Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben.
pflicht, so wird das eigentliches arbitrium genannt. Es bedarf dann einer Rechts- entscheidung.
489.
In der Regel steht es den Parteien, welche ein Schiedsgericht be- rufen, frei, zu bestimmen, wem das Schiedsrichteramt übertragen werde.
1. Möglich ist's, daß schon zum voraus durch einen Statenvertrag das schiedsrichterliche Verfahren angeordnet und selbst die Personen der Schiedsrichter bezeichnet oder doch die Art der Wahl regulirt ist. Wenn das nicht geschehen ist, dann müssen im einzelnen Bedürfnißfall sich die Parteien auch darüber vertragen.
2. Es können zu Schiedsrichtern, je nach dem Belieben der Parteien, ernannt werden Statshäupter, oder bestehende Gerichtshöfe, oder Privatpersonen (Rechts- gelehrte), Juristenfacultäten, kirchliche Autoritäten, Ordenscapitel u. s. f. Werden Statshäupter gewählt, so nimmt man als selbstverständlich an, daß dieselben die Verhandlungen durch delegirte Zwischenpersonen leiten und den Schiedsspruch ausarbeiten lassen können, aber der Schiedsspruch wird in ihrem Namen und unter ihrer Autorität verkündet. In manchen Fällen wird es daher nicht zweckmäßig sein, souveräne Personen zu Schiedsrichtern zu machen. Hat der Streit eine politische Seite, oder sind die politischen Interessen des schiedsrichterlichen States mit der Stimmung und Haltung in einem der beiden Parteistaten verflochten, so ist die Gefahr zu besorgen, daß der souveräne Schiedsrichter die eigenen politischen Motive einwirken lasse auf seine Amtsführung. Sind dagegen keine politischen Interessen mit in Frage, und ist daher für die Unparteilichkeit des zum Schiedsrichter gewähl- ten Souveräns nichts zu fürchten, so haben die Parteien hinwieder keine Garantie in den vielleicht unbekannten Personen, welche als geheime Räthe des Schiedrichters die eigentlichen Geschäfte besorgen und den Spruch vorarbeiten. Sehr beachtenswerth scheint mir der im Jahr 1866 in Nordamerika gemachte Vorschlag, daß vorzugs- weise angesehene Publicisten und Rechtsgelehrte aus den neutralen Staten zu Schiedsrichtern gewählt werden sollten, welche ihre wissenschaftliche Ehre für eine richtige und unparteiische Entscheidung einzusetzen haben. Wenigstens wird eine derartige Auswahl vorzüglich da passen, wo der Streit eine wesentlich vermögens- rechtliche Seite hat, wie bei Entschädigungsfragen. Es wäre ein großer Fort- schritt, wenn zum voraus eine Liste von angesehenen Vertretern der völker- rechtlichen Wissenschaft und Kennern der völkerrechtlichen Praxis gebildet würde, aus welcher dann in späteren Streitfällen die Schiedsrichter ernannt würden. Jedem anerkannten State müßte das Recht zustehen, je nach seiner Be- völkerung eine Anzahl solcher Männer auf das allgemeine völkerrechtliche Verzeichniß zu setzen.
490.
Vertragen sich die Parteien nicht über gemeinsam zu ernennende
Bluntschli, Das Völkerrecht. 18
Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herſtellung desſelben.
pflicht, ſo wird das eigentliches arbitrium genannt. Es bedarf dann einer Rechts- entſcheidung.
489.
In der Regel ſteht es den Parteien, welche ein Schiedsgericht be- rufen, frei, zu beſtimmen, wem das Schiedsrichteramt übertragen werde.
1. Möglich iſt’s, daß ſchon zum voraus durch einen Statenvertrag das ſchiedsrichterliche Verfahren angeordnet und ſelbſt die Perſonen der Schiedsrichter bezeichnet oder doch die Art der Wahl regulirt iſt. Wenn das nicht geſchehen iſt, dann müſſen im einzelnen Bedürfnißfall ſich die Parteien auch darüber vertragen.
2. Es können zu Schiedsrichtern, je nach dem Belieben der Parteien, ernannt werden Statshäupter, oder beſtehende Gerichtshöfe, oder Privatperſonen (Rechts- gelehrte), Juriſtenfacultäten, kirchliche Autoritäten, Ordenscapitel u. ſ. f. Werden Statshäupter gewählt, ſo nimmt man als ſelbſtverſtändlich an, daß dieſelben die Verhandlungen durch delegirte Zwiſchenperſonen leiten und den Schiedsſpruch ausarbeiten laſſen können, aber der Schiedsſpruch wird in ihrem Namen und unter ihrer Autorität verkündet. In manchen Fällen wird es daher nicht zweckmäßig ſein, ſouveräne Perſonen zu Schiedsrichtern zu machen. Hat der Streit eine politiſche Seite, oder ſind die politiſchen Intereſſen des ſchiedsrichterlichen States mit der Stimmung und Haltung in einem der beiden Parteiſtaten verflochten, ſo iſt die Gefahr zu beſorgen, daß der ſouveräne Schiedsrichter die eigenen politiſchen Motive einwirken laſſe auf ſeine Amtsführung. Sind dagegen keine politiſchen Intereſſen mit in Frage, und iſt daher für die Unparteilichkeit des zum Schiedsrichter gewähl- ten Souveräns nichts zu fürchten, ſo haben die Parteien hinwieder keine Garantie in den vielleicht unbekannten Perſonen, welche als geheime Räthe des Schiedrichters die eigentlichen Geſchäfte beſorgen und den Spruch vorarbeiten. Sehr beachtenswerth ſcheint mir der im Jahr 1866 in Nordamerika gemachte Vorſchlag, daß vorzugs- weiſe angeſehene Publiciſten und Rechtsgelehrte aus den neutralen Staten zu Schiedsrichtern gewählt werden ſollten, welche ihre wiſſenſchaftliche Ehre für eine richtige und unparteiiſche Entſcheidung einzuſetzen haben. Wenigſtens wird eine derartige Auswahl vorzüglich da paſſen, wo der Streit eine weſentlich vermögens- rechtliche Seite hat, wie bei Entſchädigungsfragen. Es wäre ein großer Fort- ſchritt, wenn zum voraus eine Liſte von angeſehenen Vertretern der völker- rechtlichen Wiſſenſchaft und Kennern der völkerrechtlichen Praxis gebildet würde, aus welcher dann in ſpäteren Streitfällen die Schiedsrichter ernannt würden. Jedem anerkannten State müßte das Recht zuſtehen, je nach ſeiner Be- völkerung eine Anzahl ſolcher Männer auf das allgemeine völkerrechtliche Verzeichniß zu ſetzen.
490.
Vertragen ſich die Parteien nicht über gemeinſam zu ernennende
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 18
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Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herſtellung desſelben.
pflicht, ſo wird das eigentliches arbitrium genannt. Es bedarf dann einer Rechts-
entſcheidung.
489.
In der Regel ſteht es den Parteien, welche ein Schiedsgericht be-
rufen, frei, zu beſtimmen, wem das Schiedsrichteramt übertragen werde.
1. Möglich iſt’s, daß ſchon zum voraus durch einen Statenvertrag das
ſchiedsrichterliche Verfahren angeordnet und ſelbſt die Perſonen der Schiedsrichter
bezeichnet oder doch die Art der Wahl regulirt iſt. Wenn das nicht geſchehen iſt,
dann müſſen im einzelnen Bedürfnißfall ſich die Parteien auch darüber vertragen.
2. Es können zu Schiedsrichtern, je nach dem Belieben der Parteien, ernannt
werden Statshäupter, oder beſtehende Gerichtshöfe, oder Privatperſonen (Rechts-
gelehrte), Juriſtenfacultäten, kirchliche Autoritäten, Ordenscapitel u. ſ. f. Werden
Statshäupter gewählt, ſo nimmt man als ſelbſtverſtändlich an, daß dieſelben
die Verhandlungen durch delegirte Zwiſchenperſonen leiten und den Schiedsſpruch
ausarbeiten laſſen können, aber der Schiedsſpruch wird in ihrem Namen und unter
ihrer Autorität verkündet. In manchen Fällen wird es daher nicht zweckmäßig ſein,
ſouveräne Perſonen zu Schiedsrichtern zu machen. Hat der Streit eine politiſche
Seite, oder ſind die politiſchen Intereſſen des ſchiedsrichterlichen States mit der
Stimmung und Haltung in einem der beiden Parteiſtaten verflochten, ſo iſt die
Gefahr zu beſorgen, daß der ſouveräne Schiedsrichter die eigenen politiſchen Motive
einwirken laſſe auf ſeine Amtsführung. Sind dagegen keine politiſchen Intereſſen
mit in Frage, und iſt daher für die Unparteilichkeit des zum Schiedsrichter gewähl-
ten Souveräns nichts zu fürchten, ſo haben die Parteien hinwieder keine Garantie
in den vielleicht unbekannten Perſonen, welche als geheime Räthe des Schiedrichters
die eigentlichen Geſchäfte beſorgen und den Spruch vorarbeiten. Sehr beachtenswerth
ſcheint mir der im Jahr 1866 in Nordamerika gemachte Vorſchlag, daß vorzugs-
weiſe angeſehene Publiciſten und Rechtsgelehrte aus den neutralen Staten
zu Schiedsrichtern gewählt werden ſollten, welche ihre wiſſenſchaftliche Ehre für eine
richtige und unparteiiſche Entſcheidung einzuſetzen haben. Wenigſtens wird eine
derartige Auswahl vorzüglich da paſſen, wo der Streit eine weſentlich vermögens-
rechtliche Seite hat, wie bei Entſchädigungsfragen. Es wäre ein großer Fort-
ſchritt, wenn zum voraus eine Liſte von angeſehenen Vertretern der völker-
rechtlichen Wiſſenſchaft und Kennern der völkerrechtlichen Praxis
gebildet würde, aus welcher dann in ſpäteren Streitfällen die Schiedsrichter ernannt
würden. Jedem anerkannten State müßte das Recht zuſtehen, je nach ſeiner Be-
völkerung eine Anzahl ſolcher Männer auf das allgemeine völkerrechtliche Verzeichniß
zu ſetzen.
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Vertragen ſich die Parteien nicht über gemeinſam zu ernennende
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 18
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/295>, abgerufen am 24.11.2024.
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