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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.

Im Mittelalter versuchte es der Papst Innocenz III., die Anwendung
von Wurfgeschossen überhaupt gegen Christen zu untersagen. cap. un X. de
sagittariis
(V. 15). Aber vergeblich. Die moderne Kriegsführung beruht gerade auf
den Schußwaffen. Auch geht man zu weit, wenn man alle tödtlichen Waffen,
welche massenhaft wirken, für völkerrechtswidrig erklärt. Weßhalb sollten die
Waffen erlaubt sein, durch welche einzelne Individuen getödtet werden, aber
die verboten, welche Reihen von Individuen bedrohen, da ja doch nicht gegen die
Individuen der Krieg geführt wird, sondern gegen die Macht des feindlichen Stats?
Jede Kanonenkugel bedroht mehr als Ein Menschenleben, die Kartätschen werfen
ganze Scharen nieder und die schweren Kanonen der Strandbatterien und der Kriegs-
schiffe können ganze Schiffe in den Grund bohren; eine explodirende Mine kann
eine Menge Menschen verschütten, durch ein Branderschiff auch ein feindliches Schiff
angezündet werden. Dennoch hält die Kriegssitte diese Mittel für erlaubt, aber sie
verwirft die Kettenkugeln (boulets a chaeine) und die Stangenkugeln
(boulets a bras) als barbarisch und nimmt an dem Beschießen der Schiffe mit
glühenden Kugeln und dem Werfen von brennenden Pechkränzen in
das feindliche Schiff Anstoß. Offenbar ist die Kriegssitte noch zu lax und zu grau-
sam, und nicht etwa zu empfindsam und zu ängstlich in ihrem Urtheil über Erlaubtes
und Unerlaubtes.

561.

Das Völkerrecht verwirft den Meuchelmord eines feindlichen Indi-
viduums als unerlaubtes Kriegsmittel.

Am. Kr. 148. Nicht bloß der Meuchelmord durch verrätherisches Bei-
bringen von Gift, sondern auch durch heimliches Nachschleichen und Erdolchen oder
Erschießen wird durch das Kriegsrecht nicht legitimirt, wenn gleich der Mörder oft
straflos bleibt. Die Tödtung im Kampf ist erlaubt, der Mord außerhalb
des Kampfes
ist unehrlich und verboten, auch wenn er, wie z. B. die Ermordung
des feindlichen Feldherrn oder Fürsten für die eigene Kriegsführung nützlich ist.
Der Unterschied war schon den civilisirten Völkern des Alterthums klar, bedurfte
aber von Zeit zu Zeit erneuerter Aussprache, um nicht von den wilden Leidenschaften
verkannt zu werden. Selbst im Kampf ist alles unnöthige Tödten der Feinde ver-
werflich.

562.

Auch die Achterklärung gegen einen Einzelnen, durch welche er als
rechtlos und vogelfrei der straflosen Mißhandlung und Tödtung von Jeder-
mann Preis gegeben wird, und die Ausschreibung von Preisen auf den
Kopf eines Menschen werden von den civilisirten Völkern als eine barba-
rische Uebung mißbilligt.

Das Kriegsrecht.

Im Mittelalter verſuchte es der Papſt Innocenz III., die Anwendung
von Wurfgeſchoſſen überhaupt gegen Chriſten zu unterſagen. cap. un X. de
sagittariis
(V. 15). Aber vergeblich. Die moderne Kriegsführung beruht gerade auf
den Schußwaffen. Auch geht man zu weit, wenn man alle tödtlichen Waffen,
welche maſſenhaft wirken, für völkerrechtswidrig erklärt. Weßhalb ſollten die
Waffen erlaubt ſein, durch welche einzelne Individuen getödtet werden, aber
die verboten, welche Reihen von Individuen bedrohen, da ja doch nicht gegen die
Individuen der Krieg geführt wird, ſondern gegen die Macht des feindlichen Stats?
Jede Kanonenkugel bedroht mehr als Ein Menſchenleben, die Kartätſchen werfen
ganze Scharen nieder und die ſchweren Kanonen der Strandbatterien und der Kriegs-
ſchiffe können ganze Schiffe in den Grund bohren; eine explodirende Mine kann
eine Menge Menſchen verſchütten, durch ein Branderſchiff auch ein feindliches Schiff
angezündet werden. Dennoch hält die Kriegsſitte dieſe Mittel für erlaubt, aber ſie
verwirft die Kettenkugeln (boulets à chaîne) und die Stangenkugeln
(boulets à bras) als barbariſch und nimmt an dem Beſchießen der Schiffe mit
glühenden Kugeln und dem Werfen von brennenden Pechkränzen in
das feindliche Schiff Anſtoß. Offenbar iſt die Kriegsſitte noch zu lax und zu grau-
ſam, und nicht etwa zu empfindſam und zu ängſtlich in ihrem Urtheil über Erlaubtes
und Unerlaubtes.

561.

Das Völkerrecht verwirft den Meuchelmord eines feindlichen Indi-
viduums als unerlaubtes Kriegsmittel.

Am. Kr. 148. Nicht bloß der Meuchelmord durch verrätheriſches Bei-
bringen von Gift, ſondern auch durch heimliches Nachſchleichen und Erdolchen oder
Erſchießen wird durch das Kriegsrecht nicht legitimirt, wenn gleich der Mörder oft
ſtraflos bleibt. Die Tödtung im Kampf iſt erlaubt, der Mord außerhalb
des Kampfes
iſt unehrlich und verboten, auch wenn er, wie z. B. die Ermordung
des feindlichen Feldherrn oder Fürſten für die eigene Kriegsführung nützlich iſt.
Der Unterſchied war ſchon den civiliſirten Völkern des Alterthums klar, bedurfte
aber von Zeit zu Zeit erneuerter Ausſprache, um nicht von den wilden Leidenſchaften
verkannt zu werden. Selbſt im Kampf iſt alles unnöthige Tödten der Feinde ver-
werflich.

562.

Auch die Achterklärung gegen einen Einzelnen, durch welche er als
rechtlos und vogelfrei der ſtrafloſen Mißhandlung und Tödtung von Jeder-
mann Preis gegeben wird, und die Ausſchreibung von Preiſen auf den
Kopf eines Menſchen werden von den civiliſirten Völkern als eine barba-
riſche Uebung mißbilligt.

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[313/0335] Das Kriegsrecht. Im Mittelalter verſuchte es der Papſt Innocenz III., die Anwendung von Wurfgeſchoſſen überhaupt gegen Chriſten zu unterſagen. cap. un X. de sagittariis (V. 15). Aber vergeblich. Die moderne Kriegsführung beruht gerade auf den Schußwaffen. Auch geht man zu weit, wenn man alle tödtlichen Waffen, welche maſſenhaft wirken, für völkerrechtswidrig erklärt. Weßhalb ſollten die Waffen erlaubt ſein, durch welche einzelne Individuen getödtet werden, aber die verboten, welche Reihen von Individuen bedrohen, da ja doch nicht gegen die Individuen der Krieg geführt wird, ſondern gegen die Macht des feindlichen Stats? Jede Kanonenkugel bedroht mehr als Ein Menſchenleben, die Kartätſchen werfen ganze Scharen nieder und die ſchweren Kanonen der Strandbatterien und der Kriegs- ſchiffe können ganze Schiffe in den Grund bohren; eine explodirende Mine kann eine Menge Menſchen verſchütten, durch ein Branderſchiff auch ein feindliches Schiff angezündet werden. Dennoch hält die Kriegsſitte dieſe Mittel für erlaubt, aber ſie verwirft die Kettenkugeln (boulets à chaîne) und die Stangenkugeln (boulets à bras) als barbariſch und nimmt an dem Beſchießen der Schiffe mit glühenden Kugeln und dem Werfen von brennenden Pechkränzen in das feindliche Schiff Anſtoß. Offenbar iſt die Kriegsſitte noch zu lax und zu grau- ſam, und nicht etwa zu empfindſam und zu ängſtlich in ihrem Urtheil über Erlaubtes und Unerlaubtes. 561. Das Völkerrecht verwirft den Meuchelmord eines feindlichen Indi- viduums als unerlaubtes Kriegsmittel. Am. Kr. 148. Nicht bloß der Meuchelmord durch verrätheriſches Bei- bringen von Gift, ſondern auch durch heimliches Nachſchleichen und Erdolchen oder Erſchießen wird durch das Kriegsrecht nicht legitimirt, wenn gleich der Mörder oft ſtraflos bleibt. Die Tödtung im Kampf iſt erlaubt, der Mord außerhalb des Kampfes iſt unehrlich und verboten, auch wenn er, wie z. B. die Ermordung des feindlichen Feldherrn oder Fürſten für die eigene Kriegsführung nützlich iſt. Der Unterſchied war ſchon den civiliſirten Völkern des Alterthums klar, bedurfte aber von Zeit zu Zeit erneuerter Ausſprache, um nicht von den wilden Leidenſchaften verkannt zu werden. Selbſt im Kampf iſt alles unnöthige Tödten der Feinde ver- werflich. 562. Auch die Achterklärung gegen einen Einzelnen, durch welche er als rechtlos und vogelfrei der ſtrafloſen Mißhandlung und Tödtung von Jeder- mann Preis gegeben wird, und die Ausſchreibung von Preiſen auf den Kopf eines Menſchen werden von den civiliſirten Völkern als eine barba- riſche Uebung mißbilligt.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/335>, abgerufen am 24.11.2024.