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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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sehr oft dagegen gefehlt. Indessen gerade die Geschichte der zahlreichen Interventionen,
welche im Widerspruch mit dem von Zeit zu Zeit dennoch anerkannten Princip voll-
zogen worden sind, ist geeignet, dessen Richtigkeit ins Licht zu stellen. Die Folgen
dieser Interventionen waren freilich sehr verschieden. Wenn die Intervention, wie
im Jahr 1791 der Alliirten gegen die Revolution in Frankreich auf einen Wider-
stand stieß, den sie nicht zu bewältigen vermochte, so wurden die Leidenschaften der
siegreichen Partei durch dieselbe nicht gebändigt, sondern nur heftiger gereizt. In
den meisten Fällen aber siegte die überlegene Macht der intervenirenden Staten und
richtete die öffentlichen Zustände so ein, wie die Sieger es für zweckmäßig erachteten.
In den Zeiten der französischen Republik wurden so um Frankreich her durch In-
terventionen Republiken geschaffen, in der Periode des ersten Napoleonischen Kaiser-
thums Napoleonische Vasallenstaten. Die Interventionen der absoluten Mächte
Oesterreichs in den Italienischen Staten, Frankreichs in Spanien stellten die absolute
Monarchie her und beseitigten die constitutionellen Schranken. Was hat all diese
gewaltsame Einmischung aber schließlich erreicht? War der Stat zu schwach, um
sich dieser fremden Einwirkung wieder zu entziehen, so wurde er nach und nach das
Opfer der Interventionen und verlor zuletzt seine ganze Selbständigkeit. Der Unter-
gang Polens ist ein furchtbares Beispiel einer solchen Zerreißung und Tödtung eines
Stats. War das Volk, das sich vorübergehend vor der Uebermacht beugen mußte,
lebenskräftig, so entzog es sich, sobald jener Druck aufhörte, wieder dieser äußern
Beherrschung. Die Directorialrepubliken nach französischem Muster hörten auf,
solche Republiken zu sein, als das französische Directorium gestürzt ward, die Na-
poleonischen Vasallenstaten erhielten sich nicht in dieser Gestalt, als der Kaiser
Napoleon der europäischen Coalition erlag. Die absoluten Monarchien in Italien und
Spanien wurden durch eine erneuerte Constitution beschränkt, als die absoluten Ostmächte
außer Stande waren, ihnen zu Hülfe zu kommen. Nicht einmal die europäische
Wiedereinsetzung der Bourbonen in Frankreich und die in völkerrechtlicher Form
beschlossene Ausschließung der Napoleoniden von dem französischen Throne hatte
Bestand. Die Freiheit der Völker, sich selber die Form ihrer Ver-
fassung zu geben
, konnte durch diese Interventionen eine Zeit lang gehemmt,
aber nicht auf die Dauer gebunden werden. Die natürliche Entwicklung
wurde vorübergehend gestört und verschoben, aber sie machte sich überall wieder gel-
tend, sobald der künstliche Druck nachließ, und so mußte es sein, weil die natür-
liche Entwicklung
das große Gesetz des Statenlebens wie des Einzellebens ist.

3. Auf den Congressen von Laibach 1821 und Verona 1822 wurde geradezu
das Princip der Intervention im Interesse der legitimen Fürsten-
gewalt
als ein neues Princip der europäischen Weltordnung proclamirt.
So in der Circularnote des Fürsten Metternich, Laibach 12. Mai 1821: "Les
changemens utiles ou necessaires dans ia legislation et dans l'administration
des Etats ne doivent emaner que de la volonte libre, de l'impulsion reflechie
et eclairee de ceux que Dieu a rendus responsables du pouvoir. Tout ce
qui sort de cette ligne, conduit necessairement au desordre, aux boulever-
semens, a des maux bien plus insupportables que ceux quel'on pretend
guerir. Penetre de cette verite eternelle les Souverains n'ont pas herite

Siebentes Buch.
ſehr oft dagegen gefehlt. Indeſſen gerade die Geſchichte der zahlreichen Interventionen,
welche im Widerſpruch mit dem von Zeit zu Zeit dennoch anerkannten Princip voll-
zogen worden ſind, iſt geeignet, deſſen Richtigkeit ins Licht zu ſtellen. Die Folgen
dieſer Interventionen waren freilich ſehr verſchieden. Wenn die Intervention, wie
im Jahr 1791 der Alliirten gegen die Revolution in Frankreich auf einen Wider-
ſtand ſtieß, den ſie nicht zu bewältigen vermochte, ſo wurden die Leidenſchaften der
ſiegreichen Partei durch dieſelbe nicht gebändigt, ſondern nur heftiger gereizt. In
den meiſten Fällen aber ſiegte die überlegene Macht der intervenirenden Staten und
richtete die öffentlichen Zuſtände ſo ein, wie die Sieger es für zweckmäßig erachteten.
In den Zeiten der franzöſiſchen Republik wurden ſo um Frankreich her durch In-
terventionen Republiken geſchaffen, in der Periode des erſten Napoleoniſchen Kaiſer-
thums Napoleoniſche Vaſallenſtaten. Die Interventionen der abſoluten Mächte
Oeſterreichs in den Italieniſchen Staten, Frankreichs in Spanien ſtellten die abſolute
Monarchie her und beſeitigten die conſtitutionellen Schranken. Was hat all dieſe
gewaltſame Einmiſchung aber ſchließlich erreicht? War der Stat zu ſchwach, um
ſich dieſer fremden Einwirkung wieder zu entziehen, ſo wurde er nach und nach das
Opfer der Interventionen und verlor zuletzt ſeine ganze Selbſtändigkeit. Der Unter-
gang Polens iſt ein furchtbares Beiſpiel einer ſolchen Zerreißung und Tödtung eines
Stats. War das Volk, das ſich vorübergehend vor der Uebermacht beugen mußte,
lebenskräftig, ſo entzog es ſich, ſobald jener Druck aufhörte, wieder dieſer äußern
Beherrſchung. Die Directorialrepubliken nach franzöſiſchem Muſter hörten auf,
ſolche Republiken zu ſein, als das franzöſiſche Directorium geſtürzt ward, die Na-
poleoniſchen Vaſallenſtaten erhielten ſich nicht in dieſer Geſtalt, als der Kaiſer
Napoleon der europäiſchen Coalition erlag. Die abſoluten Monarchien in Italien und
Spanien wurden durch eine erneuerte Conſtitution beſchränkt, als die abſoluten Oſtmächte
außer Stande waren, ihnen zu Hülfe zu kommen. Nicht einmal die europäiſche
Wiedereinſetzung der Bourbonen in Frankreich und die in völkerrechtlicher Form
beſchloſſene Ausſchließung der Napoleoniden von dem franzöſiſchen Throne hatte
Beſtand. Die Freiheit der Völker, ſich ſelber die Form ihrer Ver-
faſſung zu geben
, konnte durch dieſe Interventionen eine Zeit lang gehemmt,
aber nicht auf die Dauer gebunden werden. Die natürliche Entwicklung
wurde vorübergehend geſtört und verſchoben, aber ſie machte ſich überall wieder gel-
tend, ſobald der künſtliche Druck nachließ, und ſo mußte es ſein, weil die natür-
liche Entwicklung
das große Geſetz des Statenlebens wie des Einzellebens iſt.

3. Auf den Congreſſen von Laibach 1821 und Verona 1822 wurde geradezu
das Princip der Intervention im Intereſſe der legitimen Fürſten-
gewalt
als ein neues Princip der europäiſchen Weltordnung proclamirt.
So in der Circularnote des Fürſten Metternich, Laibach 12. Mai 1821: „Les
changemens utiles ou nécessaires dans ia législation et dans l’administration
des États ne doivent émaner que de la volonté libre, de l’impulsion réfléchie
et éclairée de ceux que Dieu a rendus responsables du pouvoir. Tout ce
qui sort de cette ligne, conduit nécessairement au désordre, aux boulever-
semens, à des maux bien plus insupportables que ceux quel’on prétend
guérir. Pénétré de cette vérité éternelle les Souverains n’ont pas hérité

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[266/0288] Siebentes Buch. ſehr oft dagegen gefehlt. Indeſſen gerade die Geſchichte der zahlreichen Interventionen, welche im Widerſpruch mit dem von Zeit zu Zeit dennoch anerkannten Princip voll- zogen worden ſind, iſt geeignet, deſſen Richtigkeit ins Licht zu ſtellen. Die Folgen dieſer Interventionen waren freilich ſehr verſchieden. Wenn die Intervention, wie im Jahr 1791 der Alliirten gegen die Revolution in Frankreich auf einen Wider- ſtand ſtieß, den ſie nicht zu bewältigen vermochte, ſo wurden die Leidenſchaften der ſiegreichen Partei durch dieſelbe nicht gebändigt, ſondern nur heftiger gereizt. In den meiſten Fällen aber ſiegte die überlegene Macht der intervenirenden Staten und richtete die öffentlichen Zuſtände ſo ein, wie die Sieger es für zweckmäßig erachteten. In den Zeiten der franzöſiſchen Republik wurden ſo um Frankreich her durch In- terventionen Republiken geſchaffen, in der Periode des erſten Napoleoniſchen Kaiſer- thums Napoleoniſche Vaſallenſtaten. Die Interventionen der abſoluten Mächte Oeſterreichs in den Italieniſchen Staten, Frankreichs in Spanien ſtellten die abſolute Monarchie her und beſeitigten die conſtitutionellen Schranken. Was hat all dieſe gewaltſame Einmiſchung aber ſchließlich erreicht? War der Stat zu ſchwach, um ſich dieſer fremden Einwirkung wieder zu entziehen, ſo wurde er nach und nach das Opfer der Interventionen und verlor zuletzt ſeine ganze Selbſtändigkeit. Der Unter- gang Polens iſt ein furchtbares Beiſpiel einer ſolchen Zerreißung und Tödtung eines Stats. War das Volk, das ſich vorübergehend vor der Uebermacht beugen mußte, lebenskräftig, ſo entzog es ſich, ſobald jener Druck aufhörte, wieder dieſer äußern Beherrſchung. Die Directorialrepubliken nach franzöſiſchem Muſter hörten auf, ſolche Republiken zu ſein, als das franzöſiſche Directorium geſtürzt ward, die Na- poleoniſchen Vaſallenſtaten erhielten ſich nicht in dieſer Geſtalt, als der Kaiſer Napoleon der europäiſchen Coalition erlag. Die abſoluten Monarchien in Italien und Spanien wurden durch eine erneuerte Conſtitution beſchränkt, als die abſoluten Oſtmächte außer Stande waren, ihnen zu Hülfe zu kommen. Nicht einmal die europäiſche Wiedereinſetzung der Bourbonen in Frankreich und die in völkerrechtlicher Form beſchloſſene Ausſchließung der Napoleoniden von dem franzöſiſchen Throne hatte Beſtand. Die Freiheit der Völker, ſich ſelber die Form ihrer Ver- faſſung zu geben, konnte durch dieſe Interventionen eine Zeit lang gehemmt, aber nicht auf die Dauer gebunden werden. Die natürliche Entwicklung wurde vorübergehend geſtört und verſchoben, aber ſie machte ſich überall wieder gel- tend, ſobald der künſtliche Druck nachließ, und ſo mußte es ſein, weil die natür- liche Entwicklung das große Geſetz des Statenlebens wie des Einzellebens iſt. 3. Auf den Congreſſen von Laibach 1821 und Verona 1822 wurde geradezu das Princip der Intervention im Intereſſe der legitimen Fürſten- gewalt als ein neues Princip der europäiſchen Weltordnung proclamirt. So in der Circularnote des Fürſten Metternich, Laibach 12. Mai 1821: „Les changemens utiles ou nécessaires dans ia législation et dans l’administration des États ne doivent émaner que de la volonté libre, de l’impulsion réfléchie et éclairée de ceux que Dieu a rendus responsables du pouvoir. Tout ce qui sort de cette ligne, conduit nécessairement au désordre, aux boulever- semens, à des maux bien plus insupportables que ceux quel’on prétend guérir. Pénétré de cette vérité éternelle les Souverains n’ont pas hérité

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/288>, abgerufen am 25.11.2024.