen Wir-
kungen des Kriegs und müssen der siegreichen Kriegsgewalt Gehorsam
leisten, aber sie sind nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu
behandeln.

Vgl. Einleitung S. 31. Von größter practischer Bedeutung ist die Unter-
scheidung der friedlichen Bewohner des feindlichen States von dem Heere dessel-
ben. Erst seitdem die friedliche Eigenschaft derselben erkannt und auch von der
feindlichen Kriegsgewalt besser als früher gewürdigt wird, ist die Barbarei des Kriegs
einigermaßen gezähmt worden. So lange man noch alle Angehörigen des kriegfüh-
renden States gleichmäßig als Feinde ansah, schien jede Gewaltthat und Bedrückung
erlaubt. Die große Masse der Einwohner ist aber in den meisten Fällen ganz un-
schuldig an dem Streit der Staten, und fügt sich dem Kriege nur, wie einer furcht-

Das Kriegsrecht.
geriſche Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger ſich
gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen, werden nicht als
öffentliche Feinde betrachtet und können nach Umſtänden als Räuber zur
Verantwortung und Strafe gezogen werden.

Am. Kr. 82. Bei ſolchen Unternehmungen iſt der militäriſche Charakter
nicht mehr offenbar und daher auch nicht entſcheidend. Möglich, daß auch hier
patriotiſche und politiſche Gedanken einwirken, aber die Gefahr der gemein-verbreche-
riſchen Handlungen — Mord, Mißhandlung, Raub, Diebſtahl — iſt hier ſo groß,
daß der Schutz der Strafgerichtsbarkeit nicht entbehrt werden kann. In einzelnen
Fällen mag durch die Gnade die Härte der Strafjuſtiz billig gemildert werden, in
den mehreren wird gerade die ernſte Strenge der Juſtiz die Rechtsſicherheit und den
Frieden am beſten herſtellen und befeſtigen.

572.

Ebenſo werden Freiſcharen, welche ohne ſtatliche Ermächtigung in
ſelbſtſüchtiger Abſicht kriegeriſche Gewalt üben und die Unternehmer von
Kaperſchiffen nicht als Feinde, ſondern als Verbrecher behandelt.

Im Alterthum wurden ſolche Abenteuerfahrten zur See und zu Land als
rühmlich betrachtet; und heute noch werden zuweilen im Orient unter Turkmannen
und Serben ſolche Raubzüge gegen die Ungläubigen und die Ketzer als preiswürdige
Heldenthaten gefeiert. Die civiliſirte Welt mißbilligt dieſelben aufs entſchiedenſte,
und erkennt darin durchaus ſtrafwürdige Verbrechen.

573.

Die friedlichen Bewohner in Feindesland, welche an dem Kampfe
keinen thätigen Antheil nehmen, unterliegen zwar den nothwendigen Wir-
kungen des Kriegs und müſſen der ſiegreichen Kriegsgewalt Gehorſam
leiſten, aber ſie ſind nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu
behandeln.

Vgl. Einleitung S. 31. Von größter practiſcher Bedeutung iſt die Unter-
ſcheidung der friedlichen Bewohner des feindlichen States von dem Heere desſel-
ben. Erſt ſeitdem die friedliche Eigenſchaft derſelben erkannt und auch von der
feindlichen Kriegsgewalt beſſer als früher gewürdigt wird, iſt die Barbarei des Kriegs
einigermaßen gezähmt worden. So lange man noch alle Angehörigen des kriegfüh-
renden States gleichmäßig als Feinde anſah, ſchien jede Gewaltthat und Bedrückung
erlaubt. Die große Maſſe der Einwohner iſt aber in den meiſten Fällen ganz un-
ſchuldig an dem Streit der Staten, und fügt ſich dem Kriege nur, wie einer furcht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0341" n="319"/><fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/>
geri&#x017F;che Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger &#x017F;ich<lb/>
gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen, werden nicht als<lb/>
öffentliche Feinde betrachtet und können nach Um&#x017F;tänden als Räuber zur<lb/>
Verantwortung und Strafe gezogen werden.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Am. Kr</hi>. 82. Bei &#x017F;olchen Unternehmungen i&#x017F;t der militäri&#x017F;che Charakter<lb/>
nicht mehr offenbar und daher auch nicht ent&#x017F;cheidend. Möglich, daß auch hier<lb/>
patrioti&#x017F;che und politi&#x017F;che Gedanken einwirken, aber die Gefahr der gemein-verbreche-<lb/>
ri&#x017F;chen Handlungen &#x2014; Mord, Mißhandlung, Raub, Dieb&#x017F;tahl &#x2014; i&#x017F;t hier &#x017F;o groß,<lb/>
daß der Schutz der Strafgerichtsbarkeit nicht entbehrt werden kann. In einzelnen<lb/>
Fällen mag durch die Gnade die Härte der Strafju&#x017F;tiz billig gemildert werden, in<lb/>
den mehreren wird gerade die ern&#x017F;te Strenge der Ju&#x017F;tiz die Rechts&#x017F;icherheit und den<lb/>
Frieden am be&#x017F;ten her&#x017F;tellen und befe&#x017F;tigen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>572.</head><lb/>
              <p>Eben&#x017F;o werden Frei&#x017F;charen, welche ohne &#x017F;tatliche Ermächtigung in<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;üchtiger Ab&#x017F;icht kriegeri&#x017F;che Gewalt üben und die Unternehmer von<lb/>
Kaper&#x017F;chiffen nicht als Feinde, &#x017F;ondern als Verbrecher behandelt.</p><lb/>
              <p>Im Alterthum wurden &#x017F;olche Abenteuerfahrten zur See und zu Land als<lb/>
rühmlich betrachtet; und heute noch werden zuweilen im Orient unter Turkmannen<lb/>
und Serben &#x017F;olche Raubzüge gegen die Ungläubigen und die Ketzer als preiswürdige<lb/>
Heldenthaten gefeiert. Die civili&#x017F;irte Welt mißbilligt die&#x017F;elben aufs ent&#x017F;chieden&#x017F;te,<lb/>
und erkennt darin durchaus &#x017F;trafwürdige Verbrechen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>573.</head><lb/>
              <p>Die friedlichen Bewohner in Feindesland, welche an dem Kampfe<lb/>
keinen thätigen Antheil nehmen, unterliegen zwar den nothwendigen Wir-<lb/>
kungen des Kriegs und mü&#x017F;&#x017F;en der &#x017F;iegreichen Kriegsgewalt Gehor&#x017F;am<lb/>
lei&#x017F;ten, aber &#x017F;ie &#x017F;ind nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu<lb/>
behandeln.</p><lb/>
              <p>Vgl. Einleitung S. 31. Von größter practi&#x017F;cher Bedeutung i&#x017F;t die Unter-<lb/>
&#x017F;cheidung der <hi rendition="#g">friedlichen</hi> Bewohner des feindlichen States von dem Heere des&#x017F;el-<lb/>
ben. Er&#x017F;t &#x017F;eitdem die friedliche Eigen&#x017F;chaft der&#x017F;elben erkannt und auch von der<lb/>
feindlichen Kriegsgewalt be&#x017F;&#x017F;er als früher gewürdigt wird, i&#x017F;t die Barbarei des Kriegs<lb/>
einigermaßen gezähmt worden. So lange man noch alle Angehörigen des kriegfüh-<lb/>
renden States gleichmäßig als Feinde an&#x017F;ah, &#x017F;chien jede Gewaltthat und Bedrückung<lb/>
erlaubt. Die große Ma&#x017F;&#x017F;e der Einwohner i&#x017F;t aber in den mei&#x017F;ten Fällen ganz un-<lb/>
&#x017F;chuldig an dem Streit der Staten, und fügt &#x017F;ich dem Kriege nur, wie einer furcht-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0341] Das Kriegsrecht. geriſche Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger ſich gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen, werden nicht als öffentliche Feinde betrachtet und können nach Umſtänden als Räuber zur Verantwortung und Strafe gezogen werden. Am. Kr. 82. Bei ſolchen Unternehmungen iſt der militäriſche Charakter nicht mehr offenbar und daher auch nicht entſcheidend. Möglich, daß auch hier patriotiſche und politiſche Gedanken einwirken, aber die Gefahr der gemein-verbreche- riſchen Handlungen — Mord, Mißhandlung, Raub, Diebſtahl — iſt hier ſo groß, daß der Schutz der Strafgerichtsbarkeit nicht entbehrt werden kann. In einzelnen Fällen mag durch die Gnade die Härte der Strafjuſtiz billig gemildert werden, in den mehreren wird gerade die ernſte Strenge der Juſtiz die Rechtsſicherheit und den Frieden am beſten herſtellen und befeſtigen. 572. Ebenſo werden Freiſcharen, welche ohne ſtatliche Ermächtigung in ſelbſtſüchtiger Abſicht kriegeriſche Gewalt üben und die Unternehmer von Kaperſchiffen nicht als Feinde, ſondern als Verbrecher behandelt. Im Alterthum wurden ſolche Abenteuerfahrten zur See und zu Land als rühmlich betrachtet; und heute noch werden zuweilen im Orient unter Turkmannen und Serben ſolche Raubzüge gegen die Ungläubigen und die Ketzer als preiswürdige Heldenthaten gefeiert. Die civiliſirte Welt mißbilligt dieſelben aufs entſchiedenſte, und erkennt darin durchaus ſtrafwürdige Verbrechen. 573. Die friedlichen Bewohner in Feindesland, welche an dem Kampfe keinen thätigen Antheil nehmen, unterliegen zwar den nothwendigen Wir- kungen des Kriegs und müſſen der ſiegreichen Kriegsgewalt Gehorſam leiſten, aber ſie ſind nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu behandeln. Vgl. Einleitung S. 31. Von größter practiſcher Bedeutung iſt die Unter- ſcheidung der friedlichen Bewohner des feindlichen States von dem Heere desſel- ben. Erſt ſeitdem die friedliche Eigenſchaft derſelben erkannt und auch von der feindlichen Kriegsgewalt beſſer als früher gewürdigt wird, iſt die Barbarei des Kriegs einigermaßen gezähmt worden. So lange man noch alle Angehörigen des kriegfüh- renden States gleichmäßig als Feinde anſah, ſchien jede Gewaltthat und Bedrückung erlaubt. Die große Maſſe der Einwohner iſt aber in den meiſten Fällen ganz un- ſchuldig an dem Streit der Staten, und fügt ſich dem Kriege nur, wie einer furcht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/341
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/341>, abgerufen am 27.11.2024.